Theater der Zeit

Stück

Frau Schmitz

von Lukas Bärfuss

Erschienen in: Theater der Zeit: Playtime! – Der Theatermacher Herbert Fritsch (05/2017)

Assoziationen: Dramatik Schauspielhaus Zürich

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PERSONEN
Frau Schmitz
Leni, die Ehefrau
Valerie, die Tochter
Carl, ihr Freund
Rolf, der Chef
Sven, ein Projektleiter
Mara, die Personalerin
Julius, ein Angestellter
Dr. Julie Gerber, eine Ärztin

SCHAUPLÄTZE
In einer Firma, im Hause Schmitz, in einem Park, in einer Klinik für kosmetische Chirurgie

Anmerkung des Autors: Dieses Schauspiel entstand in der Spielzeit 2016/2017 am Schauspielhaus Zürich. Die Rolle der Frau Schmitz wurde in den Szenen 1 bis 34 von Friederike Wagner, in den Szenen 35 bis 37 von Lambert Hamel gespielt. Die Idee zu diesem Tausch stand am Anfang meiner Auseinandersetzung mit diesem Stoff.

EINE BRAUNSCHWEIGER FAYENCE
In einer Firma, in einem etwas düsteren Büro, Montagmorgen. Julius, Frau Schmitz in Damengarderobe.
JULIUS Warum sind Sie nicht gekommen, Frau Schmitz, letzten Sonntag. Warum haben Sie mich warten lassen. Hat Sie die Antiquitätenmesse nicht interessiert. Oder finden Sie mich seltsam. Ich bin seltsam. Ich hätte eine Begleitung gehabt. Ein Mädchen aus dem Erdgeschoss. Das könnte ich haben, jederzeit. Es ist in meinem Alter und streicht um meine Beine wie eine rollige Katze. Darauf bilde ich mir nichts ein, das macht es mit jedem, es kann nicht anders. Es schiebt sein Fleisch durch die Strasse, klebt Acrylschaufeln an die Nägel und Polyesterborsten an die Wimpern. Alles an ihm stinkt nach Jugend, aber ich sehne mich nach Reife, Frau Schmitz, nach Patina, nach dem Sabi, wie die Japaner die edlen Spuren des Gebrauchs auf ihren Tassen der Teezeremonie nennen. Wo waren Sie, Sonntag. Im Kreise Ihrer Familie. Haben Sie auf dem Balkon gesessen bei Kaffee und Kuchen. Haben Sie einen Spaziergang gemacht an der Seepromenade. Wie man das so tut, als Ehepaar. Schön. Haben Sie einmal an mich gedacht. Durch die Hallen bin ich gerannt, im Kongresshaus, von einem Stand zum nächsten und habe nach einem Geschenk gesucht, einem Pfand, dass ich Ihnen zu Füssen legen könnte. Da gab es eine Braunschweiger Fayence, die hätte Ihnen bestimmt gefallen, für die Kommode in Ihrem Schlafgemach. Eine Iserlohner Dose, fürs Puder, oder als Etui für den Anhänger aus Achat, den Sie nur gelegentlich tragen, zuletzt am Donnerstag vor Ostern, stimmt es nicht.
Aber nichts war angemessen, Frau Schmitz, nicht die Fayence und nicht die Dose. Und so irrte ich weiter. Hat es bei Ihnen auch geregnet, letzten Sonntag, frage ich Sie, denn in meinem Himmel gab es einen Wolkenbruch, meine Territorien standen unter Wasser, überflutet alles von den Fundamenten bis zu den Giebeln, ich watete durch einen feuchten Untergang, und ich bin sicher, ein Tropfen meiner Sintflut hat der Wind auch zu Ihnen geweht und Ihr Gesicht benetzt, denn um neun Minuten vor fünf, als schon die Glocke ging und alles zu den Ausgängen strömte, da sah ich es, in der Vitrine eines Händlers aus Armenien, das Glas, Frau Schmitz, ein Flügelglas, aus Venedig, tief aus dem siebzehnten Jahrhundert, fliehende Hirsche auf dem Kelch, der Stiel in reizend überflüssigen Arabesken geschwungen, der Rand schon etwas angefressen von der Glaskrankheit, da wusste ich: dies gehört der Frau Schmitz, dies ist sie, ein Wunderwesen wie dieses Glas, durchsichtig und doch opak, spröde und doch mit Glanz, ein Becher, der noch zu füllen ist. Dies ist meine Schwäche: was schwach ist, zerbrechlich, was so zart ist, dass es selbst den zärtlichsten Fingern nicht standzuhalten vermag, dies möchte ich greifen, ich möchte es liebkosen und vor der Welt beschützen. Was es mich gekostet hat. Die Anmut hat keinen Preis. Ich habe es zu Hause gelassen, Frau Schmitz, das Glas, dieses Gebäude, die merkantile Obszönität ist seiner nicht würdig. Eines Tages werde ich es Ihnen schenken, zu Füssen legen, wenn diese Hölle aus Werktagen ein Ende findet und Sie mir einen Abend schenken, einen Samstag oder den Tag, der Gott gehört.

KOPF
Zur selben Zeit, in einem Sitzungszimmer derselben Firma. Das Licht ist etwas heller, die Stimmung nicht weniger düster. Sven und Mara.
SVEN Mara.
MARA Nicht jetzt.
SVEN Aber Mara.
MARA Du bist jetzt still.
SVEN Ich brauche eine Antwort.
MARA Es geht um deinen Kopf.
SVEN Um meinen Kopf.
MARA Da kommt er schon.

BUSVERGEWALTIGUNGEN
Am selben Ort. Mara, Sven, Rolf.
ROLF Sven. Ich weiss, es ist vergeblich, dich darum zu bitten, aber für einmal, mach es kurz.
SVEN Kurz.
ROLF Für einmal. Heute.
SVEN Also.
ROLF Los.
SVEN Jetzt weiss ich nicht. Das blockiert mich jetzt.
ROLF Versuch‘s.
SVEN Kurz.
ROLF Bitte.
SVEN Es gab einen Ausfall. In einem Werk in Dschaipur.
ROLF Kannten wir da jemanden.
MARA Nur den Kinsley.
ROLF Kinsley.
MARA Der war mal hier zu einem Austausch.
ROLF Ah, der Kinsley. Feiner Kerl.
MARA Furchtbar.
ROLF Man muss jeden Tag geniessen. Denn plötzlich, zack, und es ist vorbei. Geht auch dir einmal so, Sven.
SVEN Mir.
ROLF Zack und Schluss. Hat man der Familie eine Karte –
MARA Schon erledigt.
ROLF Wer hat unterschrieben.
MARA Das lag schon gestern in der Dokumentenmappe.
ROLF Aha. Das war dieser Kinsley. Was kommt da sonst noch auf mich zu.
SVEN Wenig. Höchstens Kulanzzahlungen. Aber haftbar, jetzt nach Recht und Gesetz, das ist der Subunternehmer. Ein Russe. Furchtbarer Mensch. Furchtbare Umgangsformen. Kein Gefühl für gar nichts. Nette Frau, aber das ist dort ja nichts Aussergewöhnliches.
ROLF Aha. Und das ist alles.
SVEN Im Grossen und Ganzen, ja.
ROLF Bis wann müssen wir einen Zulieferer finden.
SVEN Bis zum Vierundzwanzigsten.
ROLF Und.
SVEN Wir suchen.
ROLF Wer ist der Endabnehmer.
SVEN Das ist der Saudi.
ROLF Der Saudi. Was steht da im Vertrag.
SVEN Er erwartet die Lieferung am Vierundzwanzigsten, und zwar Fracht und Kargo schaumverpackt.
ROLF Und sonst.
SVEN Konventionalstrafe.
ROLF Aha. Wieviel.
SVEN Das berechnen wir gerade, aber in der Grössenordnung zwischen vierhundert und eins Komma sieben, vielleicht vier Komma drei fünf, höchstens, wie gesagt, das berechnen wir gerade, das kommt darauf an, ob wir einen Totalausfall, einen Dreiviertel- oder einen Halbausfall undsoweiter.
ROLF Können wir ausweichen.
SVEN Wir haben das Angebot eines Usbeken, aber keiner hier hat Erfahrungen mit Usbeken.
ROLF Wir hatten doch mal diesen Indonesier.
SVEN Und haben danach einen Eid geschworen. Nie wieder einen Indonesier.
ROLF Das ist schon eine Weile her. Die haben sich entwickelt.
SVEN Am Ende des Tages bleiben es Indonesier.
ROLF Und sonst.
SVEN Nichts. Nur ein Betrieb in Pakistan. Karachi.
ROLF Aha. Und der will nicht.
SVEN Wollen tut der schon. Aber er drückt sich um die Zertifikate.
ROLF ISOdreinull.
SVEN Hat er. Die SA-Achttausend fehlt.
ROLF Aha. Wie kommt das.
SVEN Er ist im Verfahren.
ROLF Wie lange braucht das.
SVEN Bis er alle Papiere hat. Achtzehn Monate. Mindestens.
ROLF In achtzehn Monaten sind wir alle tot. In diesen Dingen ist auf den Saudi Verlass. Alternativen.
SVEN Wir suchen.
ROLF Aber liefern könnte er.
SVEN Kann er. Einfach ohne Papiere.
ROLF Produktion.
SVEN Sauber. Wahrscheinlich.
ROLF Keine Kinder.
SVEN Keine.
ROLF Aha. Und wenn er das Zertifikat nachliefern würde und wir gleich in die Produktion.
SVEN Sicher. Nur ist das unser Risiko.
ROLF Aha. Vielen Dank. Bloss eine Sache ist mir immer noch nicht klar.
SVEN Ja.
ROLF Wer ist verantwortlich.
SVEN Aber das habe ich doch –
ROLF Wer hat den Vertrag gemacht.
SVEN Also.
ROLF Also.
SVEN Du hast unterschrieben.
ROLF Natürlich habe ich unterschrieben. Wer
sonst. Aber wer hat ihn ausgehandelt.
SVEN Das waren wir.
ROLF Wir.
SVEN Das ist mein Projekt. Ich war das.
ROLF Mara. Bring mir den Kramer. Der soll das übernehmen.
SVEN Ich kann doch –
ROLF Ich will den Kramer.
MARA Kramer.
ROLF Ich brauche einen Mann in Karachi.
MARA Hast du das nicht gehört.
ROLF Was habe ich nicht gehört.
MARA Kramer ist mit dem Rad in die Schlucht. Furchtbar.
ROLF Was für ein Rad.
MARA Ein Rad. Mit Rädern.
ROLF Warum fährt Kramer Rad.
MARA Zum Ausgleich.
ROLF Aha. Zum Ausgleich in die Schlucht.
MARA Zum Ausgleich fährt er Rad.
ROLF Ausgleich. Ausgleich wozu.
MARA Nun.
ROLF Hat der keine Klausel im Vertrag. Dass der nicht radfahren darf. Jedenfalls nicht zum Ausgleich.
MARA Das weiss ich jetzt nicht –
ROLF Haben wir ihm eine Karte.
MARA Haben wir.
ROLF Aha. Was war da drauf. Auf dieser Karte.
MARA Ein Zengarten.
ROLF Ein Zengarten.
MARA Mit so feinen Rillen. Ganz was Ruhiges. Erdiges.
ROLF Was stand da drauf. Was Vorgedrucktes.
MARA Handschriftlich.
ROLF Aha. Und in welcher Form.
MARA Kramer, werde bald gesund, wir brauchen dich.
ROLF Habe ich das unterschrieben. Diese Karte.
MARA Sicher. Doch.
ROLF Und warum weiss ich das nicht. Dass Kramer

