Theater der Zeit

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Auftritt

Theater Oberhausen: Leni in scene

„Die Wahrheit über Leni Riefenstahl (inszeniert von ihr selbst)“ von John von Düffel (UA) – Regie Kathrin Mädler, Bühne und Kostüme Mareike Delaquis Porschka, Musik Cico Beck

von Sarah Heppekausen

Assoziationen: Nordrhein-Westfalen Theaterkritiken Kathrin Mädler John von Düffel Theater Oberhausen

Philipp Quest, Maria Lehberg und Anke Fonferek in „Die Wahrheit über Leni Riefenstahl (inszeniert von ihr selbst)“ in der Regie von Kathrin Mädler. Foto Forster
Philipp Quest, Maria Lehberg und Anke Fonferek in „Die Wahrheit über Leni Riefenstahl (inszeniert von ihr selbst)“ in der Regie von Kathrin MädlerFoto: Forster

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„Eine Frau in einem völlig rechtlosen Machtraum mit lauter Nazigrößen, von denen die Hälfte drogensüchtig ist – das ist und bleibt eine Wahnsinnsgeschichte, und ich wundere mich, offen gestanden, warum Netflix Leni Riefenstahl noch nicht für sich entdeckt hat, sondern stattdessen die tausendundeinste Hitler-Geschichte produziert.“ Das sagt der Autor und Dramaturg John von Düffel, nachzulesen im Oberhausener Programmheft. Also hat er selbst aus dieser Wahnsinnsgeschichte ein Stück geschrieben. „Die Wahrheit über Leni Riefenstahl (inszeniert von ihr selbst)“ ist eine Art Aufklärungsdramashow, zusammengesetzt aus dokumentarischen Zitaten und fiktionalen Sätzen, verfasst in Verszeilen, die jeden Charakter entlarven, mitunter auch bloßstellen, erschreckend komisch in ihrer simplen Direktheit.

Anlass für John von Düffel war Nina Gladitz’ 2020 erschienenes Recherchebuch „Leni Riefenstahl. Karriere einer Täterin“, das die Regisseurin und Schauspielerin eben nicht mehr bloß als Mitläuferin im Nazi-Regime definiert. Oder doch eher eine unpolitische Künstlerin? Eine Filmemacherin, die es eben schwerer hatte als ihre männlichen Kollegen? Eine von Hitlers propagandistischer Begabung Geblendete? Oder selbst eine Blenderin? Das Stück legt alle Leni-Interpretationen frei. John von Düffel positioniert dafür gleich drei Lenis, die junge, die mittlere und Leni85. So gibt’s mehr Figurenfläche für Perspektivwechsel und Persönlichkeitssplitterungen. Auch Hitler tritt noch in einer zweiten Version seiner selbst auf – als „der andere Hitler“. Die Wahrheit bleibt Ansichtssache. 

Am Theater Oberhausen haben sie alle ihren filmreifen Auftritt am Set. Es ist die mittlerweile achte Uraufführung von insgesamt zwölf in dieser Spielzeit. Intendantin Kathrin Mädler konzentriert sich mit dieser Setzung auf Sprache, interessiert sich für politisch relevante Themen und inszeniert gerne große Bilder. Für Leni Riefenstahl hat Mareike Delaquis Porschka Pappkulissen auf die (Film)Bühne platziert. Wir sehen die Berge, den rot leuchtenden Mond, die Möwen am Meer. Da stehen dann Leni und Hitler in ihren schwarzen Kleidern, mit übergroß gepolsterten Schultern, blicken aufs Wasser mit dem Rücken zu uns und ausgestelltem Bein als sei ihr Leben eben immer ein Motiv, eine Angelegenheit der passenden Darstellung. Und vorne, am Bühnenrand, da sitzt die alte Leni divenhaft souverän (Anke Fonferek) und kommentiert als Regisseurin ihres Lebens.

Kathrin Mädler treibt das teils schon im Stück angelegte satirische Spiel noch weiter. Die zwei Hitlers (Philipp Quest und Torsten Bauer) mit ihrem blonden Seitenscheitel, der beim einen links, beim anderen rechts liegt, grunzen beim Lachen, gieren lechzend nach Lenis Arm beim ersten Treffen, knien kläffend vor ihr wie bettelnde Hunde. Alles hier ist ein Kampf um Aufmerksamkeit, ums Rampenlicht. Da droht die Inszenierung ab und an ins Lächerliche abzurutschen, bleibt aber immer auf diesem schmalen Grat der bitterkomischen Farce, der all die historischen Absurditäten erträglich macht. Eine Vorführung der Verführung ist dieser Abend, geschickt spielerisch, eine Bilder-Revue der gespaltenen Persönlichkeiten.

 Im zweiten Teil wird’s stiller. Riefenstahl dreht ihre Verfilmung von Hitlers Lieblingsoper „Tiefland“, für den sie Sinti und Roma aus den Konzentrationslagern Salzburg-Maxglan und Berlin-Marzahn als Kompars:innen rekrutierte. Bis zum Schluss leugnete Leni Riefenstahl genau das, auch, sie nicht entlohnt zu haben. Oder zu wissen, dass über die Hälfte ihrer Statist:innen später in Auschwitz ermordet wurden. Auf der Oberhausener Bühne fallen nach und nach schwarze Miniatur-Figuren, umgeschnipst mit dem Finger, groß projiziert auf der Filmleinwand. Dann trifft das Leni-Trio auf Alice Schwarzer und Filmemacherin Nina Gladitz, wieder vor der Kamera, diesmal im gleißenden Licht eines Talkshowformats. Die Feministin verteidigt Riefenstahl als „die Grande Dame des deutschen Films“, die Wahrheitsforscherin bekämpft sie als „die Frau, die Hitler und Goebbels um den Finger gewickelt“ und „die Häftlinge ausgenutzt“ hat. Und die Lenis in ihren roten Roben? Die singen „Goodbye, Frau Gladitz, goodbye“. Welch ein Hohn. Welch filmreifer Abgang.

 Nach der Uraufführung von „Welt überfüllt“, die – inszeniert von Thomas Ladwig – für uns ein weiteres Stück der jüdischen Schriftstellerin Anna Gmeyner (1902-1991) wiederentdeckte, blickt auch „Die Wahrheit über Leni Riefenstahl“ geistreich in unsere Geschichte. Sie drängt uns die Auseinandersetzung auf, und das auf unterhaltsamste Weise.

Erschienen am 12.2.2023

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