Theater der Zeit

Kurze Geschichte des Theaterrechts

von Christoph Nix

Erschienen in: Theaterrecht – Handbuch für Theatermacher (05/2019)

Assoziationen: Theatergeschichte Recht Dossier: Tarife & Theater

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Wie hat sich das Theaterrecht entwickelt?

Die Entwicklung des Theaterrechts in Deutschland – eine Erfolgsgeschichte?

Was kann ich erwarten von der aktuellen Kulturpolitik?

Die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger und der Deutsche Bühnenverein waren die ersten Interessenvertreter von Bühnenbetrieb und Bühnenbeschäftigten. Die GDBA vertritt die Interessen der Arbeitnehmer oder der Künstler. Der DBV ist der Interessenvertreter der (überwiegend öffentlichen) Unternehmer des Theaters. Als spätere Tarifpartner haben sie wesentliche rechtliche Grundlagen für das Bühnenrecht geschaffen. Die Arbeitsverträge der Bühnenkünstler sind heute im allgemeinen Arbeitsrecht begründet und durch Arbeitsverträge (§§ 611f. BGB) geregelt. Neben den allgemeinen Normen des Arbeitsrechts in den §§ 611f. BGB, den Arbeitsschutzgesetzen spielen aber die tarifvertraglich geordneten Rechtsverhältnisse eine entscheidende Rolle bei der Klärung, welche Rechte und Rechtsansprüche dem einzelnen Künstler auf und hinter der Bühne zustehen.

Ausgehend von einer historischen Betrachtung der Konflikte zwischen Schauspielern und Prinzipalen des Theaters entwickelt sich eine rechtliche Ordnung, die wiederum den Machtverhältnissen vordemokratischer Gesellschaften entspringt. Erst mit den Frühformen einer zarten Demokratie in der Weimarer Republik entstehen Politikmodelle, Formen von Zivilgesellschaft, die auf die Organisationsform der Theaterkunst und die Spielweise der Hof- und Stadttheater Einfluss nehmen. Kulturpolitik wird zu einem Nebeneinander unterschiedlicher Konzepte des Politischen im Theater. Der Zuschuss und das Geld werden zu Leitmotiven für die Kunst. Der autoritäre Staat des Faschismus wirkt über seine Zeit hinaus: Die künstlerische Avantgarde könnte für immer verschwinden, die Idee des Sozialen aber zu einem Rettungsprogramm für den künstlerischen Prozess werden.

Entstehung rechtlicher Normen an deutschen Bühnen

Der Prozess der Normierung von Verträgen, Gagenansprüchen und Kartenwesen hatte mit dem 19. Jahrhundert längst begonnen. Anders als in den übrigen europäischen Ländern gab es an deutschen Bühnen bereits Abonnementsysteme.1 Die Bühnen waren öffentlich organisiert, will sagen: Es gab Regelungen über Spielgelder, baurechtliche Vorschriften und eine detaillierte Regelung der Theaterzensur in Preußen, die durch die Ministerialverfügung vom 16. März 1820 erfolgte. Wesentlich härter und umfassender in den Formen totaler Zensur war die österreichische Praxis. Diese Eingriffe galten in den Vorstädten Wiens bis in das Jahr 1918.2 Lediglich die auf fürstliche Rechnung arbeitenden Theater im Deutschen Reich waren von der Zensur ausgenommen: Man ging davon aus, dass das System der polizeilichen Kontrolle bereits implantiert war. Erst die 1848er Unruhen führten zu einer Abschaffung der Zensur durch Kabinettsorder Friedrich Wilhelms IV. vom 18. März 1848.3 Die wirtschaftliche Lage der Schauspieler blieb hingegen unsicher, wenn auch Gagen von Spitzensängern und Spitzensängerinnen bereits beachtliche Höhen erreichten.4

Mit Blick auf die Theaterorganisation kann man sagen, dass die wesentlichen Neuerungen auf diesem Gebiet bis in die heutige Zeit reichen. Anders formuliert: Theaterpolitik und Theaterorganisation bekamen rechtliche Formen. Menschliche Beziehungen wurden vertraglich und rechtlich normiert. Ausgangspunkt der Norm aber war stets der Konflikt. Zum Alltag gehörten vor allem auch Vertragsbrüche und andere Leistungsstörungen. Vorstellungen konnten nicht stattfinden, da Schauspieler und auch Spielleiter sich auf der Flucht befanden, um Gläubigern oder anderen rechtlichen Nachstellungen zu entgehen.