MARA Da war die Kommunikation vielleicht nicht.
Ich bin die Erste, die das zugibt. Nur, und dies
nicht als Entschuldigung, nur wegen der Hintergründe: wir haben bewusst keine Einzelheiten, weil da Diskretion, aber wenn die Hauptlinien der Information nicht zu dir, dann geht das auf mich. Glasklar.
ROLF Können wir vor dem Vierundzwanzigsten
mit ihm rechnen.
MARA Das wäre überoptimistisch. Der Rücken
braucht seine Zeit. Ich kenne das. Hab mir da auch mal etwas verdreht.
ROLF Du hast dir etwas verdreht.
MARA Am Rücken.
ROLF Aha. Wo am Rücken.
MARA Rechts, rechts am Rücken.
ROLF Also. Der Kramer kann nicht. Wer bleibt
noch.
SVEN Lass mich das machen.
ROLF Dich.
SVEN Ich bring das wieder in die Bahn.
ROLF Wen gibt's noch in eurer Abteilung.
MARA Da ist niemand mehr.
ROLF Niemand.
MARA Nur noch die Schmitz.
ROLF Die Schmitz. Helft mir.
MARA Nun, die Schmitz. Frau Schmitz.
ROLF Aha. Und kann die das.
MARA Die war bisher ausschliesslich intern.
SVEN Wir können doch nicht die Schmitz –
ROLF Die Schmitz. Ist die fachlich auf der Höhe.
MARA Sicher.
ROLF Aber.
MARA Ich weiss nicht, wie der Pakistani das aufnimmt.
ROLF Weil er keine Frauen mag.
MARA Frauen vielleicht schon.
ROLF Aber.
MARA Frau Schmitz ist keine Frau.
ROLF Aha. Das ist mir gar nicht aufgefallen.
MARA Also, das haben wir natürlich im Rahmen, wie soll ich sagen, der Persönlichkeitsrechte kommuniziert, und es gab da unsererseits sogar Pläne, nicht wahr, wir wollten und wollen immer noch ein Reizklima, intern, damit die Leute aus ihrer Lethargie kommen, wenn sie einmal mit jemandem konfrontiert werden, der neben dem Gewohnten funktioniert. Und darum geht es ja. Wir wollten Störenfriede, Unruhestifter –
ROLF Die Schmitz ist eine Unruhestifterin.
MARA Leider nicht. Sie ist still, heiter, unauffällig, jetzt einmal abgesehen von der Garderobe, aber das übersieht man nach vier fünf Tagen, nach einer Woche nimmt man es nicht mehr wahr. Eigentlich schade, diese Gewöhnung, weil das Reizklima verloren geht.
ROLF Wenn es mir nicht aufgefallen ist, dann fällt es dem Pakistani vielleicht auch nicht auf.
SVEN Die Schmitz, nach Karachi, das ist Wahnsinn –
ROLF Schlimmer kann es nicht werden.
MARA Schwierig. Ich würde das kommunizieren.
ROLF Aha.
MARA Eine kurze, sachliche Information, nur das Nötigste.
ROLF Aha.
MARA Vielleicht kennt er das nicht, der Pakistani.
ROLF Dann lernt er das jetzt kennen.
MARA Kulturell ist Karachi eine Herausforderung. Nicht für die Schmitz. Die ist anpassungsfähig. Hat sie ja bewiesen, weiss Gott. Aber dem Pakistani müsste man es erklären. Glasklar erklären, warum, was Identität für uns bedeutet, kulturell, europäisch, gerade, obwohl das jetzt nicht hierher, ich meine, sexuell, das ist Privatsache bei uns, da frage ich nicht einmal danach. Uns erschliesst sich das automatisch. Aber den Pakistani müsste man vorbereiten. Dass der nicht denkt,
da will ihn jemand provozieren oder ähnliches,
jedenfalls würde das Grundlagenarbeit bedeuten. Müsste man tief rein gehen in die Prozesse. Ganz ehrlich: nie gemacht. Komplettes Neuland. Aber nicht reizlos.
ROLF Aha.
MARA Das könnte sich sogar lohnen, strategisch betrachtet, nicht heute, nicht morgen, aber später. Aber das braucht Zeit, solche Bewusstseinserweiterungsprozesse kann man nicht über den Oberschenkel brechen. Kann man schon. Aber das Resultat ist glasklar ein Risiko. Wir können das angehen. Schritt für Schritt. Misstrauen abbauen. Vertrauen aufbauen. Vielleicht mit externer Unterstützung, eine solide Dokumentation, fähiges Team, drei vier Leute, und dann hopp.
ROLF Wo leben wir denn. In Europa. Wir lassen uns von einem Pakistani nicht vorschreiben, was wir anzuziehen haben. So weit kommt‘s noch. Bei uns zählt der Mensch. Und seine Leistung. Und die Leistung hat die Schmitz erbracht, nicht.
MARA Aber ihre Sicherheit –
ROLF Welche Sicherheit.
MARA Die haben Busvergewaltigungen da unten.
ROLF Dann fährt sie eben nicht Bus.
SVEN Soll nicht doch besser ich –
ROLF Ich will einen Kerl, einen Profi, der das
durchzieht, einen Mann. Moment. Die Schmitz.
Das ist keine Frau, sagt ihr.
MARA Also, für uns war sie bis jetzt eine Frau. Betrieblich.
ROLF Aber sie hat sich nicht, ich meine, sie ist
nicht irreversibel eine Frau.
MARA Ich darf das nicht fragen.
ROLF Aha. Das darfst du nicht fragen.
MARA Jetzt rein rechtlich.
ROLF Nun einmal systematisch. Entweder ist Frau Schmitz eine Frau, oder Frau Schmitz ist keine Frau. Das folgt aus der Logik. Und eine Frau ist sie nicht. Das haben wir geklärt.
MARA Sie sieht nur ein bisschen aus wie eine Frau.
ROLF Dann sieht sie eben für achtundvierzig Stunden nicht aus wie eine Frau.
MARA Das müsste man ihr kommunizieren.
ROLF Jetzt fällen wir hier ein paar Entscheidungen. Das muss vorwärts gehen. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Mara, du gehst jetzt zu Frau Schmitz.
MARA Und dann.
ROLF Dann klärst du sie auf.
MARA Ich kläre sie auf.
ROLF Was los ist. Dass wir sie dort unten brauchen. Für achtundvierzig Stunden.
MARA Tut mir leid, aber das geht nicht.
ROLF Aha. Und warum geht das nicht.
MARA Ich kann da nicht, als Frau, jetzt, in dieser Sache, in dieser doch sehr intimen Angelegenheit.
ROLF Gerade deswegen braucht es eine Frau. Von Frau zu Frau. Wie am Flughafen. Da bekommen die Frauen, die man untersuchen muss, auch eine Frau. Also.
MARA Aber sie ist keine Frau, die Frau Schmitz.
ROLF Sie ist keine Frau. Da ist was dran. Sven.
SVEN Sie ist keine Frau. Ohne Zweifel.
ROLF Dann machst du das.
SVEN Wie. Ich.
ROLF Bring mir die Schmitz. Ich mache das.

DAS INTAKTE INNERE
Mara, Sven, Rolf, Frau Schmitz in Damengarderobe.
ROLF Frau Schmitz. Das ist mir nicht angenehm, das können Sie mir glauben. Weil es mich im Grunde nichts angeht, diese Privatsache undsoweiter. Wir müssen das Gesamte im Auge behalten. Und das Gesamte ist ein bisschen in Schieflage. Sehr in Schieflage. Wir haben einen Ausfall in unserem Werk in Jakarta.
SVEN In Dschaipur.
ROLF Kurzum, wir haben einen Ausfall.
SVEN Es gäbe vielleicht noch eine andere Lösung.
ROLF Da gibt es einen Pakistani, der möglicherweise in die Lücke springen kann undsoweiter. Sonst droht die Konventionalstrafe. Und darauf wartet der Saudi nur. Aber diesen Gefallen wollen wir ihm nicht machen. Und deshalb, Frau Schmitz, brauche ich Sie dort unten. Aber so, verstehen Sie, so kann ich Sie nicht schicken. Verstehen Sie. Die sind nicht so weit wie wir. Kulturell undsoweiter. Uns ist das egal, auf Äusserlichkeiten können wir pfeifen, so lange das Innere intakt ist. Und das ist es ja. Bloss der Pakistani sieht das nicht. Kurzum: ich brauche Sie in Karachi, aber so kann ich Sie nicht reisen lassen.
MARA Zu Ihrer eigenen Sicherheit.
ROLF Sie wissen, was man dort von Frauen hält. Und ich rede von gewöhnlichen Frauen. Sie haben bestimmt von den Busvergewaltigungen gehört.
SVEN Wie gesagt, falls man mich –
ROLF Das würde Ihnen unter Umständen Perspektiven eröffnen. Also. Was sagen Sie. Geben Sie sich einen Ruck. Fahren Sie da runter. Und Mara nehmen Sie mit.
SVEN Mara.
ROLF Natürlich alles First Class. Achtundvierzig Stunden, dann ist der Spuk vorbei. Und dann treten Sie diesem Pakistani mal ordentlich in den Hintern. Na. Schmitz. Das wär doch was.

AUSRÜSTUNG
Zu Hause bei Schmitz. Leni, Frau Schmitz unter der Dusche.
LENI Die Anzüge sind ein bisschen fad, das stimmt, aber das trägt man heute so. Unterwäsche habe ich dir auch besorgt. Deine mit den Spitzen kann ich dir nicht einpacken. Das ist ein Risiko. Du brauchst dir nur den Fuss zu vertreten und dann hast du den Salat. Was sagst du dann den Ärzten im Krankenhaus. Mir gefällt das nicht. Die ganze Sache passt mir nicht. Du im Ausland in diesem Aufzug. Und dann auch noch in Karachi. Wo liegt das überhaupt.
FRAU SCHMITZ In Pakistan.
LENI Was.
FRAU SCHMITZ In Pakistan.
LENI Das ist ja schrecklich. Lass dir bloss nichts anmerken. Ich wollte dir das Seidennachthemd einpacken, das lilafarbene, damit du wenigstens abends im Hotel etwas Gewohntes. Aber das lässt du besser hier. Viel zu gefährlich. Oder weisst du was. Ich schlags in Papier ein. Falls sie dich am Zoll fragen, sag einfach, es sei ein Geschenk. Dann denken die sich nichts. Hast du über die Erstattung gesprochen. Natürlich müssen sie das erstatten. Sind schliesslich Geschäftskosten. Warum machst du das überhaupt. Weil er dich braucht. Hat er das gesagt.
FRAU SCHMITZ Ja.
LENI Das meint er doch nicht ernst. Der weiss, dass du dich nicht traust, nein zu sagen. Schuldgefühle, Liebling, das sind deine Schuldgefühle. Aber du schuldest ihm nichts. Im Gegenteil.
FRAU SCHMITZ Ist das ein Problem für dich.
LENI Für mich. Warum soll das für mich ein Problem sein. Um dich mache ich mir Sorgen. Für mich ist das bloss zusätzliche Arbeit, das schon, diese ganze Ausrüstung, Hemden, Krawatten, was weiss ich. Aber wenn es deiner Laufbahn dient. Das ist doch einmalig, nicht. Er wird das nicht noch mal verlangen. Und wenn, dann sagst du einfach nein.
FRAU SCHMITZ Ja.
LENI Hast du gehört.
FRAU SCHMITZ Ja.
LENI Einfach nein.
FRAU SCHMITZ Ja.
LENI Und mach bloss keinen Unsinn. Was weiss ich. Was Kerle halt so anstellen. Abends, nach den Sitzungen. Brauchst gar nicht zu lachen, ich meins ernst. Und trink nicht. Das steht dir nicht.

FEHLENDE ORIENTIERUNG
In einem Park. Valerie und Carl.
VALERIE Hast du das schon gesehen.
CARL Wo.
VALERIE Da.
CARL Wo ist das.
VALERIE Keine Ahnung. San Diego. Bolivien. So was.
CARL Ist das echt.
VALERIE Weiss nicht. Glaub schon. Hast du das  Gesicht gesehen. Freut die sich.
CARL Nie. Das sind Schmerzen.
VALERIE Dann wären die Augen geweitet.
CARL Vielleicht ist es auch beides.
VALERIE Was hat die für einen Belag.
CARL Was für einen Belag.
VALERIE Da auf der Zunge.
CARL Die wird etwas gegessen haben, Spinat oder  Chlorophyl. Gegen Mundgeruch. Musst du nicht los.
VALERIE Ich habe noch Zeit. Papas Flugzeug geht erst um fünf.
CARL Und.
VALERIE Was und.
CARL Wie sieht sie aus.
VALERIE Papa. Keine Ahnung. Habe sie nicht gesehen.
CARL Geht sie in Anzug und Krawatte.
VALERIE Ich denk schon.
CARL Hast du sie schon einmal so –
VALERIE So.
CARL Als Mann.
VALERIE Nein. Nie. Das erste Mal.
CARL Und.
VALERIE Was und.
CARL Freust du dich.
VALERIE Warum sollte mich das freuen.
CARL Weiss nicht.
VALERIE Warum fragst du dann.
CARL Es klang nur so.
VALERIE Wie.
CARL Als du es mir gesagt hast. Nicht wie ein  Schock.
VALERIE Warum Schock.
CARL Das sie einmal so und jetzt so.
VALERIE Und das.
CARL Was.
VALERIE Das da.
CARL Wo hast du das her.
VALERIE Magst du das.
CARL Meinst du ästhetisch oder für mich.
VALERIE Warum ästhetisch.
CARL Zum Anschauen.
VALERIE Beides.
CARL Weiss nicht.
VALERIE Hast du schon mal.
CARL Das. Warum.
VALERIE Nur so.
CARL Und du.
VALERIE Was denkst du.
CARL Was.
VALERIE Hab ich schon mal.
CARL Weiss nicht. Schon möglich.
VALERIE Willst du.
CARL Weiss nicht. Ziemlich extrem.
VALERIE Ist doch nicht schlecht.
CARL Was.
VALERIE Bisschen extrem.
CARL Bisschen ist gut. Aber ziemlich ist zu viel.
VALERIE Also willst du nicht.
CARL Weiss nicht. Meinst du jetzt.
VALERIE Nicht jetzt. Jetzt muss ich los. Kommst
du mit.
CARL Bestimmt nicht.
VALERIE Na los, komm mit.
CARL Bestimmt nicht.
VALERIE Hast du Schiss.
CARL Warum Schiss.
VALERIE Weiss nicht. Hast du.
CARL Weiss nicht.
VALERIE Willst du sie nicht sehen.
CARL Muss nicht sein.
VALERIE Warum.
CARL Ist doch peinlich.
VALERIE Was ist peinlich.
CARL Weiss nicht. Sie so. Mach bloss kein Bild.
VALERIE Warum soll ich kein Bild.
CARL Weiss nicht. Mach einfach keines.
VALERIE Bestimmt mach ich ein Bild.
CARL Aber zeigs nicht rum.
VALERIE Und warum nicht.
CARL Ich habe mich für sie eingesetzt. Als Frau.  Vergiss das nicht.
VALERIE Und. Hast du plötzlich ein Problem damit.
CARL Ich nicht. Aber vielleicht meine Freunde.
VALERIE Was hast du denn für Freunde.
CARL Die mögen es nicht, wenn man sich korrumpieren lässt.
VALERIE Wer lässt sich korrumpieren.
CARL Ich sag das ja nicht. Aber manche werden  das denken.
VALERIE Ist doch egal, was die denken.
CARL Jedenfalls ist es nicht glaubwürdig.
VALERIE Was ist nicht glaubwürdig.
CARL Ihre Orientierung. Wenn sie das rückgängig  macht, mir nichts, dir nichts.
VALERIE Sie macht nichts rückgängig. Es ist nur vorübergehend.
CARL Das sieht man einem Bild nicht an.
VALERIE Was.
CARL Ob es vorübergehend ist. Und zudem ist es  unsolidarisch.
VALERIE Unsolidarisch.
CARL Gegenüber jenen, die das durchziehen.
VALERIE Wen soll das kümmern.
CARL Da.
VALERIA Was ist das.
CARL Das ist aus Mexiko. Oder Thailand. Die haben sie verbrannt. Lebendig. Das machen sie dort mit denen.
VALERIE Mit denen.
CARL Wie dein Vater.
VALERIE Lass mich.
CARL Die hat sich nicht korrumpieren lassen.
VALERIE Lass mich. Lass mich.

