Report
Vernetzen und Besetzen – eine Volksbühne der Commons
Über die kollektive Vernetzung zur Commonisierung bisher hermetischer Kulturbetriebe. Ein Bericht aus Bologna
Erschienen in: Theater der Zeit: Theater & Erinnerung – Gedächtnistheater – Wie die Vergangenheit spielt (05/2023)

Die Zeichen stehen auf Krise: Machtmissbrauchsskandale, schwindende Besucher:innenzahlen, Delegitimierungsversuche von rechtsaußen. Unübersehbar ist auch die Diskrepanz zwischen emanzipatorischer Behauptung auf der Bühne und Demokratiedefiziten hinter dem Vorhang. Doch es formiert sich Widerstand. Während die einen auf Schönheitskorrekturen wie Stadtdramaturg:innen oder Diversitätsmanagement setzen, sind andere der Meinung, dass es einen grundlegend anderen Ansatz braucht. Letztere berufen sich dabei auf ein sehr altes Konzept: die Commons. Sie fordern völlig neue, solidarische Strukturen und sind international und interdisziplinär aufgestellt.
Am 20. März 2023 bekam die Thematik des Commoning, die zunehmend auch für etablierte Kulturinstitutionen zum Modethema wird, mit der Veranstaltung „Art Occupations & the City as Cultural Common” im Ateliersi-Theater in Bologna eine Bühne. Das Institute of Radical Imagination (IRI) hatte Kulturschaffende aus mehreren europäischen Städten eingeladen, die an Besetzungen von Kulturräumen beteiligt waren oder sind. Das IRI besteht aus einer Gruppe von Kurator:innen, Aktivist:innen, Wissenschaftler:innen und Kulturproduzent:innen, die ein gemeinsames Ziel haben: die Entwicklung von Wissen, künstlerischen und politischen Interventionen, die auf die Umsetzung postkapitalistischer Lebensformen abzielen. In Bologna verhandelt werden sollten Cultural Commons, das heißt Kulturorte, die von Gemeinschaften unter demokratischen Grundsätzen der Teilhabe jenseits von Marktlogik und bürgerlicher Exklusivität organisiert werden.
Massimiliano Mollona, Gründungsmitglied des IRI und Professor an der Università di Bologna, gab den Anstoß für das Netzwerktreffen. Als langjähriger Forscher an der Goldsmiths University in London war der etablierte Kulturanthropologe auch Kodirektor der Bergen Assembly 2016 und Direktor der Athener Biennale 2017. Seine Abhandlung „Art/Commons: Anthropology beyond Capitalism” gehört mittlerweile zu den Standardwerken des Theoriefelds. Er untersucht darin internationale Praktiken des Commoning, die auf gleichberechtigter Teilhabe, Koproduktion und der Aufwertung von Care Arbeit basieren.
Alle Teilnehmer:innen verbindet, dass sie Verdrängung und Isolation solidarische Beziehungsweisen von unten entgegensetzen wollen. Für ein Theater der Commons, das gleichsam integriert und stört, sind dabei die Radikaldemokratisierung und Öffnung eines Hauses notwendige Voraussetzung. Arbeitskämpfe, selbstorganisierte mieten- und stadtpolitische Initiativen, ein Parlament der Wohnungslosen, eine Küche für alle, ein Hack- space – was in ein Theater gehört, entscheidet die Community.
Gemeinsame Kämpfe
Die Veranstaltung begann mit kurzen Präsentationen. Falk Lörcher und ich traten als Vertreter:innen des Kollektivs Staub zu Glitzer auf. Wir führten in das transmediale Geschichtenuniversum der Inszenierung „B6112” und die am 10. Februar gestartete Squatchain-Kampagne für die erneute Besetzung der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz ein. Anlass der Kampagne war die Ankündigung einer polizeilichen Räumung im Falle einer erneuten Besetzung. Volksbühnen-Intendant René Pollesch hatte 2017 unsere Besetzung des Theaters noch öffentlich unterstützt, konnte sich dann aber selbst nicht zur Umsetzung unserer Forderungen durchringen.
Elena Novakovits und Thanos Papagodiannis waren über Zoom aus Athen zugeschaltet und berichteten über die aktuellen Besetzungen von Staatstheatern und Hochschulen, in die sie involviert sind. Grund für die Tumulte in der griechischen Hauptstadt ist ein kürzlich erfolgter Präsidialerlass, der künstlerische Studienabschlüsse auf das Niveau eines Abiturs degradiert. Die Lage ist unübersichtlich: Die Besetzer:innen hangeln sich von einem Tag zum nächsten, stellen Forderungen, organisieren Workshops und zeigen Inszenierungen aller Sparten. Es wurde auch auf frühere Besetzungen verwiesen, wie die des anarchistischen Embros-Theaters, das mittlerweile seit über zehn Jahren gemeinschaftlich verwaltet wird.