Schon 1812 gründete der Schauspieler Friedrich Wilhelm Hunnius den Schauspielergeheimbund „Zum blauen Stein“. Seine Absicht aber war elitärer Natur: Er wollte in Stuttgart eine Elite von Schauspielern um sich versammeln und gemeinsam mit diesen gegen ungerechte Methoden von Theaterdirektoren vorgehen, auch sollten arbeitslose Schauspieler aus dem Vermögen des Bundes unterstützt werden. Bereits nach zwei Jahren löste sich der Bund wieder auf.5

Eine Erfolgsgeschichte jedoch schrieb seit Juli 1878 die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger, die auf Initiative von Ludwig Barnay in Weimar gegründet wurde. 1884 schlossen sich die Chorsänger und Tänzer dieser Organisation an.6 Wechselhaft und kaum durchschaubar ist die Geschichte dieser kleinen Interessenorganisation immer gewesen. Über nahezu ein halbes Jahrhundert war die GDBA der gekorene Tarifpartner des Deutschen Bühnenvereins, der historisch gesehen die weitaus ältere Organisationsform der Bühnenträger und Intendanten war.

Vor allem die Idee zentraler Regelungen im Bühnenwesen führte dazu, dass sich im Mai 1846 die Intendanten von 19 Theatern in Oldenburg versammelten. Zunächst wollten sie ein Theaterkartell gründen. Am 25. Mai 1861 gab sich der Verein ein endgültiges Statut. Wesentliche Tarifverträge wurden am 12. Mai 1919, weitere am 19. April 1924 zwischen den beiden Tarifparteien geschlossen. Betroffen davon waren auch Chorsänger und Tänzer, später auch die Technischen Bühnenvorstände.7

1846 wurde auch die erste Schiedsgerichtsbarkeit für Bühnenkonflikte initiiert. 1873 formulierten die künftigen Tarifparteien eine Schiedsgerichtsordnung. Allerdings war dieses Gericht noch nicht paritätisch besetzt. Die Direktoren hatten die Mehrheit. Das Gericht bestand aus drei Direktoren und zwei Mitgliedern des Bühnenpersonals. Zum ersten Mal aber war in der Geschichte des Theaters ein Institut entstanden, das sich der Konfliktlösung interner Streitigkeiten im Theater widmete, wenn auch auf der Basis juristischer Konfliktlösung.8

Das erste Viertel des 20. Jahrhunderts brachte zahlreiche Veränderungen im rechtlichen Bereich und damit auch in den Beziehungen zwischen Staat, Theater und seinen Beschäftigten.9 Die Novemberrevolution von 1918 führte zu einer grundlegenden Änderung des Zensurwesens in Deutschland und damit auch im Theater. Es waren vor allem die Arbeiterund Soldatenräte, die per Aufruf die (Theater-)Zensur abschafften (RG vom 4.3.1919, RGBl 285). Die Theater standen im Zentrum der demokratischen Veränderung.

Am 12. Mai 1919 wurde auf Grund der Verordnung vom 23. Dezember 1918 ein Tarifvertrag nebst Normalvertrag geschlossen und vom Reichsarbeitsministerium für allgemeingültig erklärt. Chorsänger und Balletttänzer erhielten ebenso wie die Technischen Vorstände einen eigenen Tarifvertrag. Es ist interessant, dass die Aufhebung der Theaterzensur von der immer noch autoritär geprägten, monarchistischen Justiz nicht anerkannt wurde. Lediglich die Vorzensur sei abgeschafft, urteilte das Oberverwaltungsgericht.10 Insofern verlief die Entwicklung in Deutschland mit Abschaffung der Monarchie keineswegs bruchlos und demokratisch.

