1. Theater als intervenierende Form: Ästhetisches und Politisches 1968
von Matthias Warstat
Erschienen in: Recherchen 174: Interventionen politischen Theaters (07/2025)
In seinem wichtigsten und markantesten theaterkritischen Essay für die Zeitschrift Theater heute entwirft Botho Strauß 1970 eine Reflexion zum Formwandel im Theater der Bundesrepublik um das von Revolten und Protesten geprägte Jahr 1968.1 Unter dem programmatischen Titel »Versuch, ästhetische und politische Ereignisse zusammenzudenken« möchte er zeigen, dass ästhetische und politische Veränderungen in dieser Umbruchphase in einem schwierigen Verhältnis zueinander stehen. Man kann aus seiner Sicht nicht von einem einfachen Zusammenhang zwischen politischen Ereignissen und ästhetischem Formwandel ausgehen, weder im Sinne einer Kausalität noch einer Dialektik. Genauso wenig aber will Strauß behaupten, dass ästhetische Veränderungen völlig unabhängig von den politischen Umbrüchen zu denken wären. Letztlich geht sein Plädoyer dahin, das historische Verhältnis von politischem Wandel und Formwandel sorgfältig auszuloten, ohne vorschnell Zusammenhänge zu konstatieren.
Das Experiment dieser Überlegungen ging davon aus, daß man das Bewußtsein von einer Koexistenz und Gleichzeitigkeit avancierter politischer und ästhetischer Entwicklungen sowohl als Anordnung disjunktiver und widersprüchlicher Erfahrungen als auch zugleich unter der Hypothese eines vermittelnden Zusammenhangs beschreiben müßte. Jede einseitige, isolierte Aussage, die vereinheitlichende wie die unversöhnlich-kontrastierende, erweist sich demgegenüber als falsch: weder ist alles mit jedem dialektisch verschwistert, noch lassen sich beide Entwicklungen, in ihrem fortgeschrittensten Stadium, schlechthin nicht mehr zusammendenken […].2
Die...