Theater der Zeit

Gespräch

Der Bühnenchoreograph

Florian Lösches Bühnen sind starke Setzungen, denen dennoch eine große Leichtigkeit innewohnt

von Mirka Döring und Florian Lösche

Erschienen in: Arbeitsbuch: Bild der Bühne, Vol. 2 / Setting the Stage, Vol. 2 – 17 Bühnenbildner:innen im Porträt (06/2015)

Assoziationen: Kostüm und Bühne Akteure

DANTONS TOD (Georg Büchner) Thalia Theater Hamburg, 2012. Regie Jette Steckel, Kostüme Pauline Hüners, Musik Matthias Grübel, Jonas Landerschier.
DANTONS TOD (Georg Büchner) Thalia Theater Hamburg, 2012. Regie Jette Steckel, Kostüme Pauline Hüners, Musik Matthias Grübel, Jonas Landerschier.Foto: Foto: Florian Lösche

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Florian Lösche, als Bühnenbildner müssen Sie bei der künstlerischen Konzeption relativ früh vorlegen. Ihre Bühnen sind meistens sehr starke Setzungen, die andere Bereiche wie Spielweise, Bewegungsmöglichkeiten im Raum, Licht maßgeblich bestimmen. Wie würden Sie Ihre Räume verorten? Was sollen sie sein, und wie funktionieren sie?

Mir fallen da verschiedene Dinge ein, aber festlegen auf eine bestimmte Kategorie oder einen Begriff will ich mich damit nicht. Sie haben immer auch etwas von interaktiven Räumen. Diese Interaktionsmöglichkeit liegt natürlich nur beim Schauspieler und nicht beim Besucher. Sagen wir so: Der Raum ist Spielraum und Spielpartner, er kann aber auch zum Gegner werden. Meine Räume haben verschiedene Aufgaben. Auch die Möglichkeiten zur Interaktion sind unterschiedlich. Manchmal sind sie einfach da, und die Schauspieler müssen sie so hinnehmen, zum Beispiel bei „Das weite Land“ am Deutschen Theater Berlin:
Der Berg aus Ledersofas ist da! Er dreht sich zwar auf der Drehbühne, aber er bewegt sich nicht selbst. Du kannst Kontakt aufnehmen und dich darauf bewegen, aber er antwortet nicht, dabei liegt die Interaktion im Widerstand des Raumes dem Spieler gegenüber. Dann gibt es Stücke wie „Don Giovanni“ am Thalia Theater in Hamburg, „Alice“ am Schauspielhaus Zürich oder „Guillaume Tell“ an der Bayerischen Staatsoper, die auf eine andere Art und Weise funktionieren; da ist das Spielsystem ein anderes: Ich kann als Spieler den Impuls suchen und muss ihn auch geben, damit sich um mich herum eine Welt aufbaut oder auflöst. Das ist eine ganz andere Form der assoziativen Raumentwicklung – das Leben als Simulation.

Das ist dann eine andere Art von Komplizenschaft zwischen Bühne und Schauspieler als bei „Woyzeck“, auch am Thalia Theater, wo das große, raum­umspannende Netz einfach da ist. Oder, ebenfalls in Hamburg, „Dantons Tod“? Dort ist die große Kugel ja auch erst mal so ein Monolith, der da auf der Bühne steht.

Die Räume wollen und sollen bespielt werden. Durch den Kontakt mit den Spielern und die Beweglichkeit der Räume werden die verschiedenen Assoziationen und Aggregatzustände erst sichtbar.

Installation – wäre das ein Begriff, mit dem Sie Ihre Bühnen identifizieren können?

Ja. Auf jeden Fall. Streckenweise haben manche Räume auch etwas Skulpturales. Die meisten sind ja in sich erst mal sehr objekthaft, eine Raumskulptur. Die Räume verändern im Laufe einer Inszenierung oft ihre Aufgabe und 
somit auch die Konnotationen. Dabei ändert sich das Bewusstsein des Raumes, das heißt, ein Raum löst sich auf und wird zum Objekt oder umgekehrt. Das klingt jetzt widersprüchlich, aber genau das soll es auch sein.

