Thema
Als Kärntner Slowene bin ich ein rotes Tuch
Der neue Burgtheater-Intendant Martin Kušej über den steifen Wind aus Richtung der FPÖ und sein Gegenprogramm eines Theaters der kulturellen Vielfalt im Gespräch mit Christoph Leibold
von Christoph Leibold und Martin Kušej
Erschienen in: Theater der Zeit: Miser Felix Austria – Martin Kušej über seinen Start am Burgtheater (09/2019)
Assoziationen: Burgtheater Wien
Herr Kušej, der Burgtheater-Direktor, heißt es in Wien halb ernst, halb scherzhaft, rangiert in Österreich noch über dem Bundespräsidenten. Recht viel höher kann es für einen Theatermacher nicht hinaufgehen.
Dagegen arbeite ich aber an. Ich möchte nicht als „Herr Direktor“ angesprochen werden. Ich bin niemand, der korrumpierbar wäre durch so eine Ansprache. Trotzdem mache ich mir Gedanken zu Geschichte und Tradition des Burgtheaters, die mir natürlich Respekt einflößen. Ich habe den Job angenommen, weil ich mich frage, wie man eine solche Institution fit macht für die Zukunft. Die Wiener Staatsoper, die Salzburger Festspiele und eben auch das Burgtheater begründen den Anspruch Österreichs als Kulturnation. Muss ich diese Tradition partiell auch ausblenden, um nach vorne zu schauen? Wie geht es weiter mit dem Theater in einer digitalen Gesellschaft? Welche Rolle kann das Theater spielen in einer Metropole wie Wien, wo viele Sprachen und Ethnien zusammenleben? Das sind Fragen, mit denen sich auch dieses Traditionshaus beschäftigen muss. Das will ich angehen.
Was die Kulturnation Österreich angeht, hat die Zeit einmal geschrieben, das Burgtheater sei „Wahrzeichen eines Staats, der verlorene politische durch kulturelle Weltgeltung ersetzt“. Ist da was dran?
Finde ich gar nicht. Wir können nichts ersetzen und müssen auch nicht für Weltgeltung sorgen. Mir drängt sich eher die Frage nach dem politischen Einfluss des Theaters auf. Haben wir den? Ganz ehrlich: Ich sehe das nur begrenzt! Aber die ganze Aufregung ums Burgtheater ist natürlich typisch österreichisch. Dieser Aufregung sollte man am besten einen Inhalt geben, damit sie nicht um ihrer selbst willen stattfindet, sondern eine Haltung sichtbar wird, über die man streiten kann; eine kritische Haltung gegenüber der Politik. Im Übrigen finde ich, dass Österreich gerade durchaus eine Rolle spielt in der internationalen Politik, allerdings auf eine ganz andere Art, als ich mir das wünschen würde. Wir hatten bis vor Kurzem einen Bundeskanzler, der eine sehr fragwürdige Position in der Asyl- und Flüchtlingsfrage eingenommen und sich den Rechtspopulisten angebiedert hat, nicht nur innenpolitisch, sondern auch nach außen. Auf diese Weise spielt Österreich politisch derzeit wirklich eine gewichtige Rolle. Aber es ist die komplett falsche.
Sie legen am Burgtheater kurz vor den Neuwahlen in Österreich los, die nach dem Auseinanderbrechen der regierenden ÖVP-FPÖ-Koalition infolge des Ibiza-Skandal-Videos um Heinz-Christian Strache nötig geworden sind. Nach allem, was man so hört, hat die FPÖ keinen besonders großen Schaden genommen durch die Affäre. Fürchten Sie ihre neuerliche Regierungsbeteiligung?
Definitiv. Die ÖVP hat sich zwar vorerst von diesem seltsam faschistoiden Teil der FPÖ abgegrenzt, aber ich glaube, das wird nur von kurzer Dauer sein. Ich bin entsetzt, wie wenig empört sich manche Menschen über das demokratiefeindliche Gebaren Straches in diesem Video zeigen. Meine Befürchtung ist, dass es zu einer Neuauflage der ÖVP-FPÖ-Koalition kommt, nur mit geschönter Fassade.
