Auftritt
Mainfrankentheater Würzburg: Jandl wird prosaisch
„Calypso“, eine Sprechoper nach Ernst Jandl – Regie Markus Trabusch, Bühne Catharina Gormanns, Kostüme Pascal Seibicke
von Michael Helbing
Assoziationen: Theaterkritiken Bayern Markus Trabusch Ernst Jandl Mainfranken Theater Würzburg

Einmal, ein einziges Mal in diesen beinahe zwei Stunden, klingelt das olivgrüne Wählscheibentelefon auf dem Bord, neben Whisky- und Wodkaflaschen. Laut Text würde es eine etwas andere Rolle spielen und vorkommen. Nun aber meldet sich derart der Dichter Ernst Jandl, der echte Sprach- und Sprechkünstler (1925-2000). Man solle nicht jandln, empfiehlt seine Stimme aus der Ferne und, nun ja, aus der Fremde, ihn also nicht imitieren. „Sondern jeder soll versuchen, seinen eigenen Weg durch ein solches Sprechen zu finden.“
Das haben sie auf ihre Weise in Würzburg durchaus getan, in „Calypso“, einem Abend, den sie als eine Sprechoper nach Ernst Jandl ankündigten, wovon das Programmheft allerdings schweigt. Jandl erfand die Bezeichnung Sprechoper für „Aus der Fremde“ (1979), das einzige vergleichsweise abendfüllende seiner Stücke. Es bildet hier Basis und Zentrum zugleich, montiert mit lauter Sprech-, aber nicht nur Lautgedichten Jandls, flankiert vom Konversationskurzdrama „die humanisten“.
Mit dieser Mischung hatte zuletzt Claudia Bauer Erfolg, als sie Anfang 2022 mit acht Schauspielern am Wiener Volkstheater „humanistää!“ als „eine abschaffung der sparten“ inszenierte, was ihr umgehend eine Einladung zum Berliner Theatertreffen sowie Nestroy-Preise für die beste Regie und die beste Aufführung im deutschsprachigen Raum einbrachte. Sie hatte in der Begegnung von Sprache, Rhythmus und Musik das Drama im Gedicht und das Gedicht im Drama sicht- und hörbar werden lassen – obschon Jandl in „Aus der Fremde“ dekretierte: „Jede Verwendung von Musik ist zu unterlassen.“ Sie jandlte also auch nicht.
Musik im direkten wie übertragenen Sinne kommt in Würzburg nur einmal vor. Hannes Berg als Jandls Alter Ego spricht „Calypso“, das titelgebende Gedicht von 1957 („ich was not yet / in brasilien / nach brasilien / wulld ich laik du go“) und beginnt es dann zu singen: aus gegebenem Anlass zur Melodie des Banana Boat Songs aus dem ein Jahr älteren „Calypso“-Album Harry Belafontes, der in diesem April starb. Ansonsten beschreiten die ebenfalls acht Schauspieler alles in allem einen vergleichsweisen klassischen Weg durch ihr Sprechen und Spielen. Intendant Markus Trabusch inszeniert sein Chefstück in der Haltung mitunter gar derart, als sei es von Tschechow oder Ibsen.
Eine Sprechoper wird daraus jedenfalls nicht. Keine „stimmliche Improvisation“, wie sie Jandl vorschlug, kein Wortkonzert, kaum ein Rhythmus oder Klang darin, schon gar kein eigener. Und körperliche Originalität nur in Ansätzen. Das Lyrik-Drama-Spiel kommt recht prosaisch daher.
Die Inszenierung tendiert zur Konfektionsware, nur ausgerechnet ihre Kostüme tun dies nicht. Pascal Seibicke steckt Jandl sowie seine kurzzeitige Vervierfachung in großkarierte hellgrüne Zweireiher zu senfgelbem Poloshirt und ebensolchen Socken. Wenn der sich aber schlafen legt („liegen, bei dir“) und die Dämonen , Ungeheuer, Traumgestalten, die sein Schlaf gebiert, die Szene übernehmen, wird es grell und schrill und bunt in der Schwarzweißkulisse von Catharina Gormanns, die hohe Regalwände mit Büchern und Manuskripten zeigt sowie einen Parkettboden auf schiefer Spielebene. Darauf ein langer Holztisch und Jandls Regiestuhl, wie man ihn im Wiener Literaturmuseum Grillparzerhaus findet. Utensilien des Schreibers werden wie Trophäen hereingetragen: Schreibmaschine, Füllfederhalter und Bleistifte, Anspitzer mit Kurbel, ein Stoß Papier.
Clowneske Comicfiguren aus der Fremde dringen ein in des Dichters Ringen um Worte, Sätze und Sentenzen, um das es im aus dreizeiligen Strophen bestehenden Versdrama „Aus der Fremde“ auch geht. Ein (autobiografisch grundiertes) Stück über des Dichters Einsamkeit und Verlorenheit und Depressionen sowie die Qualen des Stückeschreibens, denen Hannes Bergs nachdenkliche Darstellung Kontur gibt: „das leere blatt glotze ihn an / und es klammere sich an die feder seine kopfverlassende hand / bis er sie schmeiße aufs glotzende weiß, dass dort wenigstens ein fleck sei.“
Die Figuren des Stückes, im Konjunktiv und in der dritten Person verfasst, sind zugleich dessen Autoren; sie treten im vollen Bewusstsein ihrer Doppelrolle auf. „er“ ist Jandl, der sich gleichsam selbst verwirft, wenn er hier Texte tippt und das Blatt dann zerknüllt: „die gedichte dieses mannes sind unbrauchbar“, wie es im Gedicht „urteil“ heißt. „sie“ ist die Dichterin Friederike Mayröcker, Jandls lebenslange Partnerin als ständiger Gast (Nina Mohr). Dann noch ein Dritter: „er2“, der Intellektuelle (Anselm Müllerschön), der in der Würzburger Version jene Paarbeziehung nicht analysiert, sondern rekapituliert, indem er den Diskurs, den er und sie über das Stück, das Theater, die Regiekunst miteinander führten, wiederholt.
Dann also noch, im Finale, die Konversation von „witzelnschaft“ und „kunstelnschaft“, angelegt zwischen „burgentheatern“ und „salzenburger fetzenspielen“: der Professor und der Künstler als „die humanisten“ im unkonjugierten Disput über „mein schön deutsch sprach“. Georg Zeies und Nils van der Horst nationalstolzieren als kulturstockkonservative Chauvinistenclowns auf aberwitzig hohen Plateausohlen durch die Gegend, um die Hüften hängen große Charaktermasken wie ein Trägerkleid. Die Frauenfigur wird zum Quartett aufgefächert, alle in grünen Tentakelkostümen, mit Gretelzopfkranz. Das bleibt eine äußerliche, eine nahezu ausgestellte Beschäftigung mit dem Text.
Gleichwohl hat dieser Abend seine amüsanten Seiten, er folgt einer intelligenten Dramaturgie und er gelangt zu einiger Dynamik. Mit Kühnheit haben sie ihn sogar recht häufig in der Blauen Halle angesetzt, dem Interim des Mainfrankentheaters, draußen, vor den Toren der Stadt (die Premiere sah noch viele freie Plätze). Es wird dann allerdings mehr ein Abend über und zu Jandls Universum als einer, der mit ihm und durch es hindurch etwas ansteuert, was darüber hinausweist.
Erschienen am 23.5.2023