Eric Hobsbawm hat das 20. Jahrhundert das „Zeitalter der Extreme“ genannt11 und in den Künsten zwei wirkliche Innovationslinien verortet: den Dadaismus, der sich zum Surrealismus entwickelte, und den Konstruktivismus. Hobsbawm beschreibt das frühe 20. Jahrhundert als den letzten Aufbruch der Avantgarde in den bildenden und darstellenden Künsten. Mit dem deutschen Faschismus und dem Zweiten Weltkrieg verlor Europa die Rolle einer künstlerischen Avantgarde.12 Daran konnte auch der Prozess der Verrechtlichung von demokratischen Freiheiten nichts ändern. Die Künste und das Theater konnten sich in Deutschland noch so gut organisieren, der autoritäre und faschistische Staat zerstörte in wenigen Jahren, was historisch seit der 1848er-Revolution zu wachsen begonnen hatte: ein Theater der Moderne.

Die Zeit des Nationalsozialismus und Westdeutschland nach 1945

Der deutsche Faschismus zerstörte alle partizipatorischen Ansätze der jungen Weimarer Demokratie. Im Zentrum der faschistischen Gleichschaltung aller Theater stand die Reichstheaterkammer, die als Körperschaft des Öffentlichen Rechts Teil der Reichskulturkammer wurde.

Im September 1935 wurden sowohl der Deutsche Bühnenverein als auch die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger aufgelöst, die Tarifautonomie wurde beseitigt, der Präsident der Reichstheaterkammer wurde zugleich Träger der Bühnenschiedsgerichtsbarkeit. Die Geschichte der Verfolgung einzelner Künstler und ihrer Vernichtung ist bis heute nur wenig historisch aufgearbeitet. Eine kleine Dokumentation findet sich in dem Band „Verehrt Verfolgt Vergessen“, der von dem Braunschweiger Historiker Ulrich Liebe herausgegeben wurde.13 Arnulf Moser hat am Beispiel des Schauspielers Wilhelm Schürmann-Horster die Geschichte der Verfolgung und Vernichtung oppositioneller Theaterkünstler geschildert, zugleich auch die Weigerungen der Schweizer Grenzpolizei, oppositionelle Künstler aufzunehmen.14

Mit der Erfindung des Reichsdramaturgen schuf der faschistische Staat eine effiziente Kontrollbehörde seiner Theater. Diese Institution wurde als Abteilung VI in das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda eingegliedert. Alle Theaterveranstalter hatten hier ihre Spielpläne vorzulegen und der Reichsdramaturg Dr. Rainer Schlösser und seine Abteilung „griffen anregend oder korrigierend in die Spielplangestaltung ein“.15 Am 20. August 1944 wurden in Deutschland die letzten Bühnen geschlossen, die während des Krieges den Spielbetrieb noch hatten aufrechterhalten können. Diese Geschichte ist noch immer nicht vollständig aufgearbeitet und geschrieben: Es war das Ende jeder Utopie im Theater und der darstellenden Kunst.

Günther Rühle beschreibt episodenhaft die Veränderungen und die massive Einflussnahme der Nationalsozialisten auf den Alltag im Theater und in der Kunst.16 Auf die Kritik der Emigranten, dass es in Deutschland keine Theaterkunst mehr in Freiheit gebe, antwortete Goebbels:

„Nicht Befehle habe ich gegeben, ich bin höchstens um Hilfe und Ratschläge angegangen worden. Was ich gegeben habe, das war Geld, das waren Millionen, mit denen die deutschen Theater erst wieder lebensfähig gemacht worden sind. Wir haben nie versucht, über das deutsche Theaterleben den geistigen und künstlerischen Diktator zu spielen. Wir haben uns immer glücklich gefühlt in der Rolle großzügiger Mäzene, denen das deutsche Theater selbst eine Herzensangelegenheit ist. (…) Nicht die Kunst haben wir in Fesseln gelegt, wir haben die Kunst von den Fesseln der Unkunst befreit.“17

1939 begann der zweite und letzte Exodus in Österreich: Egon Friedell stürzte sich aus dem Fenster, als die Gestapo kam; Carl Zuckmayer erreichte gerade noch Zürich. Die letzten jüdischen Intendanten und Schauspieler versuchten zu fliehen: Ernst Lothar, seine Frau Adrienne Gessner, Fritz Delius, Ernst Deutsch, Karl Paryla, Lili Darvas, Fritzi Massary oder Walter Mehring. Kurt Gerron, einst ein Star in Brechts „Dreigroschenoper“ und Hauptdarsteller in dem Film „Der Blaue Engel“, emigrierte nach Österreich. Später in Paris wurde er von der Gestapo verhaftet. Zunächst wurde er in Amsterdam interniert, dann nach Theresienstadt deportiert und schließlich als einer der Letzten mit seiner Frau in Auschwitz vergast. Charles Lewinskys „Gerron“18 ist ein historischer, wenn auch fiktionalisierter Roman – wie kein anderer schildert er uns anhand des Lebens von Kurt Gerron die Vernichtung der jüdischen und oppositionellen Schauspieler im Deutschen Reich.