SCHARLACH
In der Firma, etwas in Eile, das Flugzeug wird nicht warten. Mara, Sven.
SVEN Mara.
MARA Du brauchst nicht jedes Mal meinen Namen zu rufen, bevor du mit mir sprichst. Ich hör auch so zu.
SVEN Findest du das in Ordnung. Dass er mich so eiskalt abserviert.
MARA Du nimmst das zu persönlich.
SVEN Persönlich. Ich habe das Projekt aufgebaut, von Grund auf, seit drei Jahren, Tag und Nacht und an den Wochenenden.
MARA Es ist jetzt so entschieden.
SVEN Und nun soll diese Person, diese Schmitz, mein Projekt übernehmen.
MARA Du hattest deine Chance.
SVEN Du hättest ihm das ausreden müssen.
MARA Es ist jetzt so entschieden.
SVEN Es scheint dir gar nichts auszumachen.
MARA Es tut mir leid für dich.
SVEN Ich tu dir leid. Vielen Dank.
MARA Du hast dich angestrengt.
SVEN Ich bin wegen dir in dieser Firma. Einen solchen Verrat –
MARA Verrat. Du bist einfach überfordert.
SVEN Und jetzt baust du auf die Schmitz.
MARA Du solltest ihr Glück wünschen. Wenn sie scheitert, schliesst er vielleicht eure Abteilung.
SVEN Dir wäre das doch willkommen. Dann wärst du mich los.
MARA Hör zu, mein Flugzeug –
SVEN Was ist mit mir nicht in Ordnung, Mara, sag mir das einmal.
MARA Das ist suggestiv.
SVEN Wie.
MARA Du unterstellst, dass etwas nicht in Ordnung ist.
SVEN Ist es meine Stimme. Meine Stimme ist furchtbar, das stimmt. Das kommt vom Scharlach, den ich als Kind hatte. Aber ich kann das kompensieren. Mit meinem Gang. Mein Gang ist einzigartig. Elastisch, aber nicht federnd. Könnte ich meinen Gang verkaufen, ich wäre ein gemachter Mann. Mara. Das ist es. Ich bin noch nicht gemacht. Ich kämpfe noch. Du findest mich verbissen, stimmt‘s. Nicht locker genug.
MARA Ich habe nichts dagegen, wenn Männer kämpfen.
SVEN Ja, kämpfen dürfen wir, bloss verlieren sollte man nicht. Weder in Dschaipur noch anderswo. Sonst übernehmen die Frauen. Oder die Beinahe-Frauen.
MARA Ich muss jetzt nach Karachi.
SVEN Mara. Ich will eine Antwort.
MARA Lass mich gehen.
SVEN Erst wenn du mir gesagt hast, was du an mir hasst.
MARA Darauf werde ich nicht antworten.
SVEN Nicht.
MARA Du lässt mich jetzt gehen.
SVEN Mara. Was ist es.
MARA Es geht um deinen Kopf, Sven, es geht um deinen Kopf.
SVEN Mara.

WAS MAN TEILT
Im Hause Schmitz. Kurze Zeit später. Leni, Valerie.
VALERIE Wo ist Papa.
LENI Schon weg.
VALERIE Weg.
LENI Im Flugzeug, ja.
VALERIE Um fünf. Du hast gesagt um fünf.
LENI Nicht um fünf. Um fünfzehn Uhr. Was schaust du jetzt so. Ist schliesslich nicht mein Fehler.
VALERIE Hast du wenigstens ein Bild gemacht.
LENI Ein Bild. Warum ein Bild.
VALERIE Von Papa.
LENI Wozu.
VALERIE Einfach für mich.
LENI Bestimmt mach ich davon kein Bild.
VALERIE Und warum nicht.
LENI Was soll das. Sie ist doch kein Zootier.
VALERIE Wie sah sie aus.
LENI Bitte.
VALERIE Beschreib ihn mir.
LENI Das scheint dich ja brennend zu interessieren.
VALERIE Beschreib ihn mir.
LENI Was soll ich beschreiben.
VALERIE Wie sie ausgesehen hat. Wie ein Mann.
LENI Natürlich wie ein Mann, was denkst du denn.
VALERIE Hat er dir gefallen.
LENI Es geht so.
VALERIE Und warum hast du kein Bild gemacht.
LENI Weil es nichts Besonderes war, deswegen.
VALERIE Nichts besonderes.
LENI Nicht für mich, nein.
VALERIE Und für sie.
LENI Ich habe sie nicht gefragt.
VALERIE Du hast das so eingerichtet.
LENI Was habe ich so eingerichtet.
VALERIE Dass ich zu spät komme. Dass ich kein Bild sehe. Du willst nicht, dass ich Papa als Mann begegne.
LENI Das ist Unsinn, und das weisst du auch.
VALERIE Du willst ihn für dich.
LENI Ihn.
VALERIE Ihn. Sie teilst du. Ihn behältst du für dich.
LENI Du gehst zu weit.
VALERIE Jetzt habe ich doch etwas gesehen. Dieses Leuchten.
LENI Was für ein Leuchten.
VALERIE In deinem Gesicht. Du bist ja eine Frau.
LENI Weil ich mir Sorgen mache. Weil sie in Karachi ist. Zehntausend Kilometer entfernt. Deswegen. Weil ich sie liebe. Weil ich nicht will, dass ihr etwas geschieht. Bin ich deswegen eine Frau.
VALERIE Nein, weil du kleinlich bist, eifersüchtig und geizig.

DER SPECK
Wieder auf der Bank im Park. Valerie und Carl.
CARL Und. Wie sah sie aus.
VALERIE Vergiss es.
CARL Hast du ein Bild gemacht.
VALERIE Vergiss es.
CARL Kann ich es sehen.
VALERIE Bestimmt nicht. CARL Du schämst dich, stimmts.
VALERIE Dir war das doch peinlich. Sonst wärst du ja mitgekommen.
CARL Stimmt. Es war mir peinlich. Aber nicht wegen deiner Papafrau.
VALERIE Sondern.
CARL Peinlich wegen dir. Das wollte ich nicht sehen, wie sehr du dich freust.
VALERIE Freust.
CARL Mal einen Papamann zu haben.
VALERIE Einen Papamann. Der fehlt mir nicht. Hingegen ein Mann, der fehlt mir sehr.
CARL Ich hab’s mir überlegt. Ich wäre dafür zu haben, für das Extreme.
VALERIE Vergiss es.
CARL Wie.
VALERIE Vergiss es, sage ich.
CARL Jetzt hast du mir den Speck –
VALERIE Ich hab dir keinen Speck –
CARL – und dann machst du einen Rückzieher. Ich hätte es ja wissen müssen.
VALERIE Lass mich in Ruhe.
CARL Ich hasse dich.
VALERIE Dann hasse mich halt.
CARL Du hast das noch nie gemacht. Stimmts.
VALERIE Dann denk das eben.
CARL Du wolltest mich bloss provozieren. Wie immer.
VALERIE Kannst dir das Bild ja nochmal ansehen.
CARL Was ist schon gross an diesem Bild. Hab ich Tausende gesehen.
VALERIE Aber nicht mit mir.
CARL Mit dir.
VALERIE Das bin ich auf diesem Bild.
CARL Bestimmt nicht.
VALERIE Und der Mann, das ist Herbert.
CARL Du lügst doch.
VALERIE Stimmt. Ich lüge. Das war nicht Herbert. Das war Noah. Glaub ich.
CARL Weisst du, was ich mich frage. Ich frage mich, ob das etwas mit ihr zu tun hat.
VALERIE Mit wem.
CARL Mit deiner Papafrau. Dass du so krank bist.

AUF DEM HÖHEPUNKT DER WELTGESCHICHTE
In der Firma. Nach der Rückkehr aus Karachi. Rolf, Mara, sie ein bisschen zerzaust und durcheinander.
ROLF In den Menschen, Mara, in den Menschen kann man nicht hineinsehen. Das will ich Ihnen gar nicht vorwerfen. Jeder täuscht sich ständig. Sven hielten Sie für belastbar und elastisch, da hat Sie Ihre Intuition verlassen: er ist genau das Gegenteil. Schlapp, weich, ein depressiver Typ. Hat ja stets zu jammern. Diese ewigen Jeremiaden. Wir sind am Ende, keine Zulieferer, der Pakistani und so weiter. Ich sage es Ihnen, Mara, im Vertrauen, das ist ein Mensch, der nicht an den Fortschritt glaubt. Ein Defätist. Ein Schwarzmaler. Und dabei leben wir auf dem Höhepunkt der Weltgeschichte. Noch nie starben so wenige Afrikaner wie an diesem heutigen Tag. Aber mit Fakten kommt man diesen Miesmachern nicht bei. Und jetzt die Frau Schmitz. Ein Mauerblümchen. Das hätten Sie beinahe verdorren lassen, Mara, und dabei brauchte sie bloss ein wenig Wasser, wie das Saatgut aus den ägyptischen Pyramiden, das auch nach fünfunddreissigtausend Jahren keimt, wenn es Boden und Wasser findet, erblüht sie zur Hoffnung der Betriebswirtschaft. Der Pakistani, sagen Sie, wurde ganz weich bei ihr.
MARA Ja, ganz weich.
ROLF Er leistete keinen Widerstand.
MARA Nicht den Geringsten, nein, das ging ganz schnell.
ROLF Wie hat sie das gemacht.
MARA Das ist mir selbst ein Rätsel.
ROLF Aha.
MARA Sie haben bloss gelacht die ganze Zeit. Der Pakistani und die Schmitz.
ROLF Gelacht.
MARA Wie Kinder, ja.
ROLF Aha. Ist sie erschienen, heute, unsere Frau Schmitz, ich habe sie nicht angetroffen.
MARA Sie war schon früh da, ja.
ROLF Das ist der rechte Geist. Nicht ausruhen auf den Lorbeeren. Wir sollten an einen Bonus denken. Ein Wochenende in den Bergen. Mit Sprudelbad und allem. Hat sie Familie.
MARA Sie ist verheiratet.
ROLF Aha. Verheiratet. Kennt man ihn, ich meine, kennt man diese Person.
MARA So ein Hausmütterchen, ganz unscheinbar und vollkommen reizlos. Furchtbar.
ROLF Sie sind ja giftig heute Morgen, Mara. Und dann diese Stimme. Erdenschwer. Sie haben kaum geschlafen, stimmt‘s.
MARA Wenig, ja.
ROLF Sie nehmen die Arbeit viel zu ernst. Das trübt ihren Blick.
MARA Frau Schmitz hat sich gar nicht umgezogen.
ROLF Nicht umgezogen.
MARA Sie sitzt am Schreibtisch und trägt Anzug und Krawatte.
ROLF Aha. Gründe.
MARA Falls man sie noch brauche, so, als Mann.
ROLF Aha. So ist das. Da denkt jemand an das Ganze. Von dieser Sorte brauchen wir mehr. Wir brauchen Charaktere, keine Abziehbilder. Mitarbeiter mit einem unternehmerischen Geist. Die immer noch eine neue Seite an sich entdecken. Wirklich erstaunlich, diese Schmitz.
MARA Ich frage mich nur, ob sie jetzt so bleibt.
ROLF Das würde Ihnen gefallen, wie.
MARA Bitte.
ROLF Ich verstehe Sie, für die Firma wäre das nicht schädlich.
MARA Da bin ich mir nicht sicher.
ROLF Aha.
MARA Ich denke an die Folgen fürs Betriebsklima, wenn auf einmal dieser, dieser Mann da, so urplötzlich –
ROLF Betriebsklima. Wir züchten hier keine Pilze. Das muss aufhören, Mara, dieses Betriebsklimazeugs. Duftkerzen in den Scheisshäusern. Früchtekörbe zwei Mal die Woche in jedem Büro undsoweiter. Und was war das Letzte.
MARA Sie meinen den Ruheraum.
ROLF Ein Ruheraum, Mara. Das ist doch nicht normal.
MARA Das erwartet man heute.
ROLF Was macht man in einem Ruheraum.
MARA Man ruht sich aus.
ROLF Aha. Sie sollen sich zu Hause ausruhen, wofür bezahle ich ihnen die Freizeit. Da draussen herrscht Krieg. Und offenbar ist die einzige, der ich das nicht erklären muss, unsere gute Frau Schmitz. Sie sollten sie aufbauen, Mara, vorbereiten auf grössere Aufgaben.

DAS SATANISCHE KRAWATTENVIEH
In der Firma, in diesem sinistren Büro, wo Julius die letzten Tage alleine sass. Frau Schmitz in Herrengarderobe. Julius.
JULIUS Sie sind nicht Frau Schmitz. Das sind nicht Sie in dieser Aufmachung als Kartoffelsack, in dieser Kaufmannsuniform. Da können Sie noch lange in sich hineingrinsen. So eindeutig, wie Sie jetzt dastehen, breitbeinig und plump, niemals ist das Frau Schmitz. Die anderen können Sie täuschen, aber ich sehe, was Sie wirklich sind. Ich habe gehört, wie Sie dem Pakistani Feuer gemacht haben, wie die Leute das nennen. Man spricht über nichts anderes. Aber glauben Sie nicht, ich hätte auch nur die leiseste Bewunderung dafür. Sie haben sich selbst erniedrigt. Sich auf diese Weise zu verleugnen um des wirtschaftlichen Vorteils willen. Ich könnte Sie dafür lieben, weil es von mir ein Verzeihen verlangt, und was könnte kostbarer sein als Vergebung. Wenn nur die plumpen Treter Ihre zarten Füsse nicht entstellten. An die Socken mag ich gar nicht denken. Wie kann man solche Waden, die einem Paar Lippen die Erlösung bringen könnten, wie kann man sie mit schwarzen Strümpfen knebeln. Und doch ahne ich sie noch, die Frau Schmitz, noch sehe ich den Engel hinter diesem satanischen Krawattenvieh, das um neun Uhr in den Kaffee grunzt und sich den Steiss kratzt ohne Scham und Scheu. Wie kann ich Sie befreien, Frau Schmitz, ich habe doch gesehen, dass Sie noch da sind, Ihre Gesten haben Sie verraten, gerade eben, wie Sie beim Sitzen Ihre Füsse nebeneinanderstellten wie Geschwister, die sich nicht verlieren dürfen, und wie Sie die Lippen schürzen und einziehen, wenn Sie die Tasse von Ihrem Mund lösen, damit kein Tropfen übers Kinn läuft, das Kinn, das Kinn der Frau Schmitz, das ist die Vollendung der Weiblichkeit.