Berufen wurden Sie vor zwei Jahren noch unter einer SPÖ-geführten Regierung. Hätten Sie damals schon gewusst, wie sich die Lage entwickeln würde, hätten Sie den Job dann auch angenommen?
Ja, denn mir war schon lange klar, dass die FPÖ früher oder später in der Regierung sitzen wird. Überrascht hat mich allerdings die Schamlosigkeit, mit der die nationalistischen Kräfte und Burschenschaftler-Kreise der FPÖ diese Regierungsmacht ausgenutzt haben. Aber auch das ist kein Grund für mich, hinzuschmeißen. Bis zur Wahl gibt es eine kleine Verschnaufpause, aber für die Zeit danach mache ich mich auf einen steifen Wind gefasst.
Ich habe von Ihnen den Satz gelesen: „Ich gehe stark davon aus, dass ich auf fünf Jahre bestellt bin, um ein Theater ohne äußeren Einfluss vonseiten der Politik zu leiten.“ Was macht Sie so zuversichtlich?
Ich habe das gesagt, weil der Kulturminister damals – trotz Regierungsbeteiligung der FPÖ – von der ÖVP gestellt wurde. Und da hatte ich keine Befürchtungen. Ich habe es als Intendant des Münchner Residenztheaters auch in Bayern nie erlebt, dass sich die CSU eingemischt hätte. Diese hat inzwischen gelernt, sich aus der Kunst rauszuhalten. Mit der FPÖ, wie auch mit der AfD, ist es allerdings anders. Die schauen genau, was man macht und sagt – wahrscheinlich auch in einem Interview wie unserem. Dazu kommt, dass ich für die FPÖler vermutlich per se ein rotes Tuch bin. Es kann für sie sicherlich nicht angehen, dass ich als Kärntner Slowene das Burgtheater leite und dann gleich zwei zentrale Begriffe infrage gestellt habe, nämlich „Nationaltheater“ und „Burgtheaterdeutsch“. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass jemals ein FPÖ-Minister für die Kultur zuständig sein wird.
Und dennoch bleibt die politische Lage eine Herausforderung …
… und ich werde auch sicher kein Blatt vor den Mund nehmen. Aber die Erwartung, die auf mir lastet, sozusagen Oppositionsarbeit zu leisten, ist mir zu groß. Claus Peymann hatte Spaß an dieser Rolle, mein Stil ist das nicht. Ich möchte einen klugen und komplexen Diskurs führen. Lautes Dagegenhalten und Gezeter sind nicht mein Ding.
Man muss ja auch unterscheiden: Was sagt Martin Kušej als Person des öffentlichen Lebens – und was erzählt uns das Theater, das er macht?
Das ist absolut richtig. Was das Theater betrifft, so wollen wir uns damit zur Gegenwart verhalten, indem wir zum Beispiel mit den vielen Sprachen arbeiten wollen, die in Wien historisch wie heute gesprochen werden. Das bedeutet nicht, dass wir das Deutsch auf der Bühne abschaffen. Das bleibt die zentrale Sprache der Verständigung. Aber es kann nicht darum gehen, ein Burgtheaterdeutsch zu pflegen, sondern es geht darum, mutig das Fremde zuzulassen. Tagespolitisches Theater zu machen mag zwar manchmal kurzfristig nötig sein. Auf längere Sicht wollen wir aber einen anderen Weg gehen.
Dazu beschäftigen Sie in Ihrer ersten Spielzeit Regisseurinnen und Regisseure aus 13 verschiedenen Ländern. In Baden-Württemberg hat die AfD unlängst eine Anfrage gestartet, wie viele ausländische Künstlerinnen und Künstler an den Staatstheatern beschäftigt sind. So was könnte der FPÖ auch einfallen.
Zweifellos. Aber damit entlarven sie sich selbst. Ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der Gesellschaft das unsäglich findet. Nur leider ist ein Teil dieser Mehrheit oft schweigend, und ich frage mich, wie wir diesen Teil aktivieren können.
Sie lassen bei der Eröffnung Ihrer Intendanz am Burgtheater Ulrich Rasche den Vortritt, der „Die Bakchen“ des Euripides inszenieren wird. Ungewöhnlich, diese Zurückhaltung für einen regieführenden Intendanten.