Während die einen flohen oder vernichtet wurden, waren die anderen auf der Seite der Gewinner. An Hitlers fünfzigstem Geburtstag am 20. April 1939 wurden etliche zu Staatsschauspielern ernannt: Elisabeth Flickenschildt, die bereits 1932 in die NSDAP eingetreten war, Brigitte Horney, Angela Solloker, Gustaf Gründgens, Heinz Rühmann, René Deltgen, Paula Wessely und viele andere mehr.

Hans Meissner in Frankfurt und Hans Schüler in Leipzig durften sich nun Generalintendanten nennen und Otto Falckenberg wurde Staatsschauspieldirektor. Erstmals in der Geschichte des organisierten Theaters in Deutschland war es den Nazis gelungen, die Hegemonie auch in der Theaterkunst zu erringen. Schamlos verliehen sie staatstragende Titel und Berufsbezeichnungen. Schamlos nahmen Hunderte von Schauspielern und Theaterleitern entgegen,19 was ihnen nur zufiel, weil die anderen auf der Flucht waren oder vernichtet wurden.

Exemplarisch beschreibt Jürgen Klöckler den Prozess der nationalsozialistischen Theaterreform am Beispiel Konstanz.20 Der Intendant Erich Weidner, der von der örtlichen NSDAP als „Ausgeburt jüdisch-marxistischen Poetentums“21 bezeichnet wurde, floh im Frühsommer 1933 in das benachbarte Schaffhausen in der Schweiz. Er überlebte die Nazizeit und wurde nach 1946 noch einmal Intendant in Karlsruhe.

„Im Mai hatte sich ein Konstanzer um den Theaterposten beworben: der Oberhausener Schauspieldirektor Arthur Schmidt, genannt Schmiedhammer. (…) In den Augen der lokalen NS-Spitze war er der perfekte Theaterdirektor (…), der in Konstanz ein Dreispartenhaus leitete, das eine führende Stellung im alemannisch-schwäbischen Kulturraume einnehmen sollte. Schmiedhammer erfüllte die Erwartungen des Konstanzer Publikums und der NS-Stadtverwaltung genauso, wie er mit seinem Bekenntnis zum deutschen Kulturgut die Reichskulturkammer in Berlin zufriedenstellte. Sein mit nationalsozialistischen Tendenzstücken versetztes Programm war im Wesentlichen bürgerlich, abzüglich der linken, ausländischen und jüdischen Autoren.22

Das Theatergesetz vom 15. Mai 1934 wurde durch Kontrollratsbeschluss der Alliierten vom 3. Juli 1945 aufgehoben. Die Alliierten versuchten die Zeit zurückzudrehen. Theaterpolitisch sollte an die alten Bedingungen der Weimarer Republik angeknüpft werden. Aber die Akteure dieser Zeit, die Kulturpolitiker und Schauspieler, die Theaterleiter und Dramaturgen, die Avantgarde der jungen Demokratie, waren geflohen oder physisch vernichtet. Folglich musste man die alten Verbände wieder aktivieren. Aber die radikalen Kritiker gesellschaftlicher Verhältnisse blieben verschwunden.

Bereits am 23. August 1947 tagten der Deutsche Bühnenverein und die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger in gemeinsamer Sitzung. Sie erkannten sich gegenseitig als alleinige und ausschließliche Vertretungen an. Der Tarifvertrag Normalvertrag Bühne wurde gemäß Kontrollratsverordnung Nr. 56 (vom 30. Juni 1946) wieder in Vollzug gesetzt.23

Wechselhaft war nun die Geschichte der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger.24 Sie schloss sich zunächst dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) an. Als aber deutlich wurde, dass der DGB versuchte, all die differenzierten Vertretungsansätze von Bühnenmitgliedern und Orchestermusikern, Schriftstellern und Tänzern in einer Einheitsgewerkschaft mit der IG Druck und Papier zusammenzufassen, verließen die GDBA und die Deutsche Orchestervereinigung (DOV) den DGB. Heute kann man sagen, dass diese „Reform von oben – Alle unter einen Hut“25, die vor allem von Leonhard Mahlein betrieben wurde, der Anfang vom Ende der Künstlergewerkschaft GDBA sein sollte. Aber falsch gedacht: Die GDBA erfindet sich gerade wieder neu.