GRÖSSERE KRÄFTE
In der Firma. In der Pause tröstet man sich unter Männern. Julius, Sven.
SVEN Es hilft nichts, Julius, dass wir uns Vorwürfe machen.
JULIUS Ich mache mir keine Vorwürfe.
SVEN Wir sind gescheitert, das ist wahr. Aber es ist kein persönliches Versagen.
JULIUS So.
SVEN Da sind grössere Kräfte am Werk.
JULIUS Ja, und diese Kräfte machen mir die Frau Schmitz kaputt.
SVEN Mach die Augen auf, die Epoche des Mannes ist vorbei. Die Epoche der Frau hat begonnen.
JULIUS Genau die ging eben doch zu Ende.
SVEN Heute setzen sich andere Qualitäten durch. Jetzt gewinnt, wer die geheimen Absichten zu lesen versteht. Intuition ist gefragt. Und die fehlt uns eben.
JULIUS Mir fehlt gar nichts, nur die Frau Schmitz.
SVEN Wenn wir noch einen Zugang hätten zu unseren Instinkten. Dann hätten wir eine Chance. Aber dieser Zugang ist verschüttet von der Zivilisationsgeschichte. Nur deshalb lassen wir uns so leicht täuschen.
JULIUS Täuschen. Ich lasse mich von dieser Verkleidung bestimmt nicht täuschen.
SVEN Selbsterkenntnis, Julius, ist der erste Schritt auf dem Weg zur Besserung.
JULIUS Was willst du eigentlich.
SVEN Ich verstehe deinen Ärger, deine Verwirrung.
JULIUS Gar nichts verstehst du.
SVEN Bei dir ist es ja noch einmal andersrum.
JULIUS Was ist bei mir andersrum.
SVEN Ich habe mich beruflich getäuscht, aber bei dir ist die Sache komplizierter, weil intimer.
JULIUS Mein Intimes geht dich einen Scheissdreck an.
SVEN Jede Täuschung ist schlimm, aber am tiefsten kränkt die Selbsttäuschung. Das hat die Wissenschaft bewiesen. Es gibt gewisse Dinge, die man sich selbst nicht eingestehen kann.
JULIUS Was gesteht man sich nicht ein.
SVEN Aus Scham. Und so betrügt man sich von Tag zu Tag. Wie ein Ochse stampft der Mann durchs Leben, bringt sich bei, wie die Welt funktioniert, was weiss ich, der Verbrennungsmotor oder warum es Jahreszeiten gibt undsoweiter. Aber sich selbst, Julius, sich selbst bleibt er ein Rätsel bis zum letzten Tag.
JULIUS Das ist doch völlig einerlei.
SVEN Julius, jetzt sei nicht störrisch. Du hast nur gesehen, was du sehen wolltest.
JULIUS Und was wollte ich sehen.
SVEN Jetzt gibt doch endlich zu, was du längst begriffen hast. Frau Schmitz ist keine Frau. Ich sage es noch einmal. Es gibt Dinge, die man sich selbst nur schwer, nur sehr schwer eingesteht. Aus Scham.
JULIUS Ich kann dir sagen, was du dir nicht eingestehst.
SVEN So.
JULIUS Mara und Frau Schmitz.
SVEN Mara und Frau Schmitz.
JULIUS Mara kam gerade eben, unter einem Vorwand, und hat die Frau Schmitz zu sich bestellt. Dieser Blick, dieses Zittern, dieses Beben, ich weiss genau, wie Mara sich jetzt fühlt.
SVEN Ganz schlimmer Unfug, Julius, pass auf.
JULIUS Ach.
SVEN Nur weil du, heisst das noch lange nicht, dass alle.
JULIUS Dass alle was.
SVEN Und sich das nicht eingestehen können.
JULIUS Jetzt wär‘s besser, du würdest schweigen.
SVEN Lügen verbreiten, damit man besser dasteht.
JULIUS Lüge. Das nimmst du zurück.
SVEN Anderen unterstellen, was man sich selbst nicht eingesteht, das ist ja feige, das ist ja niederträchtig.
JULIUS Ich glaube, ich werde dir jetzt dein blödes Maul einschlagen.
SVEN Du. Das kannst du nicht.
JULIUS Glaubst du.
SVEN Dafür bist du nicht der Typ.
JULIUS So. Und was für ein Typ bin ich denn. He. Was für ein Typ bin ich denn, wenn ich das mache.
Er schlägt ihn.

HANDGRIFFE
In der Firma. Frau Schmitz in Herrengarderobe, Mara.
MARA Ich habe Sie kommen lassen, liebe Frau Schmitz, um mit Ihnen den nächsten Schritt zu planen. Sie geben ja schon deutlich die Richtung vor, und falls Sie sich entscheiden, in dieser Form Ihre Zukunft anzupacken, dann werden Sie meine ganze Unterstützung haben. Das Umfeld ist rauher geworden, keine Frage, und Sie werden mir glauben, nicht wahr, dass ich gerade als Frau das nur ungern sage, aber eine gesunde Härte, ein robustes Durchsetzungsvermögen ist in diesen Zeiten wachsender Verunsicherung keineswegs von Nachteil. Die Naturkatastrophen, die schwindenden Ressourcen, die technologischen Revolutionen, der Terrorismus, sie stellen uns vor nie gekannte Herausforderungen. Wir müssten dann natürlich sehen, ob und wie wir Sie neu einsetzen, auf Ihrem alten Posten, wie soll ich sagen, geht Ihr Potential ja eigentlich verloren. Sie werden festgestellt haben, dass Ihre Talente, die Sie so diskret vor mir versteckt haben, in dieser Firma leider sehr dünn gesät sind. Es gibt ja durchaus fähige Ingenieure, aber den meisten fehlt es an einem gewissen zupackenden Selbstvertrauen, was Sie in einem geradezu unerhörten Ausmass besitzen. Es wird Sie deshalb nicht erstaunen, dass ich an eine Rochade denke und mir vorstellen kann, Ihnen den Verantwortungsbereich von Sven zuzuweisen und zwar dauerhaft. Das müsste man sozial abfedern, das ist klar, einen Bereich finden, wo er seine beschränkten Mittel anwenden kann. Natürlich würden wir das kommunikativ vorbereiten, Sie müssten also keine Rachsucht fürchten, mit den richtigen Methoden wird er bald verstehen, dass er zurückgestuft entspannter leben kann. Ich weiss, das kommt ein bisschen überstürzt, und ich finde, Sie sollten sich mit der Antwort Zeit lassen, um danach, nach einer guten Weile, die Sache in Ruhe durchzugehen, vielleicht in einer etwas anderen Atmosphäre, vielleicht informeller, bei einem Glas Weisswein, vielleicht bei einem Château Bonnier, von dem ich mir gerade eine Sechser-Kiste habe liefern lassen, gerne auch abends, ich würde uns eine Kleinigkeit kochen, damit wir gemeinsam in allen Einzelheiten durchgehen können, wie Sie den Pakistani gepackt haben, mit welchen Handgriffen, bildlich gesprochen, Sie Ihre Widersacher auf die Bank drücken, mit welcher Technik Sie Ihren Willen erzwingen, bis man wehrlos vor Ihnen liegt, ist und tut, was immer Sie verlangen, in allen Einzelheiten, die Sie natürlich formulieren müssten, Buchstabe für Buchstabe, Anweisungen, deren exakte Einhaltung Sie einfordern, selbst wenn man winselt, stöhnt und um Gnade fleht. Dies, damit ich die Erfahrung intern auswerten kann, Sie verstehen, die Prozesse, die ewigen Prozesse.

DAS SEIDENHEMDCHEN
Zuhause. Leni. Frau Schmitz.
LENI Wo bist du.
FRAU SCHMITZ Ich bin hier.
LENI Wo. Ich sehe dich nicht.
FRAU SCHMITZ Ich bin im Schrank.
LENI Im Schrank.
FRAU SCHMITZ Ich suche mein Seidenhemdchen.
LENI Welches Seidenhemdchen.
FRAU SCHMITZ Das ich mitgebracht habe aus
Karachi.
LENI Was willst du damit.
FRAU SCHMITZ Anziehen, natürlich. Aber ich
kann es nicht finden. Hast du es nicht gesehen.
LENI Ich glaube nicht, nein.
FRAU SCHMITZ Dann müsste es doch da sein.
LENI Jetzt komm aus diesem Schrank heraus. Ich mache hübsche Stapel, bügle alles, und du wühlst darin herum wie in einem Laubhaufen.
FRAU SCHMITZ Wenn ich es aber nicht finde.
LENI Das ist nicht gerade respektvoll.
FRAU SCHMITZ Tut mir leid.
LENI Bitte.
FRAU SCHMITZ Und was soll ich jetzt anziehen.
LENI Mein Gott. Dein Schrank quillt über.
FRAU SCHMITZ Warum kann ich nicht das Seidenhemdchen. Die Farbe steht mir.
LENI Das Teil ist billig.
FRAU SCHMITZ Billig war das überhaupt nicht.
LENI Der Ausschnitt ist unpassend, da fehlt dir die Brust dazu. Warum gehst du auf einmal einkaufen. Lass mich das machen. Da fehlt dir der Sinn dazu, der natürliche. Das wirkt aufgesetzt. Es muss trotz allem eine gewisse Natürlichkeit behalten.
FRAU SCHMITZ Aber irgendetwas anziehen muss ich ja wohl.
LENI Das Etuikleid hängt gewaschen und gebügelt da.
FRAU SCHMITZ Das Etuikleid. Ist das nicht ein wenig –
LENI Was.
FRAU SCHMITZ Ein bisschen grau in grau.
LENI Dann nimm das Karmesinrote.
FRAU SCHMITZ Das hat einen Flecken.
LENI Den habe ich dir entfernt.
FRAU SCHMITZ Du bist ein Herz.
LENI Und der Lackgürtel liegt auch dabei. Falls du unbedingt einen Auftritt haben willst.
FRAU SCHMITZ Einen Auftritt.
LENI Als Frau in Rot.
FRAU SCHMITZ Warum als Frau in Rot.
LENI Rot ist eine Signalfarbe, Liebling, das provoziert Reaktionen.
FRAU SCHMITZ Was für Reaktionen.
LENI Das wirst du dann schon sehen.
FRAU SCHMITZ Also –
LENI Wie gesagt, das Etuikleid hängt da. Falls dir das nicht zu unauffällig ist. Aber es ist natürlich deine Entscheidung.
FRAU SCHMITZ Und was mache ich damit.
LENI Womit.
FRAU SCHMITZ Mit dem Anzug.
LENI Das musst du mir sagen.
FRAU SCHMITZ Ich weiss jetzt gerade nicht.
LENI Gib her. Ich motte ihn ein. Den brauchst du nicht mehr.

ZIVILISATORISCHE BARRIEREN
In der Firma. Sven, Frau Schmitz in Damengarderobe.
SVEN Ich will Ihnen nicht drohen, Frau Schmitz, aber warnen, ja warnen will ich Sie. Offenbar sind Sie der Meinung, dass ein Krieg herrsche im Kampf der Geschlechter. Gut. Ich werde es Ihnen nicht ausreden, da ich sehe, zu welchen Mitteln Sie greifen. Doch in jeder Auseinandersetzung braucht es gewisse Regeln, Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen, zivilisatorische Barrieren, die eine Brutalisierung verhindern. Sie aber sind nicht bereit, diese über Jahrhunderte ausgebildeten Grenzen zu respektieren, mit Ihrer Guerillataktik, Ihrer Camouflage, Ihrer französischen Doktrin des schmutzigen Krieges. Ich habe diese Möglichkeit nicht, weil ich trotzallem meine Menschlichkeit behalten will, weil mir die Zwecke nicht über die Mittel gehen. Sie haben ihre Jagdgründe auf die gesamte Menschheit ausgedehnt, wenigstens auf den erwachsenen Teil, und ich hoffe, Sie werden wenigstens diese Grenze anerkennen, obwohl ich ehrlich gesagt nicht sicher bin, wenn ich Ihre Masslosigkeit betrachte. Sie hätten sich weiss Gott mit fünfzig Prozent der Menschheit zufrieden geben können, aber in Ihrer Gier, in Ihrem unstillbaren Verschlingungshunger respektieren Sie das nicht. Sie sind eine Allesfresserin, wie Bären, wie Schweine, Frau Schmitz, wie Schweine.

„VERSAUERN SIE!“
In der Firma. Mara, Frau Schmitz in Damengarderobe.
MARA Das ist Ihre Antwort, Frau Schmitz. Ihre Antwort auf mein Angebot. Gut. Vielen Dank. Ich verstehe. Sie hätten mich informieren können. Aber mich auf diese Weise vor den Kopf zu stossen. An einem Dienstagmorgen. Ich habe mich eingesetzt für Sie, Frau Schmitz. Was aus Ihnen hätte werden können. Und jetzt schlagen Sie mir ins Gesicht. Gut. Dann gehen Sie wieder in Ihr Büro. Versauern Sie zwischen Ihren Topfpflanzen. Ich habe geglaubt, Sie seien ein Vorbild. Ihr Kleid ist lächerlich. Nur die Farbe steht Ihnen. Dieses schlammgelbgrau.

