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Die Kostüme sind der Raum
Die Kostümbildnerin Victoria Behr über grotesk große Kleider, aufgetürmte Haare und Schauspieler in Plastik im Gespräch mit Ute Müller-Tischler
von Ute Müller-Tischler und Victoria Behr
Erschienen in: Theater der Zeit: Zur Sache, Schatz! – Über Lohnunterschiede und Lolita-Klischees (03/2018)
Assoziationen: Kostüm und Bühne Akteure
Victoria Behr, in der Mode sind Körper und Kleid aufeinander angewiesen, sie benötigen einander. Das eine kann ohne das andere nicht sein. Laut der Modetheoretikerin Gertrud Lehnert verschmelzen sie zu einer Art „Modekörper“. Auf der Bühne gewinnt diese Verbindung noch einmal mehr an Bedeutung. Das Kostümbild besitzt dort nicht die Funktion, Lifestyle oder den Zeitgeist abzubilden. Es schafft selbst einen Körper, in den die Schauspieler schlüpfen und zu lebendiger Form werden. Kann man so Ihre Kostüme beschreiben?
Das trifft es ungefähr. Was ich mit meinen Kostümen versuche, soll den Schauspielern helfen, eine Figur entstehen zu lassen, die ihnen eine Körperlichkeit gibt und bestimmte Bewegungen ermöglicht. Wenn ich einer Schauspielerin ein Kleid mit großen Puffärmeln anziehe, gebe ich ihr mit dieser stark übertriebenen Form etwas vor: Sie kann sich nicht mehr zusammenkauern und in der Ecke herumstehen. Ich verleihe dieser Figur damit eine unübersehbare Präsenz, weil sie total exponiert sowohl durch ihre Form als auch durch die Farbigkeit im Theaterraum steht.
Ihre schrillen und verrückten Kostüme sorgen für starke Spannungen auf der Bühne und werden von der Kritik gefeiert. Seit Sie mit Herbert Fritsch arbeiten, wurden Sie mehrmals als Kostümbildnerin des Jahres ausgezeichnet. Was veranlasste Sie zu dieser sehr selbstbewussten Kostümauffassung?
Eine radikalisierte Kostümwelt bringt noch eine weitere Ebene ins Spiel. Daran liegt mir viel. Herbert Fritsch und ich versuchen bereits von Anfang an, extreme Spielweisen immer weiterzutreiben. Wir sagen uns immer wieder, dass wir noch mehr Kräfte entfesseln oder lösen müssen, um noch einen Gang höher schalten zu können. Herbert hat wahnsinnig viel aus mir herausgekitzelt und mich ermuntert, noch mutiger zu werden. Bereits bei „Emilia Galotti“ 2011 in Oberhausen sagte er zu mir: „Du machst die Kostüme, die sind der Raum.“
Die Inszenierungen von Herbert Fritsch sind bekannt für ihren Textminimalismus. Auch bei Ihren Vorbesprechungen sollen nur wenige Worte zwischen Ihnen fallen. Wie funktioniert Ihre Zusammenarbeit?
Ganz einfach. Wir geben uns gegenseitig Impulse und müssen daher nicht viel reden. Wir haben eine eigene, gemeinsame Sprache, die wortlos funktioniert. Herbert liest Stücke selten und erzählt mir lieber von seinen Vorstellungen und Gedanken. Daraus entwickelt sich sein Bühnenraum, und davon leite ich dann meine Kostümbilder ab. Es ist vielmehr ein Gesamtbild, das uns beide beschäftigt und alles auf der Bühne zusammenbringt.
In diesem Gesamtbild konzentriert sich vieles auf den Kunstkörper der Darsteller, den Sie wie eine Skulptur formen. Körperteile werden übermodelliert, Perücken aufgetürmt und opulente Stoffe überborden in Mustern und Maßverhältnissen. Was zuvor traditionelle Ausstattung war, entgrenzen Sie und lassen es kollabieren. Welche Signale sendet diese Radikalästhetik auf die Rollenbesetzung? Sind das nicht Paradevorlagen für einen Paradigmenwechsel im Genderdiskurs?
Wir tauschen häufig die Geschlechter, das stimmt. Das kommt allerdings eher aus der Shakespeare-Tradition als aus den gegenwärtigen Genderdebatten. Bei „Pfusch“ an der Volksbühne zum Beispiel war die Idee: Alle auf der Bühne sind Frauen, alle sind Puppen. Es geht uns vor allem um eine große Künstlichkeit und damit um Abstand zu allem Möglichen. Wir wollen keine realen Figuren abbilden. Jede Figur, ob es ein Mann ist, der eine Frau spielt, oder eine Frau, die einen Mann spielt, oder eine Frau, die eine Frau verkörpert und so weiter – es handelt sich ganz einfach immer um eine Kunstfigur. Das macht das Ganze noch absurder und bringt die Inszenierung am Ende irgendwo anders hin. Da gehören solche Überlegungen zu Gender sicher mit hinein. Ich möchte aber lieber alles frei und offenlassen. Das ist mein Grundthema.