Aktuell lässt sich beobachten, dass in den jüngsten Tarifverhandlungen zwischen der Gewerkschaft ver.di und den öffentlichen Arbeitgebern beide die Strategie verfolgen, den Einflussbereich von ver.di zu Lasten der GDBA zu erhöhen.

Kulturpolitik heute

Die politische Zuständigkeit für das Theaterwesen liegt im föderalen Staat (Art. 20 GG), in den gesetzgeberischen Händen der Bundesländer. Das Grundgesetz hat zugleich die kommunale Selbstverwaltung in Art. 28 GG garantiert. Beides sind politische Lehren aus der Zeit des Nationalsozialismus. Art. 28 Satz 1 GG wirkt als staatsorganisatorisches Aufgabenverteilungsprinzip, das den prinzipiellen Vorrang einer dezentralen, nämlich gemeindlichen, vor einer zentral und staatlich determinierten Aufgabenwahrnehmung zum Inhalt hat.26 Daher sind die meisten Theater als Stadttheater organisiert und in kommunaler Trägerschaft. Nur die großen Häuser unterstehen unmittelbar den Kunstministerien der Länder. Ein deutsches Nationaltheater gibt es nicht.27 Formal gesehen haben die „staatstragenden Parteien“ einen erheblichen Anteil daran, wer die Theater leitet und künstlerisch ausrichtet, wie die Budgets verteilt sind und damit auch wie viel Theaterkunst in Stadt und Land möglich sein soll. Die Auswahlverfahren, die letztlich über die Personalpolitik bestimmen, sind wenig transparent und damit auch demokratischen Prozessen wenig zugänglich.

Theaterpolitik ist stark vom ökonomischen Interesse der Landesregierung abhängig oder von den Stimmungslagen der jeweiligen Stadtkultur. Verändert hat sich die Theaterlandschaft radikal mit der Wiedervereinigung Deutschlands. So traten an die Stelle langdienender Intendanten junge westlich-orientierte Dramaturgen, kommerzielle Abonnementsysteme wurden geschaffen. Gleichzeitig wurden kleinere Theatereinheiten fusioniert oder gar aufgelöst.

Eine profilierte Lobby für das Theater in Form inhaltlicher Beiträge aus den Büros der Kulturminister oder eines Kulturdezernenten gibt es nicht. Es gibt weder Manifeste noch parteipolitische Programme, aus denen man Inhalte für eine Theaterpolitik ableiten könnte.

Theater steht seit Beginn der 90er Jahre wieder zur Disposition einer Kulturpolitik, die sich von Spielzeit zu Spielzeit vom Diktat der öffentlichen Haushalte bestimmen lässt oder wie in Österreich immer neue Holdings gründet, in denen Geschäftsführer die Marketingziele bestimmen, ohne sich an eine inhaltlich bestimmte Dramatik halten zu wollen. Theater steht aber auch zur Disposition in den Debatten um die zukünftige Verteilung von Geldmitteln zwischen frei geförderter und institutionell geförderter Kultur.

Es bleibt die Hoffnung, dass immer mehr organisatorische Mischformen entstehen, in denen freie Theatergruppen nicht nur eine Alibifunktion haben, sondern die alte Mutter Stadttheater bereichern und verändern werden.

1Herbert Frenzel: Geschichte des Theaters. Daten und Dokumente 1470–1890. München 1984. S. 374 f.

2Andreas Kotte: Theatergeschichte. Eine Einführung. Stuttgart 2013. S. 339.

3Hannes Kurz/Beate Kehrl/Christoph Nix: Praxishandbuch Theater- und Kulturveranstaltungsrecht. München 2015. S. 35.

4Frenzel: Geschichte des Theaters. S. 341.