DAS NICHTS
In der Firma. Sven, Mara.
SVEN Mara, Mara, Mara. Was soll denn diese Geheimniskrämerei.
MARA Bitte.
SVEN Nun spiele nicht die Unschuldige. Steh doch wenigstens dazu. Es ist ja nichts Schlimmes, grundsätzlich.
MARA Was ist nichts Schlimmes.
SVEN Ich weiss es, Mara, alles weiss ich. Ich weiss von dir und Frau Schmitz, und ich will dir keinen Vorwurf machen. Die Liebe fällt, wie sie fällt undsoweiter. Was kann man dagegen tun. Es ist ein Geschenk, eine Gabe, sie kommt, wahrscheinlich kommt sie aus dem Himmel, und ich kann niemanden verurteilen, weil er liebt, egal wen oder was und auch nicht wie. Ein liebendes Herz kann niemals etwas Schlechtes sein, und wenn du glücklich bist, dann bin auch ich glücklich.
MARA Was redest du.
SVEN Ich möchte keine Erklärung. Ich will nicht, dass du dich vor mir rechtfertigst, das sollst du nicht, dafür habe ich zu viel Respekt vor dir. Werde glücklich, so glücklich wie es eben geht. Wie glücklich das ist, das weiss ich nicht. Und ich weiss ja, wie du mich sehen musst, einen Kerl, der vor der Haustüre lauert und um Einlass verlangt, der kratzt und bettelt, und wenn du die Achtung vor mir verloren hast, dann muss ich leider zugeben, ich weiss, woran es liegt. Es liegt an mir. Ich hätte deine Veranlagung erkennen müssen, aber ich habe es nicht gesehen. Ich hatte es vor Augen, hier, die Zeichen waren eindeutig, aber es war, als wäre ich blind, als hätte ich ein Brett vor dem Kopf. Das ist mir noch nie passiert, noch nie hatte ich ein Brett vor dem Kopf. Trotzdem hättest du mir ein Zeichen geben können, Mara, einfach aus Freundschaft, Menschenliebe. Nein, nein, verpflichtet warst du nicht, gewiss nicht, schliesslich bist du mir nichts schuldig, aber gleichzeitig, und das soll kein Vorwurf sein, lebst du ja damit, ich meine, schliesslich ist das angeboren, für dich eine Selbstverständlichkeit, ein tägliches, wie sagt man, die Realität eben, du empfindest so. Aber vielleicht, jetzt für das nächste Mal, falls ein Mann sein Herz wegen dir aus der Brust reisst, blutig, dann magst du vielleicht denken, dass dieser Mann im ersten Augenblick überhaupt nicht auf die Idee kommt, er könnte abgewiesen werden, nicht als Person, sondern als Mann, weil du für Männlichkeit ja kein Interesse hast, dass es gewissermassen seine grundsätzliche Biologie ist und er nichts, aber auch nichts dafür kann, wenn er abgewiesen wird, abgeputzt, kaltgestellt, bloss weil seine Männlichkeit im Wege steht.
MARA Welche Männlichkeit.
SVEN Die Männlichkeit im Allgemeinen.
MARA Gerade die Männlichkeit, die fehlt ja eben.
SVEN Also von der Männlichkeit, liebe Mara, und das ist kein Vorwurf, davon hast du nun wirklich keine Ahnung.
MARA Da geht es uns ja beiden ähnlich.
SVEN Bleib du nur bei deiner Frau Schmitz, damit kann ich leben, aber beleidigen, verletzen, das brauchst du mich nicht.
MARA Frau Schmitz. Was interessiert mich die Frau Schmitz. Was interessiert mich dieses effeminierte Getue. Frau Schmitz versteckt ihren Mann, das ist wahr und es ist eine Schande, aber du, du bist unschuldig.
SVEN Findest du.
MARA Du hast ja nichts, das du verstecken könntest. Da ist ja nichts bei dir, so rein gar nichts.

TRICHTERAUGEN
In der Firma, im düsteren Büro. Frau Schmitz in Damengardobe, Julius.
JULIUS Nun weinen Sie nicht, Frau Schmitz. Das ist doch dummes Zeugs. Das Kleid steht Ihnen ausgezeichnet. Und ich bin froh, sind Sie wieder ganz die Alte. Die wollten Sie zu etwas formen, was Sie nicht sind, und es ist gut, wenn Sie das gerade noch rechtzeitig festgestellt haben und nicht weiter nach deren Pfeife tanzen. Die werden ein paar Tage schmollen und Sie schneiden. Bis sie ein neues Problem finden, an dem sie ihr Mütchen kühlen können. Ich glaube nicht, dass man Sie deswegen gleich entlässt, obwohl man da eine Weile warten muss. Aber ein bisschen böse bin auch ich auf Sie. Sie haben mich hinters Licht geführt. Sich wie eine Dame den Hof machen lassen.
FRAU SCHMITZ Seien Sie doch still.
JULIUS Die Schokolade haben Sie genommen, nicht wahr, und die kleinen Dienste, die man gern den Männern überlässt, frisches Papier aus dem Keller holen, die Glühbirne wechseln, den Käfer auf dem Teppich totschlagen. Das habe ich gerne gemacht für Sie, aber ein klein wenig ausgebeutet fühle ich mich deswegen trotzdem.
FRAU SCHMITZ Ich bitte, bitte Sie, seien Sie doch still.
JULIUS Aber da bin ich selber schuld. Ich hätte ja nicht Ihren Waden verfallen müssen, zur Vernunft hätte ich mich rufen können und um eine Versetzung bitten können. Stattdessen habe ich den Hausmeister gemacht für Sie.
FRAU SCHMITZ Ich flehe Sie an.
JULIUS Und als Sie begriffen haben, dass ein Hausmeister weniger bringt als eine Verbündete von der Teppichetage, als man Sie mit einer Karriere lockte, mit Geld und Einfluss, da haben Sie einszwei das Gesicht gewechselt. Und eine Zweite mit Ihrem Gift verseucht. Ach, dass sie mich jetzt in der Firma verspotten, weil ich Ihnen auf den Leim gegangen bin, dass die Frauen kichern in den Gängen und die Männer Zeichen machen hinter meinem Rücken, das werde ich überleben. Ich habe ja auch Sie überlebt, Frau Schmitz. Wie heissen diese Viecher, mit diesen Trichteraugen, die in der dunkelsten Stelle des Waldes sitzen und mit langen Zungen nach den Fliegen schnappen und dabei, je nach Opportunität, die Farbe wechseln. Aber ich bin nicht Ihre Fliege, Frau Schmitz, und noch haben Sie mich nicht gefressen. Ich bin Ihr Freund. Und wenn ich es richtig sehe, haben Sie gerade nicht mehr viele Freunde. Aber Freunde muss man pflegen, sonst reden sie schlechte Dinge, nicht, weil sie böse sind, bloss weil man ihnen nicht hin und wieder zeigte, wie sehr man sie liebt.
FRAU SCHMITZ Gehen Sie weg von mir. Weg. Weg.

PHYSIOGNOMISCHE LANDMARKE
In einer Klinik für kosmetische Chirurgie. Sven. Frau Dr. Gerber.
SVEN Keine Männlichkeit. Nichts. Das hat sie gesagt.
DR. GERBER Das war unangenehm für Sie. Verletzend. Aber vielleicht können Sie das anders sehen. Nicht nur persönlich.
SVEN Wie.
DR. GERBER Und ihr dafür dankbar sein.
SVEN Bitte.
DR. GERBER Jetzt können Sie etwas ändern.
SVEN Was hat diese Schmitz, das ich nicht habe.
DR. GERBER Das ist der falsche Ansatz. Sie müssen Ihre eigene Männlichkeit entwickeln.
SVEN Und wenn nichts da ist, was ich entwickeln könnte.
DR. GERBER Ihre Anlagen sind intakt, die Basis ist vorhanden.
SVEN Wirklich.
DR. GERBER Ich finde Sie nicht unmännlich. Von einem professionellen Standpunkt aus gesehen. Der Gesamteindruck ist kernig, Ansätze einer virilen Spannung sind vorhanden und ausbaubar. Was Ihnen fehlt, ist eine eindeutige Markierung, eine physiognomische Landmarke, die Ihre Züge definiert. Und ich weiss auch, was wir da machen könnten.
SVEN Meine Nase möchte ich gerne behalten, wenn’s geht.
DR. GERBER Die Nase lassen wir in Ruhe. Die liegt zu exponiert, jeder Eingriff wirkt da schnell aufgesetzt. Nein, wir brauchen eine subtilere Intervention. Vielleicht ein Paar Darwin-Höcker, das könnte Ihnen stehen.
SVEN Darwin-Höcker.
DR. GERBER Ein Atavismus. Ein Überbleibsel aus der Vorzeit, ein kleiner Knorpel am Aussenrand der Ohrmuschel. Man nimmt ihn kaum wahr, aber das limbische System, vor allem das weibliche, reagiert darauf.
SVEN Wie stark.
DR. GERBER Mässig.
SVEN Vielleicht hat die Schmitz einen solchen –
DR. GERBER Denkbar. Dieser Höcker verschafft einen Vorteil, da bleiben Sie immer auf der Strecke.
SVEN Und wenn ich den Höcker hätte, dann wäre immerhin Gleichstand.
DR. GERBER Vielleicht ist das in Ihrem Fall doch etwas zu subtil. Vielleicht brauchen wir etwas Stärkeres.
SVEN Müssen es unbedingt die Ohren sein.
DR. GERBER Eine Frage: Wie oft haben Sie Ihre Ohren schon gesehen. Ich meine, wirklich gesehen. Studiert. Würden Sie unter hundert Ohren Ihre eigenen erkennen.
SVEN Nun –
DR. GERBER Sie betrachten sich im Spiegel. Sie sehen Augen, Nase, Mund, Stirn, Wange. Aber Ihre Ohren, die sehen Sie nicht. Sie verstecken sich vor uns. Wir sehen sie erst, wenn wir den Hals verdrehen. Aber wer verdreht schon gerne den Hals. Das vermeidet man. Aber bei den anderen sehen wir als Erstes die Ohren. Wir sehen die Muschel, wir sehen sogar in den Gehörgang, in diese dunkle Höhle, an den Härchen und am Schmalz vorbei ins Innere des menschlichen Schädels. Für alle anderen gehören diese Ohren zu unserem Gesicht. Und genau aus diesem Grund sind sie ideal für eine Optimierung. Das Bild, das man von sich selbst hat, bleibt unangetastet, den anderen aber sendet man ein Zeichen.
SVEN Ist das eine grosse Sache.
DR. GERBER Sie müssen nicht einmal über Nacht bleiben. Sie kommen gegen Mittag, und abends sind Sie wieder zu Hause.
SVEN Tut es weh.
DR. GERBER Das ist nicht bei allen gleich. Manche schmerzt das linke Ohr, andere spüren das rechte mehr, und den Dritten schmerzen alle beide. Bereut hat es noch keiner. Sie werden erstaunt sein über die Wirkung.

REIZKLIMA
In der Firma. Rolf. Mara.
ROLF Was war da genau los.
MARA Frau Schmitz. Sie hat Julius geschlagen.
ROLF Aha. Wohin.
MARA Mitten ins Gesicht.
ROLF Und jetzt.
MARA Jetzt hat er gekündigt.
ROLF Aha. Können wir das verschmerzen.
MARA Kein schlechter Mitarbeiter. Etwas verschroben, aber pünktlich und genau.
ROLF Und wie rechtfertigt sie sich.
MARA Er habe sie belästigt.
ROLF Aha. Wie hat er sie belästigt.
MARA Wie Männer eine Frau belästigen.
ROLF Aha. Mara.
MARA Bitte.
ROLF Das ist unmöglich.
MARA Wie.
ROLF Frau Schmitz. Sie ist ja schliesslich keine Frau.
MARA Nun.
ROLF Mara.
MARA Sie zieht sich wieder an als Frau.
ROLF Aha. Seit wann.
MARA Seit ein paar Tagen.
ROLF Gründe.
MARA Privat.
ROLF Aha. Und warum weiss ich das nicht.
MARA Ich dachte –
ROLF Da hätte man reagieren müssen.
MARA Was soll ich denn –
ROLF Jetzt einmal der Reihe nach. Der Julius. Der wusste doch, dass Frau Schmitz keine Frau ist.
MARA Der war informiert, natürlich.
ROLF Wenn er also davon ausging, dass sie keine Frau ist, wie kann er sie dann belästigen. Als Frau.
MARA Er hat sie auf das Knie –
ROLF Auf das Knie. Das ist unter Männern eine vollkommen unverfängliche Geste.
MARA Wie.
ROLF Ein freundschaftlicher Klaps aufs Knie. Da ist doch nichts dabei. Das mache ich doch ständig.
MARA So.
ROLF Aber natürlich.
MARA Ich weiss nicht –
ROLF Der Julius hat Frau Schmitz nicht als Frau behandelt. Sie war beleidigt. Deshalb hat sie ihn geschlagen.
MARA Vielleicht –
ROLF Nur weil die Schmitz sich als Frau betrachtet, kann sie das ja nicht von jedem verlangen.
MARA Nur –
ROLF Die nimmt sich etwas viel heraus, diese Schmitz.
MARA Wie soll ich jetzt –
ROLF Ich habe einen guten Mann verloren. Der Julius, der war immer korrekt. Pünktlich, exakt. Und den habe ich jetzt verloren.
MARA Aber man muss doch auch –
ROLF Wir wollen hier keine Übergriffe. Das gilt für jeden, für Männer, Frauen und was es sonst noch gibt. Oder sind Sie da anderer Meinung.
MARA Gewiss nicht, nein.
ROLF Der ganze Betrieb steht auf dem Kopf. Reizklima, Mara, Sie mit Ihrem Reizklima.
MARA Wir hatten das doch –
ROLF Und was ist eigentlich mit Sven los.
MARA Was soll mit ihm los sein.
ROLF Haben Sie ihn nicht gesehen. Mit seinem Verband.
MARA Ein Verband.
ROLF Um den Kopf. Hat die Schmitz den vielleicht auch –
MARA Das kann ich mir nicht –
ROLF Das wird mir langsam unheimlich, Mara.
MARA Ich werde mit ihr reden und –
ROLF Bestimmt reden Sie nicht mit der Schmitz. Die ist gefährlich. Mit dieser Person lasse ich Sie nicht alleine.

