Auftritt
Ballhaus Ost: Ein Trumm kommt selten allein
„Truemmer“ von Jan Koslowski und Marlene Kolatschny – Regie Jan Koslowski, Bühne Wieland Schönfelder, Kostüme Anna Philippa Müller, Live-Kamera Greta Markurt, Musikalische Leitung Mika Amsterdam
von Juliane Voigt
Assoziationen: Berlin Theaterkritiken Dossier: Post-Ost(deutsch) Jan Koslowski Ballhaus Ost

80 Jahre nach Kriegsende sind die Trümmer beseitigt, mehr war von Berlin ja nicht übrig. Es gibt ein paar Erhebungen, von Mont Klamott bis Teufelsberg, die sich daraus auftürmten. Gras ist drüber gewachsen. Höchste Zeit also für eine archäologische Spurensuche. Dachten sich Jan Koslowski und Marlene Kolatschny, das Konzept-, Regie- und Dramaturgieteam von „Truemmer“. Herausgekommen ist eine absurd komische Ausgrabung auf der Rummelsburger Kippe des VEB Tiefbaukombinats Berlin, früher Trümmerberg, heute steht da das Sewanviertel, Neubauten. Die meisten Schauspieler und Schauspielerinnen auf dieser Bühne haben die DDR nur noch von hinten gesehen, sozusagen. Etwas, was so verschwunden ist, wie die Zuckerwatte, die Waschbär, der langhaarige Praktikant und Quereinsteiger der Brigade, am Ende ins Wasser taucht. Regisseur Jan Koslowski hat vor einiger Zeit filmisch die Schriftstellerin Brigitte Reimann mit Francesco Petrarca den Mont Ventoux besteigen lassen. Das sozialistische Plattenbauprogramm – die Sozialplatte unserer Zeit – wird nun von ihm weiter auf seine Urheber untersucht. Und das auch höchst unterhaltsame Weise.
Der Trümmerberg in Rummelsburg also. Heinz Hottmann, kurz Hotti, der Brigadier („Die kleine Chefin“) kommt wegen Depressionen nicht aus den Federn, kein Wunder, Bettlektüre ist das Buch „Mythos Trümmerfrauen“. (Hintergrund: Die Glorifizierung der Trümmerfrauen nach 1945 war vor allem sozialistisches Theater, die Frauen waren meistens zwangsverpflichtet.) Alles spielt in der Baubude, im Hintergrund zieht sich ein Wandfries mit einer uminterpretierten sozialistischen Lebenswelt in 3D über die Breite der Bühne, die Räume drehen und wenden sich, eine Live-Kamera bleibt fast zwei Stunden lang nah dran.
Bei Trümmern handelt es sich etymologisch gesehen um Bruchstücke eines einstmals Ganzen, in einem verselbständigten Plural von Trumm, einem großen Brocken. Und ein Trumm nach dem anderen kommt denn hier auch aus dem Steinbruch des Textes aufs imaginäre Förderband.
Am Anfang erwacht Pier Paolo Pasolini in Rom aus einem Alptraum, in dem es klappert und rüttelt und aus dem keine Geringere als Santa Maria ihn aufweckt. Und da Filme das Thema von Pier Paolo sowieso sind, nehmen sie sich vor, einen Dokumentarfilm zu drehen, mit dem Anspruch, er müsse einen Anfang haben und ein Ende, das Dazwischen, sind sie sich einig, könne man vernachlässigen. Leider müssen sie dafür in die DDR, obwohl die italienische Betonplatte auch Pasolinis-Lieblingsmotiv war. Aber es geht um die letzte Trümmerfrau der DDR, Martha, filmisch verewigt durch den gleichnamigen Film von Maler und Filmemacher Manfred Böttcher, Künstlername Strawalde (DEFA 1978). Die Protagonistin darin, Martha Bieder, hatte 30 Jahre lang in Rummelsburg am Fließband Trümmer sortiert. Ausgerechnet an dem Tag, als die ambitionierten italienischen Dokfilmer dort drehen wollen, taucht die aufgeregte Architektin Kathi Klee mit gelbem Baustellenhelm und Bauplänen auf, der Trümmerberg soll abgebaut werden („Der Haufen muss weg!“), denn da sollen Träume aus Plattenbauten entstehen, „übertrieben viele Sozialwohnungen!“. Die Brigade aber arbeitet gerade nicht, weil Martha ihren letzten Tag hat und einen ausgibt. Das italienische Filmteam ist hart dran, aber den beiden entschwindet schon bald die Dramaturgie. Denn die 14 (großartigen!) Schauspieler und Schauspielerinnen, toben sich mit ungebremstem Spaß aus, es wird sowas wie der tollste Tag in der Rummelsburger Baubude. Das Stück ist voller Zitate und subjektiver Einschübe, die auch als solche gefeiert werden, es geht um den Sozialismus, den dialektischen Materialismus, mögliche Fahrten an die Ostsee, um „mal wieder fit zu sein“, den Zapfenstreich von Angela Merkel, das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen (Plattenbau), um „Klappertexte“ oder das schlechte Essen im Kommunismus, um nur wenige Ausschweifer zu nennen. Mit drei Musikern auf der Bühne bekommt das Stück Züge eines Musicals, mit Liedern von Manfred Krug und den Puhdys, diversen Opern, einer Ennio Morricone-Playlist. Und es wird ein unglaublich lustiger Rückblick auf die DDR, der zwar klamaukig daherkommt, aber durchdrungen ist von der Analyse einer Generation, die sich im Freischwimmerbecken austoben darf – ohne Betroffenheitsmine und Opfer-Täter-Analyse. Und lässt Zeitzeug:innen wie Martha und die der in der DDR Großgewordenen erleichtert zurück: Es ist vorbei. Auch die Tomatensoße.
Erschienen am 11.7.2025