5Kurz/Kehrl/Nix: Praxishandbuch Theater- und Kulturveranstaltungsrecht. S. 36.

6Ebenda. S. 39.

7Holger Asmussen: Die Geschichte des Deutschen Theaterrechts. Köln 1980. S. 70 f.

8Erwin Zünder: Die Entwicklung der deutschen Bühnengenossenschaft 1871–1924. In: Bühnengenossenschaft, 8–9/1988. S. 12 f.

9Kurz/Kehrl/Nix: Praxishandbuch Theater- und Kulturveranstaltungsrecht. S. 35.

10 Preuß. OVG III Senat, 10.2.1921, JW 1921, 1687–1689.

11 Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. München 1995.

12 Ebenda. S. 618 f.

13 Ulrich Liebe: Verehrt Verfolgt Vergessen. Weinheim 1997.

14 Arnulf Moser: Von der roten Kapelle zum Provinztheater. Der Schauspieler Wilhelm Schürmann-Horster. In: Christoph Nix, David Bruder und Brigitte Leipold (Hg.): Hier wird gespielt. 400 Jahre Theater Konstanz. Berlin 2007. S. 88.

15 Friederike Euler: Theater zwischen Anpassung und Widerstand. In: Martin Broszat und Elke Fröhlich Elke (Hg.): Bayern in der NS-Zeit. Bd. 2. München 1979. S. 47–84.

16 Günther Rühle: Theater in Deutschland 1887–1945. Seine Ereignisse – seine Menschen. Frankfurt am Main 2007. S. 725.

17 Rede von Joseph Goebbels am 23. Mai 1938. In: Deutsches Bühnen-Jahrbuch 1939. S. 2 f.

18 Charles Lewinsky: Gerron. München 2011. S. 196.

19 Rühle: Theater in Deutschland 1887–1945. S. 861 f.

20 Jürgen Klöckler: Vom Stadttheater zum Grenzlandtheater. In: Nix, Bruder und Leipold (Hg.): Hier wird gespielt. S. 58–67.

21 Ebenda. S. 61.

22 Ebenda. S. 62. Der Spielplan von 1933 bis 1945 ist nachlesebar und macht deutlich, wie der Opportunismus in der Kunst sich langsam und beständig vollzog: „Die lustige Witwe“, „Der Vetter aus Dingsda“, „Minna von Barnhelm“.

23 Kurz/Kehrl/Nix: Praxishandbuch Theater- und Kulturveranstaltungsrecht. S. 39.

24 Vgl. Hans Herdlein: Gewerkschaftsreform vom Reißbrett. Hamburg 1993.

25 Hans Herdlein: Übungen in Kulturpolitik. In: Bühnengenossenschaft, 8–9/1983.

26 BVerfGE 79, 150 f.; BVerfGE 83, 382.

27 Politisch gesehen hat die Wiedervereinigung Deutschlands die Organisations- und Rechtsgeschichte der Theater der DDR ausgelöscht. Im Zuge der Wiedervereinigung wurden nach Einigung zwischen GDBA, IG Medien und Bühnenverein alle zwischen den Parteien geltenden Tarifverträge mit Wirkung vom 1. Juli 1991 auch im Beitrittsgebiet mit gewissen, vor allem finanziellen Modifikationen in Kraft gesetzt. Die im Beitrittsgebiet bisher geltenden Rahmenkollektivverträge traten daraufhin für die nach NV Solo, BTT bzw. BTTL angestellten Mitglieder ab 1. Juli 1991 außer Kraft. Ab der Spielzeit 1991/92 mussten den Mitgliedern Verträge nach Maßgabe der neuen Tarifverträge angeboten werden. (Kurz/Kehrl/Nix: Praxishandbuch Theater- und Kulturveranstaltungsrecht. S. 41.) Eine konkrete Aufarbeitung der Geschichte der Bühnenangehörigen der DDR fand nicht statt. Im Deutschen Bühnenverein wurde sogar Gero Hammer Vizepräsident, obwohl dieser als Intendant ausweislich der Aktenlage der Stasi-Unterlagenbehörde jahrelang oppositionelle Mitarbeiter der Theater observieren ließ. Der Deutsche Bühnenverein hat sich dieser Geschichte leider nie gestellt.

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