PRODUKTIVE ZERSTÖRUNG
In der Firma. Rolf. Frau Schmitz in Damengarderobe. Mara.
ROLF Ich bin enttäuscht, Frau Schmitz, persönlich enttäuscht. Wir haben Ihnen eine Chance gegeben. Nicht wahr, Mara, das haben wir doch.
MARA Allerdings.
ROLF Mehr als eine. Und jetzt sehen Sie sich diese Katastrophe an. Man ist sich seines Lebens nicht mehr sicher. In seiner eigenen Firma. Alles bringen Sie mir durcheinander. Und das sage ich als Unternehmer, der ein grosses Verständnis hat fürs Durcheinander. Erst im Durcheinander ordnen sich die Dinge, und als Unternehmer bin ich verpflichtet, meine Mitarbeiter in dieses Durcheinander zu führen. Natürlich mute ich ihnen etwas zu, das ist mir vollkommen bewusst. Der Mensch, von seiner Natur her, will kein Durcheinander, keine Unruhe. Er will Sicherheit.
FRAU SCHMITZ Ja.
ROLF Bequemlichkeit.
FRAU SCHMITZ Ja. ROLF Er will eine Höhle, in die er sich verkriechen kann.
FRAU SCHMITZ Ja.
ROLF Aber eine Unternehmung ist eben keine Höhle.
FRAU SCHMITZ Nein.
ROLF Eine Unternehmung ist ein Abenteuer, und deshalb muss ich den Mitarbeiter, oder die Mitarbeiterin, aus seiner oder ihrer bequemen Wohngrotte locken, und falls er, oder sie nicht will, dann muss ich ihn oder sie nötigenfalls zerren. Macht mir das Spass. Macht es mir Spass, die Menschen an ihre Grenzen zu führen, bis hin zu den Schmerzen, in die Angst hinein, wo es keine Sicherheit, keine Verlässlichkeit mehr gibt. Quäle ich sie aus Freude. Bin ich ein Sadist. Nein, ich mache es aus Notwendigkeit. Und warum ist es notwendig. Weil der Mensch erst an seiner Grenze schöpferisch wird, erst in der Not, wo er keinen Halt mehr findet, erst da findet er zu neuen Lösungen. Und in einer zunehmend dunkler werdenden Welt, die sich so rasend schnell verändert, brauchen wir dringend neue Lösungen. Wie nennt das die klassische Ökonomie. Die produktive Zerstörung. Sie ist das Wesen des Fortschritts. Aber Gewalt hat darin keinen Platz. Frau Schmitz. Was ich nicht verstehe. Das haben Sie doch alles begriffen. Sie haben es bewiesen. Sie waren in Karachi, und das war im ersten Augenblick nicht angenehm. Fast musste ich Sie zwingen. Aber dann. Dann sind Sie richtig aufgeblüht. Sonst hätten Sie mir nicht diesen schönen Erfolg nach Hause gebracht. Und jetzt schlingern Sie zurück ins alte Fahrwasser. Sie hatten sich doch so vorteilhaft verändert. Bleiben Sie doch einmal dabei. Immer dieses Hinundher. Verändern Sie sich, ich will sagen, machen Sie das rückgängig. So jedenfalls kann es nicht bleiben. So kann ich Sie nicht mehr beschäftigen.

BLUMENKOHLOHREN
In der Firma. Mara, Sven mit einem Verband um den Kopf.
MARA Sven. Was ist mit dir.
SVEN Willst du sehen.
MARA Was ist das.
SVEN Eigentlich müsste der Verband noch bis Montag bleiben, aber einen kurzen Blick darfst du darauf werfen.
MARA Was hast du gemacht.
SVEN Nun schau dir einmal diese feine Arbeit an.
MARA Das blutet ja.
SVEN Das sind Blumenkohlohren.
MARA Um Gotteswillen.
SVEN Ringer haben das, Kämpfer, Krieger, Boxer. Die entstehen durch Schläge auf die Muschel, durch Hämatome. Die hier sind nicht echt, aber Sie wirken trotzdem. Mara. Musst du dich setzen.

ELTERNABEND
Zuhause. Leni. Frau Schmitz in Männergarderobe.
LENI Achtzehn Jahre haben sie dich akzeptiert und jetzt ist plötzlich Schluss. Plötzlich verlangen sie eine bestimmte Garderobe von dir. Mit welchem Recht. Wie stellst du dir das vor. Willst du tagsüber eine Lüge leben, und dann abends, zu Hause, wenn dich keiner sieht, zurückkehren in deine eigentliche Welt. Wo ist deine Selbstachtung. Wo ist dieser Mensch, mit dem ich durch alle Stürme gegangen bin. All die Kämpfe, die Ablehnung, die schiefen Blicke. Weisst du noch, die erste Zeit. Wie uns die Leute angeglotzt haben. Oder an den Elternabend mit Valerie.
FRAU SCHMITZ Ja –
LENI Wie peinlich es ihnen war und keiner ein Wort mit uns gesprochen hat. Niemand hat an uns geglaubt.
FRAU SCHMITZ Nein –
LENI Nicht einen Monat haben sie uns gegeben, keine Woche. Und doch haben wir alles durchgestanden. Und es gab keinen Tag, an dem wir nicht mindestens einmal gelacht haben. Das sind wir. Das gehört uns. Nur uns. Und jetzt willst du es einfach wegwerfen. Einfach so. Und wofür. Du wolltest ihnen helfen. Du wolltest sie nicht im Stich lassen. Deshalb bist du nach Karachi gefahren. Und das ehrt dich. Aber dieses Mal darfst du uns nicht im Stich lassen.
FRAU SCHMITZ Dann ist es jetzt wohl an der Zeit.
LENI Was meinst du.
FRAU SCHMITZ Wann, wenn nicht jetzt.
LENI Wir sollten nichts überstürzen.
FRAU SCHMITZ Das hört sonst niemals auf.

LIEBE
Valerie. Carl. Im Park.
CARL Ich habs ja gewusst.
VALERIE Du weisst immer alles.
CARL Ich habs eben gewusst. Dass das Probleme gibt. Macht sie die Operation wirklich.
VALERIE Schon nächste Woche. Sie hat alle Atteste. Und die Hormone verträgt sie auch.
CARL Und die Stelle.
VALERIE Die werden mit sich reden lassen. Und sonst finden sie was anderes.
CARL Und sie. Was sagt sie dazu.
VALERIE Wer.
CARL Deine Mutter. Ist ihr das egal.
VALERIE Natürlich ist es ihr nicht egal.
CARL Ziemlich extrem für sie.
VALERIE Sie steht zu ihr.
CARL Vielleicht ist ihr das auch nicht so wichtig.
VALERIE Was soll ihr nicht wichtig sein.
CARL Wahrscheinlich ist sie nicht so wie du.
VALERIE Wie ich.
CARL Und kann leben ohne Mann.
VALERIE Es ist sinnlos, sinnlos.
CARL So.
VALERIE Du wirst das nie verstehen. Du kannst es dir einfach nicht vorstellen.
CARL Klar kann ich mir das vorstellen. Ist ja nicht so schwierig.
VALERIE Sie lieben sich.
CARL Klar. Keine Frage. Ich frag mich nur, wie.
VALERIE Bitte.
CARL Wie die sich lieben.

INFORMATIONSBROSCHÜRE
In der Klinik. Leni und die Dr. Gerber.
DR. GERBER Man stellt sich tausend Fragen, gerade als Ehefrau. Wie das weitergehen soll.
LENI Ist sie schon aus der Narkose erwacht.
DR. GERBER Zu reden fällt nicht leicht. Weil man die ganzen Jahre seine eigenen Gefühle, seine Bedürfnisse zurückgestellt hat.
LENI Aber es geht ihr doch gut. Ich meine, war die Operation –
DR. GERBER Sie haben sich längst an diesen Druck gewöhnt. Für Sie ist es Alltag. Über Jahre geht das gut, man macht hier ein paar Kompromisse, dort verleugnet man sich ein wenig, der Druck wächst und wächst, und es ist zwar unangenehm, aber es ist immerhin ein Inhalt. Und dann, nach der Operation, ist plötzlich nichts mehr da.
LENI Was soll das heissen –
DR. GERBER Nur noch eine Leerstelle. Und sie erlebt man als Verlust. Das ist ganz schwer. Weil gewisse Dinge fehlen und man sich neu kennenlernen muss. Eine gewisse Verbindung funktioniert nicht mehr.
LENI Kann ich jetzt zu ihr.
DR. GERBER Und weil der Druck weg ist, spürt man ganz plötzlich einen Hunger, gerade, weil der Druck weg ist. Doch man weiss nicht, wie man diesen Hunger stillen kann, weil etwas fehlt.
LENI Ich hatte eigentlich nie –
DR. GERBER Und man wartet darauf, dass etwas kommt, etwas wächst, etwas grösser wird und diese Leere füllt, dieses Loch, das man auf einmal in sich spürt.
LENI Ich möchte jetzt wirklich –
DR. GERBER Aber da kommt eben nichts. Weil nichts mehr da ist. Nicht alle ertragen das. Da will ich ganz ehrlich sein. Die meisten werden frustiert und wütend. Andere bloss sehr, sehr traurig.
LENI Ich will sie sehen.
DR. GERBER Nach meiner Erfahrung bleibt nur eine Möglichkeit. Man darf sich nicht verkrampfen. Man muss offen bleiben. Empfänglich bleiben. Für neue Formen. Auch wenn diese Formen ungewohnt, seltsam, unnatürlich. Doch wenn man etwas ausprobiert, kann man auch damit seine Erfüllung finden.
LENI Lassen Sie mich zu ihr.
DR. GERBER Wir haben eine Informationsbroschüre. Beim Empfang. Und wenn danach noch Fragen bleiben, verweise ich Sie gerne an eine Beratungsstelle. Nur Mut. Das wird schon werden.

SAFARI
Zuhause. Leni. Frau Schmitz.
LENI Pass auf.
FRAU SCHMITZ Was ist denn.
LENI Du sollst nicht zu schnell aufstehen.
FRAU SCHMITZ Keine Sorge, es geht schon.
LENI Willst du nicht noch ein paar Tage zu Hause bleiben.
FRAU SCHMITZ Das haben wir doch besprochen.
LENI Trotzdem.
FRAU SCHMITZ Liebling, es geht mir gut.
LENI Versprich mir, dass du es ruhig angehst.
FRAU SCHMITZ Aber sicher.
LENI Lass dich nicht hetzen.
FRAU SCHMITZ Du kennst mich doch.
LENI Gerade deshalb. Und mach mal Pause zwischendurch.
FRAU SCHMITZ Jetzt hör auf, dir Sorgen zu machen. Ich fahre ja nicht auf Safari. Ich fahre bloss zur Arbeit.

SATISFAKTIONSFÄHIGKEIT
In der Firma. Frau Schmitz in Damengarderobe. Sven.
SVEN Frau Schmitz. Zurück aus dem Krankenhaus. Herzlich willkommen. Darf ich Ihnen die Tasche abnehmen. Die ist bestimmt zu schwer für Sie. Frau Schmitz. Das klingt jetzt vielleicht seltsam, aber ich habe Sie falsch eingeschätzt. Ich hielt Sie für einen Konkurrenten. Das war natürlich Blödsinn. Worum hätten Sie mit mir auch kämpfen sollen, ich meine, das war doch schon damals nicht Ihre Art. Sie waren kein Gegner, nicht für mich. Das sehe ich jetzt ein. Sie hatten genug mit sich selbst zu tun. Also, damit Sie es wissen, von meiner Seite: Keine schlechten Gefühle. Also. Ich will Sie nicht aufhalten.

NEUGEBOREN
In der Firma. Frau Schmitz in Damengarderobe. Rolf.
ROLF Frau Schmitz. Wie neu geboren, sagt man das nicht. Sie sehen blendend aus. Wirklich erstaunlich. Aber lassen wir die Plauderei. Die Sache mit dem Kerl da, der Sie belästigt hat, wie soll ich es ausdrücken, da habe ich einen Fehler gemacht. Ich habe es mir erklären lassen. Wenn einer seine Männlichkeit nicht im Griff hat, dann hat jede Frau das Recht, sich zu wehren. Bestrumpfte Beine hin oder her, ansehnliche Formen hin und her, das muss man als Mann aushalten. Und die Männer haben es da ja heute einfacher als früher. Die meisten Frauen nehmen sich sehr zurück, nicht alle, es gibt noch ein paar Exemplare, die ihre weiblichen Reize nicht verstecken. Und ich bin der Letzte, der das verurteilen würde. Aber das verlangt natürlich Kontrolle, und wer die nicht hat, der hat in meiner Firma nichts verloren, gar nichts. So. Zur Sache, zum Geschäftlichen. Nach Karachi werde ich Sie nicht mehr schicken. Obwohl das jetzt sogar möglich wäre, ich meine, leichter möglich wäre. Aber der Pakistani mag keine Frauen, da kann man nichts machen. Er mag sie vielleicht, das weiss ich nicht, ist mir einerlei, ich weiss nur, der zieht sie über den Tisch, geschäftlich, kurzum, der hat nicht diesen Respekt vor Frauen, wie er hier üblich ist. Gut. Was machen wir. Ich habe da eine Sache, die kompliziert ist, und diese Sache, das ist ein Spanier, in Jerez, ein ganz feuriger Typ. Aber er macht Sperenzchen. Reagiert nicht auf Druck, reagiert nicht auf Geld, reagiert auf gar nichts. Ich habe gebettelt, ich habe gedroht, aber nein, er ziert sich. Vielleicht können Sie ihn, ich meine, als Frau hat man doch ganz andere Mittel, kommunikative undsoweiter, was meinen Sie, gerade Sie, weil Sie doch die Gegenseite, wie soll ich sagen, besser verstehen als manche andere, jedenfalls besser als Mara, die ja, rein fachlich, durchaus kompetent, aber das weibliche Instrumentarium, das fehlt ihr doch, und genau damit könnte man diesen Spanier, und Jerez ist toll, ganz toll, da hätten Sie ein paar schöne Tage, oder was denken Sie, Frau Schmitz.