Ich muss nicht als Erster meine Duftmarke setzen. Außerdem folgen ja bald ein paar Inszenierungen, die ich aus München mitbringe – Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ zum Beispiel –, und im November dann meine erste Arbeit für Wien: Kleists „Hermannsschlacht“. Das ist für mich das Stück zur Stunde. Hermann ist, mit Verlaub, ein populistisches Arschloch. Solche Hermanns haben wir gerade eine Menge auf dieser Welt.
Dass vor Ihnen Ulrich Rasche eine Inszenierung herausbringt und dann noch der Israeli Itay Tiran im Akademietheater Wajdi Mouawads „Vögel“ in viersprachiger Fassung zeigt (auf Deutsch, Englisch, Hebräisch und Arabisch), ehe Sie Ihre Arbeiten präsentieren, könnte man als ritterliche Zurückhaltung des neuen „Burgherrn“ bezeichnen. Würde darin nicht eine Metaphorik anklingen, die Ihnen missfällt?
Burgherr! Ganz schlimm! Wer in meiner Gegenwart vom Burgtheater als „die Burg“ redet, muss zehn Euro zahlen. Der Begriff suggeriert eine Abwehrhaltung. Man denkt an Uneinnehmbarkeit, Gewalt und Abschottung. Das finde ich schrecklich. Theater muss offen sein, durchlässig und lebendig.
Um eine Burg zieht man erst einen Graben und dann die Zugbrücke hoch. Da sind wir wieder bei der Politik. Das wünschen sich manche von der Festung Europa auch. Und „Nationaltheater“ ist der passende Begriff zu dieser Denkart.
Genau. Aber die Menschen, die so denken, müsste man gleich fragen: Was ist denn das überhaupt, diese österreichische Nation? Wo kommt die her? Dazu müsste man in Österreich nach dem Krieg aufgewachsen sein und erlebt haben, wie in den Schulen oder bei Großereignissen wie den Olympischen Spielen 1976 in Innsbruck versucht wurde, ein Nationalbewusstsein zu formen. Nach dem Motto: Wo sind wir gut? Genau, im Skifahren! Also sind wir eine Ski-Nation. Der Nationalitätsbegriff, der da entstanden ist, hat aber mit der Geschichte nichts zu tun. Österreich ist aus vielen Sprachen und Kulturen zusammengemischt worden. Das hat mein Bewusstsein als Österreicher geprägt. Es ist definiert durch diese Vielgestalt. Das muss man denen, die vom Nationaltheater faseln, immer wieder sagen, denn ich fürchte, sie meinen mit Österreich etwas komplett anderes. Wenn schon Nationaltheater, dann schwebt mir ein europäisches Nationaltheater vor. Statt der Domain www.burgtheater.at hätte ich am liebsten www.burgtheater.eu.
Zumal Wien ja auch eine sehr europäische, internationale Stadt ist, allein was die Zusammensetzung der Bevölkerung angeht.
Die Frage ist: Wie erreicht man die verschiedenen Gruppierungen? Das geht nicht so leicht. Darum recherchieren wir gerade noch. Welche Communitys gibt es? Haben diese ein Interesse an unserer Theaterarbeit? Wo sind kulturinteressierte Kreise, die Ungarn, Türken, Slowenen, Slowaken …, die sich vom Burgtheater bisher nicht angesprochen fühlen? Gleichzeitig schauen wir, wie wir mit bildungsferneren Wienern in Kontakt treten können – hier insbesondere Kinder und Jugendliche, die Theater bisher vielleicht nicht erlebt haben.
Eine Möglichkeit, als Theater für ein breit gefächertes Publikum attraktiv zu werden, ist Diversität im Ensemble.
Die streben wir grundsätzlich auch an. Aber das ist ein langer Prozess und nicht mit irgendwelchen Quoten zu erreichen. Wer ein super Schauspieler ist, hat seinen Platz am Burgtheater, unabhängig von Herkunft oder Aussehen.
Die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler hat gesagt, Wien sei absolut schauspielergetrieben, es orientiere sich an Darstellern, weniger an ästhetischen Konzepten. Teilen Sie diese Einschätzung?
