Ambivalenzen der neuen Ordnung
Die Dialektik der neuen Realitäten: Sein und Schein
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Der unerbittliche Angriff des Puritanismus, des „Verwirklicher[s] der englischen Reformation“99 auf das Theater, der 1642 zu der über ein Jahrzehnt dauernden Schließung der öffentlichen Theater Londons führte, war charakteristisch für eine breite internationale Bewegung. „Mag sich das Puritanertum noch so sehr von anderen Reformern und von katholischer Frömmigkeit unterscheiden und absondern, den Grundzug der Frömmigkeit, der Verinnerlichung und asketischen Abkehr von der Sinnenwelt teilt es mit der großen Glaubensrenaissance, die im 17. Jahrhundert namentlich über die Länder nördlich der Alpen wie eine große Welle hinzieht.“100
Den unternehmerischen Bürger beunruhigte aber wohl nicht in erster Linie die aufdringliche Sinnlichkeit; ihm waren grundlegende Wesenszüge des Theatralen und insbesondere des „wilden“, sprunghaften Theaters der Shakespearezeit unbehaglich, ja höchst verdächtig. Es erschien ihm wie der anonym abstrakte Markt, seine eigene Schöpfung, die Grundlage seines Lebens und seiner Gewinne, der ihn zugleich zutiefst bedrohte mit seiner Ortlosigkeit, seiner Instabilität, seinen ungeheuren Unwägbarkeiten, jähen Wendungen und den katastrophalen Niederlagen, die man auf ihm als sein Akteur erleiden konnte.101 Zwar entsprach die protestantische Ethik dem „Geist des Kapitalismus“, aber es war ein weltlicher Asketismus des frühen Kapitalismus, der sich ironischerweise gegen die Möglichkeiten und die Aufdringlichkeit des „ortlosen Markts“ richtete. Man fürchtete jede Instabilität,...