Die Bühne für „Don Giovanni“ ist auch so ein Widerspruch, weil sie trotz der drei raumgreifenden Lichtkreise sehr leer wirkt.

Es ist auf eine Art eine Konzertbühne – eine Liveband war stark in das Stück eingebunden –, zum anderen gab es den Trip – die Höllenfahrt des Don Giovanni –, und der sollte seinen Sog entwickeln. Die drei Kreise leiten sich aus den Höllenkreisen ab. Ich wollte etwas machen, das den Rausch erzählt und gleichzeitig eine Leichtigkeit hat. Durch die bewegte Bühne und vor allem durch die Lichtarchitektur war es möglich, den Raum zu füllen und ihn auch schnell komplett leer zu lassen.

Wobei diese Leichtigkeit in allen Ihren Bühnen ganz wesentlich ist. Selbst der Klotz bei „Danton“, die große drehbare Kugel – die Weltkugel, die Mühle, der Todesstern – hat ja eine Beweglichkeit. Sosehr die Schauspieler sich daran abarbeiten und keuchen müssen, wirkt es trotzdem leichtfüßig und nicht behäbig.

Die Schauspieler sind ganz wesentlich, das Ganze trägt sich überhaupt erst durch die Spielfreude. Dass die Bühnen trotz aller Monumenta­lität diese Eleganz und Leichtigkeit bekommen, muss man wochenlang unter originalen Bedingungen proben. Damit an der Schnittstelle von Spiel und Raum tatsächlich ein Kosmos erwächst.

Ihre Bühnen sind schon immer so ein bisschen eine grundsätzliche Überfor­derung ans Theater, oder? In jeder Hinsicht, für die Werkstätten, die Schauspieler …

… und technisch meistens relativ anspruchsvoll. Ja, das ist manchmal schon ein logistischer Wahnsinn. Die physische Herausforderung der Schauspieler ist streckenweise auch Teil der Suche bzw. Aufforderung, zum Beispiel bei „Woyzeck“. Bei „Tosca“ in Basel und „Die schmutzigen Hände“ am Deutschen Theater wurden die Bühnen durch die Techniker bewegt. In beiden Projekten hat sich der Raum ständig verändert. Es gab jeweils lange Überlegungen, ob wir das mit Menschen oder mit Maschinen machen. Und Menschen waren in diesen Fällen immer die beste ­Lösung. Die Techniker waren von Anfang an dabei, sie bauen eben nicht nur auf, sondern sind Teil der Vorstellung. Das schweißt die Institution Theater noch mal zu einem Gesamtwerk zusammen.

Bisher haben Sie zwei Arbeiten an der Oper gemacht, wie waren die Erfahrungen dort? Leichtigkeit und Bewegung sind im Opernapparat doch eher nicht die vorherrschenden Attribute. Ist das eine Form, in der Ihre Bühnen genauso funktionieren können wie im Schauspiel?

