Macht des Ideologischen
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Rituelle Theatralität war ein entscheidender Faktor der Durchsetzung und Stabilisierung sozial hierarchischer, kasten- und klassenmäßig differenzierter vormoderner Gesellschaften. Herrschaft realisierte sich nach Georges Balandier als pouvoir sur scènes (Macht auf den Bühnen).15 In sozial antagonistischen, hierarchischen Ordnungen Afrikas südlich der Sahara verfügten Machthabende alltäglich und besonders auffällig theatral, über die Körper ihrer Unteren; und die Beherrschten erkannten, sich vor ihnen in den Staub werfend, die Hierarchie leibhaftig an. Im 14. Jahrhundert berichtete der Araber Ibn Battuta, wie sich im primär oral kommunizierenden Mali-Reich Westafrikas soziale Positionen und Machtverhältnisse theatral verwirklichten. Der Herrscher hielt an bestimmten Tagen im Palasthof Audienz auf einer Plattform, die mit Kissen belegt war. Er kam aus einer Tür in einer der Palastecken mit einem Bogen in seiner Hand und einem Köcher auf dem Rücken. Ihm voran gingen seine Musiker mit goldenen und silbernen guimbris (zweisaitige Gitarren), hinter ihm kamen dreihundert bewaffnete Sklaven. Er bestieg die Plattform, so Ibn Battuta, „in der gesetzten Weise eines Predigers, der eine Moschee-Kanzel besteigt“. Wenn der Herrscher Platz nimmt, ertönen Trommeln, Trompeten und Jagdhörner. Die „Neger“ seien ihrem König gegenüber höchst unterwürfig: Wenn er während einer Audienz jemanden in seinen Pavillon rufe, lege die gerufene Person abgetragene Kleider an,...