FLIEHENDE HIRSCHE, JAGENDE HUNDE
Frau Schmitz in Damengarderobe. Julius.
JULIUS Frau Schmitz. Dass ich Sie antreffe, damit hätte ich nicht gerechnet. Ich wollte Ihnen etwas bringen. Das steht bei mir zu Hause herum. Und wenn man den ganzen Tag zu Hause sitzt, weil man keine Arbeit findet, weil man traumatisiert ist und sich die ganze Zeit fragt, was man nur falsch gemacht hat, was macht man dann. Man räumt auf. Und schafft die Dinge weg, die böse Erinnerungen bringen. Aber Sie haben bestimmt Verwendung dafür. Es war ja für Sie bestimmt. Was ist, es gefällt Ihnen nicht. Wie kann das sein. Es ist ein Flügelglas, aus Venedig. Eine Frau, in Ihrer Position, die müsste doch die Schönheit erkennen. Sie sollten es aus der Nähe betrachten, Frau Schmitz. Dann sehen Sie die Hirsche besser. Haben Sie es bemerkt. Die armen Tiere fliehen vor dem Jäger. Aber das wird ihnen nichts nützen. Die Hunde sind immer schneller. Sie müssen näher ran gehen, Frau Schmitz. Jetzt haben Sie es zerbrochen. Alles machen Sie kaputt, kaputt.
Er zerschneidet ihr das Gesicht.

KEINE OFFENEN FRAGEN
Zuhause. Valerie. Leni. Nacht.
VALERIE Wie geht es ihr.
LENI Nicht so laut. Sie schläft.
VALERIE Aber es geht ihr doch –
LENI Sie braucht Ruhe.
VALERIE Ich wäre früher –
LENI Jetzt bist du ja da.
VALERIE Ich habe den Anruf nicht gehört.
LENI Zieh doch mal die Schuhe aus. Willst du etwas trinken.
VALERIE Bloss nicht. Ich hatte schon genug.
LENI Warst du tanzen. Mit Carl.
VALERIE Carl. Der tanzt nicht. Der steht die ganze Zeit an der Bar und schaut zu.
LENI Kommt er noch.
VALERIE Das weiss ich nicht.
LENI Habt ihr euch getrennt.
VALERIE Ich kann mich nicht trennen.
LENI Wie.
VALERIE Wir waren gar nie zusammen. Er ist so grob. Ein bisschen grob ist gut. Aber er ist falsch grob. Und er weiss immer alles.
LENI Das ist doch gut.
VALERIE Er weiss immer alles vorher. Und wenn er sich nicht sicher ist, dann hat er es irgendwie gewusst. Das ist tödlich. Wie macht man das nur. Ich weiss nicht, wie das geht.
LENI Das kann ich dir nicht sagen.
VALERIE Aber ihr seid glücklich.
LENI Weiss ich doch nicht.
VALERIE Nicht.
LENI Ich mag’s halt, wie sie lacht. Und wie sie riecht.
VALERIE Wie hast du Papa gefunden.
LENI Gefunden. Ich habe sie nicht gefunden. Sie war plötzlich einfach da.
VALERIE Und wusstest du gleich, ob sie die Richtige –
LENI Wie meinst du das, die Richtige.
VALERIE Ob ihr zusammenpasst.
LENI Das habe ich mich nie gefragt.
VALERIE Nicht.
LENI Ich habe sie ja nicht geprüft.
VALERIE Aber was war es dann. An ihr, dass dich –
LENI Ich habe keine Ahnung. Das war nie meine Frage.
VALERIE Nie.
LENI Das ist deine Frage. Du suchst eine Antwort. Ich habe meine längst gefunden. Hör zu. Ihr Gesicht. Du musst dich darauf vorbereiten.
VALERIE Wie.
LENI Sie hat eine Narbe.
VALERIE Eine Narbe. Geht die wieder weg.
LENI Die geht nicht weg, nein. Die bleibt. Für dich wird sie jetzt anders aussehen.
VALERIE Für mich.
LENI Meine Augen sehen das nicht. Sie sehen etwas anderes. Die Sterne sind schön heute Nacht.
VALERIE Lass mich doch mit den Sternen in Ruhe.
LENI Bald kommt der Morgen.
VALERIE Denkst du, ich sollte es noch mal versuchen. Mit Carl.
LENI Aber sicher. Was hast du zu verlieren.

„SCHMECKT‘S?“
Später, gegen Morgen. Leni. Valerie. Carl.
VALERIE Carl.
CARL Ich habe Frühstück mitgebracht.
VALERIE Du hast was.
CARL Was Ordentliches. Und Orangensaft.
VALERIE Ich bin hungrig. Danke.
CARL Schmeckt‘s.
VALERIE Lecker, ja.
CARL Der ist frisch gepresst. Wie geht es ihr.
VALERIE Sie wird das schon schaffen.
CARL Und der hat sie einfach.
VALERIE Mit einem Glas, ja.
CARL Das tut mir leid. Wirklich. Das tut mir leid.
VALERIE Schon gut. Ist ja nicht dein Fehler.
CARL Weisst du, was komisch ist.
VALERIE Was ist komisch.
CARL Ich hab das ja gewusst. Das was passiert. Irgendwie habe ich das gewusst.

SONNENBLUMEN
In der Firma. Rolf. Mara.
MARA Frau Schmitz wäre jetzt da.
ROLF Aha. Was kommt da auf mich zu.
MARA Es geht ihr gut.
ROLF Sie hat eine Karte erhalten.
MARA Natürlich.
ROLF Was war da drauf.
MARA Eine Sonnenblume.
ROLF Aha. Warum eine Sonnenblume.
MARA Es ist ein Symbol.
ROLF Aha. Wofür.
MARA Fürs Willkommensein.
ROLF Welches Willkommensein.
MARA Nun hier. Bei uns. In der Firma.
ROLF Aha. Und wie sieht sie aus, die Frau Schmitz. Rein äusserlich.
MARA Fast wie immer.
ROLF Aha. Fast.
MARA Bloss eine Narbe hat sie im Gesicht.
ROLF Aha. Eine Narbe.
MARA Quer von der Schläfe über die rechte Wange, zur Nase bis hinunter zu den Lippen.
ROLF Aber sonst ist sie intakt. Psychisch, meine ich.
MARA Ich denke ja.
ROLF Aha. Da gibt es nichts zu beachten.
MARA Ich denke nicht, nein.
ROLF Gut. Dann lasse ich bitten.

KLITZEKLEIN
In der Firma. Die Vorigen. Frau Schmitz in Damengarderobe.
ROLF Da ist sie ja, unsere gute Frau Schmitz. Was machen Sie auch für Sachen. Eine gehörige Angst haben Sie uns eingejagt, nicht wahr, Mara, wir hatten eine Angst.
MARA Das kann man wohl sagen.
ROLF Haben Sie die Karte erhalten.
FRAU SCHMITZ Vielen Dank.
ROLF Eine Sonnenblume. Als Symbol des Willkommenseins. Jetzt kommen Sie doch einmal näher. Nur nicht schüchtern. Lassen Sie sich ansehen. Aber Mara, was erzählen Sie denn für Schauergeschichten. Ich dachte schon, die Frau Schmitz sei ganz entstellt, ein Monster habe ich erwartet. Aber nein. Das fällt ja kaum auf. Schon erstaunlich, was die moderne Medizin zu Stande bringt. Noch vor einer Generation hätte das unweigerlich zum Tod geführt. Oder zu Schlimmerem. Da müssen wir alle dankbar sein. Und jetzt das. Ein klitzekleines Närbchen. Und das hat sogar etwas für sich, nicht wahr, Mara.
MARA Sicher, doch.
ROLF Ein kleiner Makel lässt die Schönheit umso heller erstrahlen. Bei mir sind die Makel leider nicht klein. Doch, doch, ich bin mir dessen bewusst. Eine Schönheit war ich nie, weiss Gott. Nun hören Sie. Ich habe etwas aus meinen Talenten gemacht. Darauf kommt es an. Jeder bekommt von der Natur seinen Rucksack, aber längst nicht jeder ist gewillt, diesen Rucksack auch zu tragen. Es kommt nämlich nicht darauf an, wer man ist, sondern wer man sein will. So. Was ist das Nächste.
MARA Wir wollten sehen, was sich für Frau Schmitz finden lässt.
ROLF Aha. Dann finden wir der Frau Schmitz jetzt eine sinnvolle Arbeit, dabei erholt man sich immer noch am besten. Mara. Was steht an.
MARA Sie wollten Frau Schmitz zum Spanier schicken.
ROLF Zum Spanier. Zu welchem Spanier.
MARA Nach Jerez, ja.
ROLF Aha. Der Spanier. Das kann doch warten. Da müssen wir nicht die Frau Schmitz, nein, nein, wir brauchen etwas Leichtes, Internes. Der Spanier, das geht ja nicht, der ist ja, und Frau Schmitz, ich meine, das will sie doch nicht. Wo wollen Sie hin.
MARA Frau Schmitz. Bleiben Sie doch.
ROLF Was hat sie jetzt.

DIE HARMONIE
Erneut in der Klinik. Frau Schmitz in Damenkleidern, Dr. Gerber, Leni, Valerie.
DR. GERBER Die Narbe, nein, die bekommen wir nicht weg.
FRAU SCHMITZ Nicht.
DR. GERBER Ganz unmöglich, tut mir leid. Da fehlen uns die Mittel. Narben bleiben. Und das ist auch gut. Narben sind Spuren der eigenen Geschichte. Und diese Geschichte darf man nicht auslöschen.
FRAU SCHMITZ So geht es nicht weiter.
DR. GERBER Die Narbe wird bleiben.
FRAU SCHMITZ Aber an dem, was drum herum ist, können wir vielleicht etwas anpassen.
DR. GERBER Anpassung ist immer möglich. Was wir beim Menschen wahrnehmen, ist zuerst der Gesamteindruck. Einzelne Schwächen können, wenn sie in eine harmonische Komposition gebracht werden, zu einem vorteilhaften Äusseren werden. Schönheit nehmen wir ganzheitlich wahr, und was bei der einen Person störend wirkt, empfinden wir bei einer anderen als Vorteil.
FRAU SCHMITZ Was können wir tun.
DR. GERBER Wir brauchen eine Korrektur, eine leichte Verschiebung zu mehr Virilität, das muss das Ziel sein.
FRAU SCHMITZ Das wäre vielleicht gar nicht schlecht.
DR. GERBER Wir werden improvisieren müssen, aber durch gezielte Umlagerungen und einige künstliche Polster werden wir das hinbekommen. Den Kopf werden wir allgemein etwas breiter machen, den Hals etwas verkürzen. Die Narbe dominiert horizontal, also werden wir sämtliche Vertikalen etwas stauchen, den Hals durch Absetzung verbreitern. Da finden wir eine Lösung. Nur etwas macht mir Sorgen.
FRAU SCHMITZ Ja.
DR. GERBER Die Schultern. Die Schultern müsste man runden. Das klingt so einfach, aber Schultern, die haben es in sich. Vielleicht machen wir das auch später, in einem zweiten Schritt. Wir wollen nichts erzwingen.
FRAU SCHMITZ Nein, wir wollen nichts erzwingen.