Emanuele Braga vertrat mit dem aus einer Besetzung hervorgegangenen MACAO Milano einen commonisierten Kulturort in einem Wolkenkratzer von Mailand. Anders als die übrigen Akronym-Spaces – von MOMA bis MACBA – wird das MACAO autonom betrieben und fungiert als Safer Space und Protestzentrum gegen die Kommerzialisierung der Kunst und die Privatisierung des öffentlichen Raums. In seinem Vortrag erzählte Braga von der Entstehung des Ortes und der Rolle von technischen Lösungen bei seiner Verwaltung, denn Braga ist auch Experte für Blockchain-Anwendungen in Kulturgemeinschaften.
Den ersten Veranstaltungsblock schloss Gabriella Riccio als Vertreterin von L’ Asilo Neapel ab. Das Kulturzentrum, gelegen im historischen Zentrum der Stadt, hat sich ebenfalls über eine Besetzung etabliert und wird seither von einer offenen Gemeinschaft selbstverwaltet. L‘Asilo bietet Raum für verschiedene Kunstformen und war Vorbild für eine ganze Reihe weiterer „urban commons“ in Neapel. Mittlerweile ist die Stadt bemüht, die selbstverwalteten Zentren in ein Tourismuskonzept zu integrieren. Es gilt, Widerstand gegen diese Vereinnahmungsambitionen zu organisieren.
Aus Brüssel schließlich war Anna Rispoli angereist. Im Projekt Attrito arbeitet sie aktuell mit Schüler:innen aus Bologna zu Ideen einer commonisierten Schule. In Workshop-Formaten führt sie junge Menschen an Konzepte des Commoning heran. Auch in einer mehrtägigen Schulbesetzung soll mit Strategien experimentiert werden. Demokratische Strukturen und ein emanzipatorisches Selbstverständnis von Bürger:innenschaft sollten möglichst früh verhandelt und erprobt werden, findet Rispoli. Sie berichtete auch von ihrer derzeitigen Forschung zu den prekären Arbeitsverhältnissen bei der Biennale in Venedig – ein weiteres Großevent, das langfristig commonisiert werden sollte.
Vom anfänglichen Vortragsformat wurde schließlich in ein interaktives Plenum übergeleitet. Anwesend waren unter anderem Studierende der besetzten Universität, die gleich um die Ecke liegt. Wir diskutierten, inwiefern kulturpolitische Kämpfe von gesamtgesellschaftlichem Interesse sind und wie sich Kunst und Aktivismus auch mit anderen Arbeitskämpfen verbinden lassen. Aus singulären Ereignissen soll möglichst eine europäische Bewegung erwachsen. In einer Zeit, in der sich die postindustriellen Ökonomien des sogenannten globalen Nordens auf Immobilienspekulationen und Profite in der Kulturindustrie stürzen, kämpfen all diese Kulturschaffenden, Akademiker:innen und Aktivist:innen gegen Privatisierung, Gentrifizierung und Neoliberalisierung von Kulturräumen. Uns verbindet die Vision von commonisierten Kulturinstitutionen jenseits von Kommerz.
Eine Volksbühne der Commons
Unser Kollektiv Staub zu Glitzer engagiert sich seit 2017 innerhalb und mit der transmedialen Inszenierung „B6112“ für eine commonisierte Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Mit der Squatchain-Kampagne mobilisieren wir öffentlich nicht nur internationale Partner:innen, sondern auch lokale Verbündete für eine erneute Besetzung der Volksbühne. Selbstorganisierte Wohnungslose und illegalisierte Menschen gehören zu unserem Netzwerk ebenso wie queerfeministische Gruppen, autonome Hausprojekte, etablierte Theaterschaffende und Wissenschaftler:innen. Teil der Kampagne ist auch ein halbernstes Crowdfunding: Über eine Spende können Squatchain-Coins erworben werden, um die Repressionskosten, die im Zuge der angekündigten polizeilichen Räumung entstehen werden, zu decken.
Mein Fazit zu Bologna: Staub zu Glitzer ist im Kampf um ein commonisiertes Theater nicht allein. Zurück in Berlin richtet sich der Blick wieder auf die Volksbühne.