Ja und nein. Was toll war – und das war bei „Don Giovanni“ auch so –, war, dass ich einen musikalischen Raum bauen konnte, einen Raum, der tanzen kann. Die Idee für „Tell“ in München war, dass sich die Bühne mit der Musik bewegen kann. Das hat viel mit Film und Musikclips und Animationsgeschichten zu tun. Auch, dass die Bühne eine Art Kamerafahrt übernehmen kann – auch ein großes Thema für mich. Also: Wie kommt man von einem Raum zum nächsten? Wo wechselt man die Bilder? Wo greift man ein, was ist wirklich wichtig? Will man nur illustrieren, oder geht man mit dem Raum auf den Zustand einer Person ein?
Ich hab bis jetzt zwei Opern gemacht, bzw. wenn man unseren „Don Giovanni“ als Oper nehmen möchte, sind es drei. Alle drei waren extrem bewegte Räume, und ich finde es spannend, die Musik als zusätzlichen Spielpartner nutzen zu können. Generell ist der Apparat Oper natürlich sehr durchgetaktet. Bei „Tell“ in ­München war es wirklich neu für mich, dass ich ein auf die Sekunde genau getimtes Storyboard machen konnte. Das war in dieser Arbeit auch nötig: eine Choreografie von über fünfzig einzeln beweglichen Säulen, je ein Meter im Durchmesser und neun Meter hoch, die am Schnürboden hängen. Man kann sich das wie ein großes Säulenballett vorstellen. Aus der Bewegung heraus ergeben sich immer neue Räume. Wir haben die Fahrten der Säulen komplett als Animationsfilm mit Musik über ein halbes Jahr vorbereitet.

Von der permanenten Beweglichkeit, der Geschmeidigkeit her erinnert mich die Bühne von „Tell“ auch an „Einige Nachrichten an das All“ am Wiener Burgtheater.

Stimmt, bloß auf einer anderen Achse. Bei den „Nachrichten“ war die Bühne eine Wand, 16 mal sechs Meter, aus 72 beweglichen Steinen, die alle einzeln über Motoren angetrieben werden und die sich 20 Zentimeter nach innen und 20 Zentimeter nach außen fahren lassen. Das Basismaterial ist schwarz-weiß gepunktetes Styropor, es erinnert an white noise, also Bildrauschen. Das wurde dann ästhetisch auch das Thema des Stücks, das man auch als einen Google-Amoklauf durch die Kultur- und Literatur- und Theatergeschichte des Wahnsinns lesen kann. Ich habe im Vorfeld ein Storyboard gebaut; nach dem Prinzip eines analogen Animationsfilmes mussten alle Bewegungen als Einzel­bilder gespeichert werden. Später waren das größere Bewegungsabläufe, die zum Teil mit Videomaterial von impulskontrolle bespielt waren, bzw. die Architekturen der Bühne und die Projektionen haben sich ergänzt. Bewegtes Bild auf bewegte Architektur. In diesem Falle Interaktion zwischen Spieler, Bühne, Video und Musik – Einfach nur Videos auf Wand, das will man auch nicht mehr sehen, man will neue Wege ausprobieren.
Das sind dann eben so die grundsätzlichen Fragen, auch bei „Nachrichten“ oder bei „Tell“: Setzt man sich auf das Stück drauf, auf die Musikalität, nutzt man das? Wie geht man damit um? Wo greift man da noch ein?

Noch einmal zurück zur Ausgangsfrage, wo Sie sich selbst mit Ihrem Bühnenbild, oft die maximale Reduktion eines zentralen Gedankens, verorten, gerade mit Blick auf den kollek­tiven Entstehungsprozess?

Es gibt eine Richtung vor, auf jeden Fall. Manche Bühnen stärker, manche nicht so stark. In den Arbeitskombinationen mit Jette Steckel und Antú Romero Nunes ist es für mich möglich, auf diese Weise zu arbeiten, und das ist großartig! Ich habe immer das Gefühl, dass die Setzungen der Bühne auch ganz viel zulassen, also eine Assoziationsfreiheit innerhalb eines Kosmos’ ermöglichen. Das ist natürlich erst mal eine Ansage, aber auch ein Angebot, an dem man sich abarbeiten kann, dem man sich ent­gegenstellen kann – das man aber auch bedienen kann. Im besten Fall geht man mit und geht dagegen, macht also ­beides. Wenn man die Spiellogik, die eigene Gesetzmäßigkeit des Raumes, erfasst hat, ist das Feld auf ­einmal ganz weit. Als Bühnenbildner mache ich eine große Setzung, in der man aber trotzdem noch eine Beweglichkeit hat. Es ist paradox, weil man sich einerseits einschränkt, das dann aber sehr reichhaltig ist. //

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