DAHEIM
Sechs Monate später. Nach der letzten Operation wirkt Frau Schmitz wie verwandelt, fast eine andere Person. Man erkennt sie kaum mehr. Das Gesicht ist breiter, die Gestalt gedrungener, sie scheint älter und man könnte meinen, Frau Schmitz sei ein Mann, wenn einen die Damengarderobe nicht eines Besseren belehren würde. Leni. Frau Schmitz in Damengarderobe.
LENI Wo bist du denn.
FRAU SCHMITZ Ich bin hier.
LENI Wo. Ich sehe dich nicht.
FRAU SCHMITZ Ich bin im Schrank.
LENI Im Schrank.
FRAU SCHMITZ Ich suche mein Kleid. Das Flaschengrüne mit dem griechischen Kragen.
LENI Das habe ich ewig nicht gesehen.
FRAU SCHMITZ Hast du es weggeworfen.
LENI Bestimmt nicht.
FRAU SCHMITZ Nicht aus Absicht.
LENI Ich habe es nicht weggeworfen.
FRAU SCHMITZ Aber dann müsste es doch da sein.
LENI Jetzt komm doch mal aus diesem Schrank heraus. Du machst ja alles durcheinander.
FRAU SCHMITZ Das war ein schönes Kleid. Die Farbe stand mir.
LENI Das wird sich schon finden.
FRAU SCHMITZ Ich habe nichts mehr anzuziehen.
LENI Dein Schrank ist voll.
FRAU SCHMITZ Trotzdem. Und das hier zwickt.
LENI Warum zwickt das. Ich habe es dir ändern lassen.
FRAU SCHMITZ Du bist ein Herz. Aber es zwickt trotzdem.
LENI Zeig. Diese Schneiderinnen heute. Die verstehen nichts mehr von ihrem Handwerk.
FRAU SCHMITZ Nun zupf doch nicht so an mir rum.
LENI Halt doch mal still.
FRAU SCHMITZ Sonst zupf ich auch ein bisschen an dir rum.
LENI Lass das.
FRAU SCHMITZ Hier zupf ich, und da zupf ich, und da und da.
LENI Du bist albern.
FRAU SCHMITZ Ha. Jetzt ist besser.
LENI Was.
FRAU SCHMITZ Es zupft nicht mehr.
LENI Siehst du. Musst mich nur machen lassen.
FRAU SCHMITZ Ich lern das halt nie.
LENI Das nächste Mal nähe ich das selbst um.
FRAU SCHMITZ Du hast doch schon so zu viel zu tun.
LENI Keine ordentliche Naht bringen sie zu Stande.
FRAU SCHMITZ Oder ich mach‘s.
LENI Du.
FRAU SCHMITZ Warum nicht.
LENI Da fehlen dir die Hände.
FRAU SCHMITZ Ich habe ziemlich feine Hände. Ich könnte mir die eigenen Kleider schneidern, was meinst du. Ich finde ja kaum etwas von der Stange.
LENI Natürlich. Wenn du willst.
FRAU SCHMITZ Aber die Nähmaschine fasse ich nicht an. Das musst du machen.
LENI Das ist nicht schwierig.
FRAU SCHMITZ Schwierig vielleicht nicht. Aber gefährlich.
LENI Musst bloss achtgeben.
FRAU SCHMITZ Genau das hat meine Tante damals auch gesagt. Ich zeig dir jetzt, wie man mit der Maschine näht. Ist gar nicht schwierig, schau, musst bloss aufpassen, wenn du das Nähgut unter den Schlitten, so, vorsichtig – und zack, hatte sie die Nadel mitten durch den Daumen.
LENI Hör doch auf.
FRAU SCHMITZ Du findest das lustig. Unglaublich. Das war nicht lustig. Ich habe ein Trauma, ein Nähmaschinentrauma.
LENI Dann machst du halt vorher eine Therapie.
FRAU SCHMITZ Soweit kommt’s noch. Eine Therapie. Ich bin ja nicht verrückt. Weisst du, woran ich gerade gedacht habe.
LENI Wie soll ich das wissen.
FRAU SCHMITZ Ich habe gerade an eines deiner Brathähnchen gedacht. Das mit der Knusperkruste. Und an Rosenkohl. Das hast du ewig nicht gekocht.
LENI Du sollst doch nicht zu schwer essen.
FRAU SCHMITZ Ich hätte halt trotzdem gerade Lust darauf.
LENI Vielleicht am Wochenende.
FRAU SCHMITZ Mordsmässig Lust auf dein Brathähnchen. Und ein schönes Bier dazu.
LENI Ich habs verstanden.
FRAU SCHMITZ Kommt eigentlich, wie heisst der noch, kommt Valerie mit ihrem –
LENI Ich glaube, das ist aus.
FRAU SCHMITZ Warum. Der war doch nett.
LENI Er war halt nicht der Richtige.
FRAU SCHMITZ Kaum gibt’s Probleme, suchen sie sich einen Neuen.
LENI Es bringt ja nichts, wenn sie sich quält.
FRAU SCHMITZ Stimmt. Das bringt nichts. Dafür ist das Leben zu kurz. Ah. Jetzt weiss ich, wo das Kleid ist.
LENI So.
FRAU SCHMITZ Bestimmt hat Valerie es genommen.
LENI Meinst du.
FRAU SCHMITZ Sie soll vorher fragen. In der Erziehung haben wir versagt.
LENI Das kannst du nicht sagen.
FRAU SCHMITZ Versagt. Grundsätzlich versagt. Aber ich liebe sie trotzdem. Nur Sorgen mache ich mir.
LENI Warum denn Sorgen.
FRAU SCHMITZ Sorgen um die Arbeit. Ob mich noch jemand will.
LENI Dich will bestimmt noch jemand.
FRAU SCHMITZ So einfach wird das nicht.
LENI Das eilt doch nicht. Wir haben noch Erspartes.
FRAU SCHMITZ Das reicht nicht ewig.
LENI Sonst verkaufen wir die Wohnung.
FRAU SCHMITZ Die Wohnung. Hängst du nicht daran.
LENI Etwas Kleineres zur Miete reicht auch. Dann bleibt uns mehr Zeit für uns. Wir könnten uns noch etwas kennenlernen.
FRAU SCHMITZ Du kennst mich doch schon ein halbes Leben.
LENI Eben. Erst ein halbes Leben.
FRAU SCHMITZ Ich könnte vielleicht wieder in den alten Betrieb.
LENI Meinst du.
FRAU SCHMITZ Nicht auf die alte Stelle, aber vielleicht gibt es etwas anderes. Die kennen mich ja.

DER HECHT
Die Vorigen. Valerie.
FRAU SCHMITZ Sehr gut. Du kommst gerade recht.
VALERIE Lass mich in Ruhe.
FRAU SCHMITZ Ich weiss alles. Du bist überführt.
VALERIE Was soll das.
FRAU SCHMITZ Das grüne Kleid. Du hast es genommen.
VALERIE Was soll ich denn damit. Ist doch überhaupt nicht mein Stil.
FRAU SCHMITZ Jetzt hör dir dieses Mädchen an. Gerade wie die reine Unschuld. Als ob sie nicht regelmässig meine Foulards, Handtaschen, mein Schminkzeug.
VALERIE Accessoires vielleicht. Aber bestimmt kein Kleid.
FRAU SCHMITZ Im Ernst. Ich bin dir nicht böse. Aber ich brauche dieses Kleid.
VALERIE Ich habe es nicht genommen. Was kann ich dafür, dass du eine Chaotin bist.
FRAU SCHMITZ Eine Chaotin. Das ist ja unqualifiziert. Ich bin ja hier wohl die Ordentlichste. Stimmt das etwa nicht, Leni.
LENI Ich sag da jetzt überhaupt nichts.
FRAU SCHMITZ Aha. Eine kleine Intrige.
LENI Jetzt sei nicht eingeschnappt.
FRAU SCHMITZ Tut mir leid. Aber ihr wisst doch, wie das ist, wenn man unbedingt etwas anziehen will. Und dann findet man es nicht. Schwamm drüber. Ich kauf mir ein Neues. Jetzt hatte ich gerade eine Idee.
VALERIE Bitte nicht.
FRAU SCHMITZ Doch. Eine sehr gute Idee. Wir gehen schwimmen. Alle zusammen. Jetzt gleich.
LENI Du willst ins Hallenbad.
FRAU SCHMITZ Nicht ins Hallenbad. Wir gehen in den See.
VALERIE Bist du verrückt. Das Wasser ist eisig kalt.
FRAU SCHMITZ Das belebt, erfrischt. Wir springen rein. Machen ein paar Züge. Bis wir es nicht mehr aushalten. Und dann wickeln wir uns in warme Decken, trinken heissen Tee und essen ein paar Kekse. Was meint ihr.
LENI Du brauchst zuerst ein Schwimmkleid.
FRAU SCHMITZ Was ist mit meinem Alten.
LENI Das ist im Keller. Aber das kannst du nicht mehr tragen.
FRAU SCHMITZ Dann geh ich eben nackt. Für einmal. Sieht doch keiner.
VALERIE Mama.
FRAU SCHMITZ Hurra.
VALERIE Was ist.
FRAU SCHMITZ Hurra.
VALERIE Wo rennt sie jetzt hin.
LENI Sie holt bestimmt das Schwimmzeug.
VALERIE Muss das sein.
LENI Da hilft nichts, Valerie. Du packst besser gleich deine Sachen. Sie ist ein Dickkopf. Wenn sie sich etwas in den Schädel gesetzt hat.
FRAU SCHMITZ Jetzt muss ich mich entschuldigen.
LENI Wo war es.
FRAU SCHMITZ Im Keller war es. Mea culpa, mea maxima culpa.
VALERIE Und mich beschuldigen.
FRAU SCHMITZ Ich mach das wieder gut. Du darfst dir etwas wünschen.
VALERIE Dann wünsche ich mir, dass wir nicht schwimmen gehen.
FRAU SCHMITZ Das geht nicht. Das war mein Wunsch. Und einen Wunsch kann man nicht umwünschen. Stimmt‘s Leni.
VALERIE Du bist furchtbar.
FRAU SCHMITZ Ein Angebot. Zur Güte.
VALERIE Ach.
FRAU SCHMITZ Wir gehen noch nicht gleich schwimmen. Erst später. Erst näht mir Leni dieses Kleid um. Und danach gehen wir schwimmen.
VALERIE Sie manipuliert uns, Mama, merkst du das.
FRAU SCHMITZ Es ist auch zu eurem Vorteil, wenn ich nett aussehe.
LENI Gib mir das Kleid.
FRAU SCHMITZ Sehr gut. Ich mach derweil ein Nickerchen. Und Valerie packt das Schwimmzeug. Und vergiss die Taucherbrille nicht. Je kälter das Wasser, umso klarer die Sicht. Ich will’s nicht verschreien, aber mit ein bisschen Glück könnten wir heute einen Hecht sehen. Valerie. Hast du schon einmal einen Hecht gesehen.

AUSFALL
In der Firma. Rolf. Mara. Frau Schmitz in Damengarderobe. Sven.
ROLF Das war kein einfacher Lernprozess für Sie, Mara, aber den Kopf dürfen Sie deswegen nicht hängen lassen. Sie sehen natürlich die Niederlage, niemand in Jerez, und der Spanier ist abgesprungen. Ihr persönliches Scheitern, das will ich Ihnen auch gar nicht ausreden. Aber gerade in dramatischen Situationen ist der Unternehmergeist in jedem Mitarbeiter gefordert. Nur im Scheitern liegt der Erfolg verborgen. Sehen Sie sich die Welt an. Was hat sich nie verändert. Was ist seit den Anfängen immer gleich geblieben. Gar nichts. Nichts ist sich gleich geblieben. Das ist das Gesetz des Universums. Alles dreht sich, alles wendet sich. Nehmen Sie einen Samen. Der Samen wird zum Keimling. Der Keimling wird zum Baum. Der Baum wird gefällt. Zersägt zu Brettern. Die Bretter werden zum Schiff. Das Schiff fährt übers Meer. Geht schliesslich unter. Wird, wird zum Wrack. Aber auch das Wrack bleibt nicht Wrack. Auch das Wrack vermodert. Wird zum Meeresboden undsoweiter. So müssen wir denken, Mara, und macht uns das Spass. Natürlich nicht. Aber es ist notwendig. Und warum ist es notwendig. Weil der Mensch erst an seiner Grenze schöpferisch wird, erst in der Not, wo er keinen Halt mehr findet, erst da findet er zu neuen Lösungen. Und in einer zunehmend dunkler werdenden Welt, die sich so rasend schnell verändert, brauchen wir dringend neue Lösungen. Wie nennt das die klassische Ökonomie. Die produktive Zerstörung. Sie ist das Wesen des Fortschritts.
FRAU SCHMITZ Kommt.
MARA Frau Schmitz.
ROLF Diesen Namen, Mara, möchte ich lieber nicht mehr –
MARA Da.
ROLF Wer ist diese Person.
MARA Aber.
ROLF Sie meinen. Natürlich. Das ist. Das ist Schmitz. Und was führt Sie hierher.
FRAU SCHMITZ Um ehrlich zu sein, ich suche eine Arbeit.
ROLF Eine Arbeit.
FRAU SCHMITZ Falls gerade etwas frei ist.
ROLF Aha. Und woran haben Sie gedacht.
FRAU SCHMITZ Muss gar nichts Grosses sein.
ROLF Ich weiss jetzt nicht, wo –
FRAU SCHMITZ Etwas in der Buchhaltung vielleicht, oder am Empfang.
ROLF Am Empfang. Natürlich, warum auch nicht. Was meinst du, Mara, am Empfang.
MARA Da ist gerade nichts frei.
ROLF Aha. Das ist schade. Sehr schade.
FRAU SCHMITZ Oder im Versand.
ROLF Aha. Im Versand. Bringen Sie da Erfahrung mit.
FRAU SCHMITZ Also Erfahrungen –
ROLF Mara. Was denkst du.
MARA In der Gebäudetechnik wäre etwas frei.
ROLF Aha. Schmitz, was meinen Sie. Sie wären verantwortlich für die Heizung. Das Betriebsklima, das liegt Ihnen doch, nicht wahr, Mara.
MARA Da habe ich gar keine Zweifel. Bloss gibt es da ein Missverständnis.
ROLF Aha.
MARA Es wäre nicht die Leitung. Es wäre bloss die Hilfskraft.
ROLF Als Hilfskraft, Schmitz, im Heizungskeller, können Sie sich das vorstellen.
SVEN Ich störe ja nicht gerne, aber es eilt.
ROLF Schmitz. Ich darf doch kurz.
FRAU SCHMITZ Natürlich. Ich habe Zeit. SVEN Wir haben einen Ausfall. Beim Pakistani.
ROLF Bei welchem Pakistani.
SVEN In Karachi.
ROLF Aha. In Karachi. Wo ist das.
SVEN In Pakistan.
ROLF Aha. Und da ist jetzt ein Ausfall.
SVEN Ein Halbausfall, ja.
ROLF Aha. Und jetzt.
SVEN Wir müssten da jemand hinschicken. Und zwar dringend.
ROLF Aha. Wer betreut das Projekt.
SVEN Nun –
ROLF Ich höre.
SVEN Also.
ROLF Mara.
MARA Das war doch dieser Pakistani da, diese Geschichte –
ROLF Aha. Natürlich. Nun also, Schmitz, der Heizungskeller kann vielleicht noch warten, Karachi war doch Ihr Projekt, vielleicht könnten Sie dort kurz zum Rechten sehen, achtundvierzig Stunden und die Sache ist geregelt.
FRAU SCHMITZ Nach Karachi.
ROLF Ganz genau. Interessante Stadt, da gäb es etwas zu sehen. Und Mara nehmen Sie mit. Als Unterstützung.
SVEN Mara und Schmitz nach Pakistan.
ROLF Natürlich, das hat doch wunderbar funktioniert. Also Schmitz, was sagen Sie.
FRAU SCHMITZ Sie wissen, wenn Not ist, helfe ich immer gerne.
ROLF Na also, das ist der rechte Geist.
FRAU SCHMITZ Aber nach Karachi kann ich unmöglich.
ROLF Aha. Und warum nicht.
FRAU SCHMITZ Wie stellen Sie sich das denn vor. Ich in Pakistan. Als Frau.

Fin de la bobine.

(Mitarbeit Barbara Frey)

Sämtliche Rechte liegen beim Hartmann & Stauffacher Verlag, Köln.

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