„Das Etikett ‚AUFSTREBEND‘ ist grausam und hält die Autorinnen klein“
María Velasco im Gespräch mit Álvaro Vicente und Martín Valdés-Stauber
María Velasco kam 1984 im zutiefst kastilischen Burgos zur Welt und entpuppte sich bald als „verirrtes Schaf“. Ihr genauer Blick ist so zerbrechlich wie rätselhaft, ihre Sprachkraft entfaltet sich fast beiläufig, ihre einzigartige Stimme wird bereichert und bevölkert von Philosophen und Schriftstellerinnen – Künstler:innen, die sie wie gute Geister in zitatgefüllten Notizbüchern begleiten, Schutzengel ihres Schreibens, das groß geworden ist in Theaterformen voller Poesie. Der spanische Verlag La Uña Rota hat vor Kurzem unter dem Titel „Parte de lesiones“ (dt. „Personenschaden“) ihre stärksten Texte in einem einzigen Band vereint, darunter: „Escenas de caza“ (dt. „Jagdszenen“), „Líbrate de las cosas hermosas que te deseo“ (dt. „Befrei dich von meinen guten Wünschen“), „La soledad del paseador de perros“ (deutscher Titel: „Die Einsamkeit der Hundesitter“) oder „Talaré a los hombres de sobre la faz de la tierra“ (deutscher Titel: „Ich will die Menschen ausroden von der Erde“). Letztgenanntes Stück gewann im vergangenen Mai den Internationalen Autor:innenpreis des Heidelberger Stückemarkts, wo Spanien dieses Jahr zu Gast war. Aber was María Velasco derzeit beschäftigt, ist nicht das Theater …
Beginnen wir mit der Gegenwart. Du bist in Argentinien und arbeitest an einem Roman. Hast du deine Beziehung zum Theater auf Eis gelegt, oder engen Genres und Schubladen eine Schriftstellerin deutlich ein und entsprechen nur einer marktorientierten Klassifizierung?
Mir waren Genres noch nie geheuer. Am liebsten sind mir Werke – auch im Theater –, die nicht nur verschiedene literarische Zweige beinhalten, sondern auch andere (künstlerische) Erfahrungen. Selbstverliebtes Theater, das Zwischenformen oder Rauheiten übertünchen möchte, langweilt mich. Als Regisseurin kam ich mir vor wie eine Kriminelle im Sprechtheater (also der dramatischen Tradition) und wie eine Hochstaplerin im postdramatischen Theater (weil ich letztendlich aus der Literatur komme). So entferne ich mich vorübergehend vom Theater, denn der Kulturbetrieb hat mich als Zuschauerin von ihm entfernt: Theater aus dem Siglo de Oro in Lederjacken, als Dokumentartheater verkleideter Extraktivismus, neue, farbenfrohe Bilder für reaktionäre Botschaften … Nachdem „Talaré a los hombres …“ preisgekrönt wurde, bekam ich Angebote, die mir nur bestätigt haben, wie armselig dieses System ist. Ich wusste, das ist der Moment, um auf Distanz zu gehen und falsche Fährten zu legen. Etwas allein, lang und langsam zu schreiben, das man Roman nennen könnte. Mich an einen Ort völliger Unwissenheit zu begeben und mir...
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