Theater der Zeit

Auftritt

Berlin: Überzeugend, charmant

Theater Rambazamba: „Einer flog übers Kuckucksnest“ von Dale Wasserman nach Ken Kesey. Regie, Bühne und Kostüme Leander Haußmann

von Erik Zielke

Erschienen in: Theater der Zeit: Barbara Mundel – Stürzende Gegenwart (12/2022)

Assoziationen: Berlin RambaZamba Theater

Wildes Bühnentreiben: Das Ensemble vom RambaZamba Theater in „Einer flog übers Kuckucksnest“ von Dale Wasserman nach Ken Kesey in der Regie von Leander Haußmann.
Wildes Bühnentreiben: Das Ensemble vom RambaZamba Theater in „Einer flog übers Kuckucksnest“ von Dale Wasserman nach Ken Kesey in der Regie von Leander Haußmann.Foto: Andi Weiland

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Hat das Publikum erst Platz genommen, wird auch schon ernst gemacht. Gleich zwei Personen verriegeln vorsorglich die Tür mit großer Geste. Zur Sicherheit aller, versteht sich. Zählen die beiden zum medizinischen Personal? Oder sind sie die Insassen dieser – unmoralischen – Anstalt? Wenigstens etwas Klärung bringen erst die nächsten Szenen. Denn das Pathologische ist in dieser Theaterfassung von „Einer flog über das Kuckucksnest“, frei nach Ken Keseys Roman und der nicht minder berühmten gleichnamigen Verfilmung durch Miloš Forman, wirklich jeder Figur eingeschrieben.

Dieses eindringlichen Stoffes hat man sich am RambaZamba Theater angenommen. Das in Berlin-Prenzlauer Berg beheimatete Ensemble ist bekannt für seinen inklusiven Ansatz: Hier stehen zahlreiche Schauspieler mit Behinderung auf der Bühne. Aber schon dieser Hinweis geht an dem vorbei, was das Theater bemerkenswert macht. Denn hier wird zunächst und vor allem große Kunst gemacht. Mit sonderpädagogischen Maßnahmen hat das denkbar wenig zu tun. Mit einem guten Händchen bei der Stückauswahl hat man sich eine eigene anarchische Spielweise erarbeitet. Das wilde Bühnentreiben geht aber nie zulasten der literarischen Vorlagen, sondern nimmt sie ernst und erweitert sie zugleich durch einen je eigenen Fokus.

Dem RambaZamba ist mit der Wahl des Regisseurs ein kleiner Coup geglückt. Theateraltpunk Leander Haußmann musste man nach Ende der grauen Ägide Claus Peymanns am Berliner Ensemble und einem Intermezzo an der übergangsgebeutelten Volksbühne – so man nicht den Weg ins Kino antreten wollte – in der Hauptstadt einige Zeit vermissen. Nun ist Haußmann wieder da, arbeitet erstmals mit dem RambaZamba-­Ensemble, und man darf hoffen, dass es nicht bei einer einmaligen Kollaboration dieser freigeistigen Theatermenschen bleibt.

Haußmann war sich bei diesem gut eineinhalbstündigen Bühnenabend auch selbst sein eigener Kostüm- und Bühnenbildner. Spartanisch eingerichtet ist diese Irrenanstalt. Weit seitlich hat sich Phil Haussmann, auch bekannt unter dem Namen gespenster, positioniert, der die Inszenierung musikalisch begleitet. Gut sichtbar ist der ikonische Basketballkorb, der wohl jedem, der die Verfilmung einmal vor Jahren gesehen hat, noch in Erinnerung ist. Das durchaus komplexe Handlungsgeschehen wird immer wieder auch durch Bildeinspielungen aus Formans Filmklassiker transportiert, denen die Darsteller mittels Live-Synchronisierung aber ihren sehr eigenen Charakter verleihen. Franziska Kleinert spielt die tyrannische Oberschwester Ratched als menschenfeind­liche Strippenzieherin und quält vor allem Billy Bibbit, den Dirk Nadler in all seiner Verzweiflung zu verkörpern weiß. Jonas Sippel steht als McMurphy auch Hollywood-Star Jack ­Nicholson in nichts nach. Und Christian ­Behrend findet seine eigene Übersetzung für die Rolle des stoischen „Indianerhäuptlings“. Alle zusammen so überzeugend wie charmant in der Figurenanlage. Den inszenatorischen Höhepunkt bildet schließlich der Ausbruch aus der Anstalt, den Haußmann abermals als Videoprojektion stattfinden lässt. Die zeigt das RambaZamba-Ensemble, unterstützt durch Gäste aus der Welt des deutschen Kinos, bei einem emphatischen Kiezspaziergang. Verrückt, aber lebensfroh.

Ist das denn eigentlich erlaubt – Schauspielerinnen und Schauspieler mit Behinderung in den Rollen der Insassen einer Nervenheilanstalt auftreten zu lassen? Wer daran ernsthaft zweifelt, ist wohl für das Theater längst verloren. Denn hier kann man Zeuge eines wirklich spielfreudigen Ensembles werden, das noch an die Kraft von Geschichten glaubt. Fernab von jeglichen kunstfeind­lichen Reglementierungen, wer wen weshalb nicht darstellen könne. Und am Ende der Vorstellung ist sicher jedem klar: Die Grenze ­zwischen den Psychotikern und der schein­gesunden Mehrheitsbevölkerung ist längst nicht so deutlich, wie wir uns zur Selbstberuhigung glauben machen wollen. //

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