Da stimme ich zu. Ich denke aber, dass das für viele andere Städte genauso gilt. Ich habe zum Beispiel auch in München die Erfahrung gemacht, dass sich die wenigsten Zuschauer dafür interessieren, wer ein Stück inszeniert hat. Die wollen wissen, wer auf der Bühne steht. Und vielleicht noch, wer es geschrieben hat.
Über das Residenztheater haben Sie gesagt, ein so großes Haus mit so großem Ensemble müsse sich den großen Stoffen der Weltliteratur widmen. Das Burgtheater ist noch eine Nummer größer. Gilt das dort also erst recht? Selbstverständlich. Das wäre auch an einem Stück wie der „Hermannsschlacht“ zu beweisen. Das hat an die vierzig Rollen. Die muss man nicht alle besetzen. Aber knapp zwanzig Darstellerinnen und Darsteller machen da schon mit. Das übersteigt die komplette Ensemblegröße mancher kleinerer Häuser. Ich finde es natürlich gut, wenn man ein Stück nicht auf die Möglichkeiten eines Ensembles zurechtkürzen muss.
Ihre Vorgängerin Karin Bergmann hat das Burgtheater nicht nur finanziell konsolidiert, sondern auch das Ensemble befriedet, das gespalten war in Parteigänger ihres geschassten Vorgängers Matthias Hartmann und Schauspieler, die ihm ablehnend gegenüberstanden. Kritik gab es an seinem Führungsstil, die Rede war von einer „Atmosphäre der Angst“, die Hartmann verbreitet habe. Auch unter Ihnen in München am Residenztheater rumorte es zeitweilig. Nachgesagt wurden Ihnen ein Hang zu Cholerik und autoritärem Auftreten. Wie geht man damit um, wenn einem so ein Image – ob zu Recht oder Unrecht, können wir als Außenstehende kaum beurteilen – vorauseilt?
Ich kann das nur durch meine konkrete Arbeit widerlegen. Jeder, der mit mir schon mal gearbeitet hat, weiß, dass das nicht stimmt. Gleichzeitig bin ich für eine klare Kommunikation. So bin ich auch sofort nach meiner Ernennung dem Burgtheater-Ensemble gegenübergetreten. Und wenn man dann Entscheidungen trifft, zum Beispiel einen Vertrag nicht zu verlängern, macht man sich natürlich nicht immer beliebt. Dennoch ist das stets respektvoll passiert.
Gleichwohl: War diesbezüglich die Interviewaussage im ORF vom „Suppentopf“ – den Sie zur Hälfte „ausschütten“ wollten, um „eine neue Suppe aufzukochen“ – nicht mindestens unglücklich?
Nein, denn das wurde massiv aus dem Zusammenhang gerissen. Ich habe da ja gar nicht über das Ensemble gesprochen, sondern über die Verfasstheit der Wiener Kulturszene, die kaum über den eigenen Tellerrand schaut. Die wenigsten Künstler dort haben Ahnung, was sich im Rest der Welt abspielt, halten sich aber für deren Nabel. Das ist definitiv ein Irrtum.
Seit Kurzem steht auch fest, wer Ihr neuer Nachbar in Wien wird. Kay Voges tritt 2020 als Intendant am Wiener Volkstheater an. Davor gibt er schon mal bei Ihnen seine Visitenkarte ab. Voges wird im Dezember eine „Endzeitoper“ mit dem Titel „Dies Irae“ im Burgtheater inszenieren …
… das war schon vor seiner Berufung vereinbart.
Kann man aber davon ausgehen, dass das, wofür Voges steht, nämlich die Digitalisierung ins Theater zu holen, ansonsten eher nicht Ihr Weg sein wird? Dass sich also allein dadurch schon eine gewisse Trennschärfe zwischen beiden Häusern ergeben wird?
So ist es. Ich möchte mich auf das besinnen, wo das Theater herkommt. Der Kern des Theaters sind die Schauspieler, die – live! – auf der Bühne stehen, sich mit Emotionen beschäftigen und Geschichten erzählen.
Sie behaupten das Theater weiter als analogen Ort.
Ja. Das mögen manche als Anachronismus bezeichnen. Aber dieser Anachronismus macht mir große Freude! //