Farben sind auch ein großes Thema bei Ihnen. Es muss bunt sein, sagen Sie – ein Spiel mit den Vorgaben des Bühnenbildes?
Ich versuche, die Farbigkeit vom Bühnenbild aufzugreifen und in dieser Welt irgendwie drinzubleiben. Das ist wie eine Kiste. Die macht man auf, und es kommt eine Farbwelt heraus. Beim „Eingebildeten Kranken“ am Burgtheater waren das keine klaren, sondern eher schmutzige Farben, bei denen überall schon ein bisschen das Leben rausgezogen wurde. Bei „Apokalypse“ an der Volksbühne hatte die Farbauswahl noch viel mehr mit dem Raum zu tun, obwohl ich die Kombination Gelb-Schwarz als schwierig empfand, weil man die von Naturerscheinungen her kennt, sie mir also nicht künstlich genug vorkam. Bei der Oper „Der Freischütz“ in Zürich war es leichter für mich, da waren wir in der einheitlichen, übersichtlichen Welt komplementärer Farben.
Bei aller Unvoreingenommenheit hört sich das naiv und ungebrochen einfach an. Liege ich da falsch?
Natürlich hat das etwas Naives. Durch die Maske und die Schnittformen versuche ich das aber immer wieder aufzuheben. Das rein liebliche Kostüm gibt es so nicht – zum Beispiel habe ich beim „Freischütz“ die Trachten in extreme Formen gezogen. Meistens breche ich den aufkommenden Liebreiz durch das Maskenbild. Die Gesichter, die da drinstecken, sind die wahren Fratzen. Deshalb finde ich die Maske genauso wichtig wie das Kostüm. Perücken und Kostüme entstehen nach meinen Vorgaben in enger Zusammenarbeit mit den Maskenbildnern. Auch das Make-up gebe ich vor. Ähnlich wie bei den Kostümformen übertreibe ich die Mimik, durch die Maske sollen die Augen noch weiter aufgerissen und große Münder noch größer gemacht werden. Wenn das Kostüm am Hals aufhören würde, wäre es kein richtiges Kostüm. Es funktioniert nur am ganzen Körper. Es verändert den Schauspieler. Schließlich sind wir nicht im Fernsehen, wo das Aussehen der Darsteller der Rolle entspricht. Sondern wir wollen auf der Bühne eine neue Welt schaffen, in die wir Kunstfiguren hineinstellen.
Man kann es auch so denken: Wenn man nicht mehr erkennt, wer du bist, wie du aussiehst, macht es dich auch unabhängiger und frei im Spiel.
Das ist der Sinn dahinter. Das merkt man bereits, wenn die Schauspieler im Probenkostüm stecken und noch keine Maske aufhaben. Dann entsteht schon die erste Energie, und wenn mit den Proben in Maske und Kostüm begonnen wird, stehen alle unter Strom oder sind wie ein Feuerwerk. Man schaut die Kollegen an und sieht eine Kunstfigur, die viel freier und offener ist.
Wenn man so viel arbeitet wie Sie und über sechzig Produktionen hingelegt hat, holt einen da manchmal die Angst vor der Wiederholung ein?
Ich habe mich bestimmt auch schon wiederholt. Aber wir arbeiten ständig daran, uns weiterzuentwickeln und probieren neue Richtungen aus. Wie zum Beispiel bei „der die mann“ an der Volksbühne mit den Latexanzügen. Oder bei „Masquerade“ in Kopenhagen – dort haben wir es auf die Spitze getrieben und die Kostüme komplett mit Plastik überzogen, die Perücken und auch die Masken – alles aus Plastik. Die Darsteller sollten wie Porzellanfiguren wirken. Herbert liebt diese Hochglanzräume ganz besonders, und ich habe nach einer Materialität gesucht, die die Figuren zerbrechlich aussehen lässt.
Auf der Bühne muss das die Hölle gewesen sein.
Das war Hochleistungssport. Aber die Schauspieler haben es gelassen gesehen. Natürlich mussten wir an verschiedenen Stellen das Plastik weglassen und Luftlöcher vorsehen, aber wir sind an deutliche Grenzen gestoßen. So war es bei „der die mann“ auch, nach zwanzig Minuten läuft das Wasser die Beine runter, und das kann man selbst vom Zuschauerraum aus sehen. Für Herbert ist das ein Vorher-Nachher-Motiv. Ich finde den Prozess spannend, bei dem man den Zerfall sieht, wo alles auseinanderfließt. Deshalb möchte ich auf keinen Fall, dass nachgeschminkt wird, wenn ein Schauspieler mal von der Bühne abgeht. Man soll sehen, wie sich die Schauspieler für die Rolle bis zur totalen Erschöpfung verausgabt haben. Ich glaube, das geht den Zuschauern genauso. Am Ende ist man einfach erschöpft – schon vom Zugucken.