Theater der Zeit

Auftritt

Lübeck: Der Wille zur – was?

Theater Lübeck: „Maria Stuart“ von Friedrich Schiller. Regie Pit Holzwarth, Ausstattung Werner Brenner

von Mirka Döring

Erschienen in: Theater der Zeit: Frontmann Hamlet – Der Dresdner Musiker-Schauspieler Christian Friedel (03/2013)

Assoziationen: Theaterkritiken Sprechtheater Schleswig-Holstein Theater Lübeck

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„Elisabeth kann ihrer Rolle als Königin nur gerecht werden, wenn sie ‚unnatürlich‘ ist, gegen den Kanon der gesellschaftlichen Regeln verstößt, auf die sogenannte Erfüllung ihres Lebens als Frau in der Ehe verzichtet.“ So erklärt Pit Holzwarth im Programmheft zur Lübecker „Maria Stuart“ sein Regiekonzept der gegengeschlechtlichen Besetzung von Elisabeth (Jan Byl) und Leicester (Astrid Färber). Man wolle damit die Machtkonflikte neu beschreiben, das Stück enthistorisieren und das „in Opposition denkende Konservative“ Schillers in Bezug auf Konzepte des Weiblichen und des Männlichen aufzeigen. Ein gleichermaßen denkenswerter wie riskanter Ansatz.

Es ist eben nicht die entmenschlichte Mechanik des politischen Räderwerks, die die Lübecker „Maria Stuart“ in drei Stunden verhandelt. Das Machtstreben als Akt der seelischen „Deformation“, wie es weiterhin im Programmheft heißt, zu verstehen ist eine legitime Interpretation – individuelle Bedürfnisse und persönliches Moralempfinden bleiben angesichts des Strebens nach Machterhalt auf der Strecke. Der Regisseur findet dafür dann aber kein anderes als das überzeichnete Bild eines transvestitischen Nosferatu; die Figur der Elisabeth gibt er damit von vornherein einer grotesken Lächerlichkeit preis. Ein Diskurs über die Zuschreibung und Reproduktion von Geschlechterverhältnissen stellt sich gar nicht erst ein – im Gegenteil, in permanenter Wiederholung werden die üblichen Stereotype bestätigt: Leicester fläzt breitbeinig auf dem Stuhl, und die jungfräuliche Königin verharrt mit zitternder Stimme in ewig wehleidiger Larmoyanz: Sie muss regieren wie ein Mann, ist aber keiner – herrje! In Lübeck wird keine Macht-, sondern eine Neiddebatte geführt.

Die wird dann aber nachvollziehbar durchgespielt. Zu Beginn markiert das achtköpfige Ensemble den Anfang und stellt die Personnage namentlich vor – dass Marias Verbündete weiß und Elisabeths schwarz gekleidet sind, erleichtert die Zuordnung. Die wunderbar präsente Ingrid Noemi Stein, die nach ihrer Ausbildung in Graz in Lübeck in ihrem ersten festen Engagement ist, hat als Maria nur scheinbar die besseren Karten. Dass die steife Anspannung genauso aufgesetzt ist wie die Würde und der Dornenkranz, mit dem sie sich schließlich als die moralisch triumphierende Märtyrerin zur Schau stellt, wird in den Momenten sichtbar, in denen aus ihr die Naivität herausbricht. Mit kindlich großen Augen wird sie sich ihrer Ohnmacht bewusst. Auch ihr hat das Räderwerk die Form genommen – nicht nur das kahle Haupt macht sie zu Elisabeths Zwilling –, aber ihre Deformation ist eine andere, subtilere. Steins Fähigkeit zum feinen Changieren – eine Schulter zuckt hier, eine Hand dort – macht glaubwürdig, dass Maria mit aller Anstrengung zu kontrollieren versucht, was nicht ihres ist: ihr Selbst. In ihrer Darstellung deutet sich der größere Kontext verhalten an, der bei Elisabeth ins Profane gerutscht ist. Dem zuvor am Bremer Theater spielenden, während der laufenden Spielzeit nach Lübeck engagierten Neuzugang Jan Byl wurde ein gleichwertiger Einstand versagt.

Die Inszenierung ist nicht nur in dieser konzeptionellen Hinsicht auf Sand gebaut, sondern auch ganz buchstäblich: Aus einem Sandbecken heraus erhebt sich eine schrägweiße Plattform, die die Bühne bietet für die Heuchelarien, die Selbstinszenierungen und die intriganten Streitereien der beiden Frauen. Man buhlt um die größere Präsenz beim Publikum, um den besseren Auftritt. Dass das Zentrum der Bühne rechts und links von Schminktischen umrahmt ist, verortet das Geschehen aber eben nicht auf das denkbar naheliegende politische Parkett, sondern in den Garderobenbereich eines Nachtklubs, wo die verkannten Starlets um die Hauptrolle konkurrieren. Das musikalische Leitmotiv des Abends unterstreicht diesen Eindruck: der von dem androgyn-exzentrischen Klaus Nomi interpretierte „Cold Song“ aus Henry Purcells Semi-Oper „King Arthur“. Im Grunde will man natürlich nur eine Macht spüren: die der alles erweichenden Liebe.

Mit diesem Fazit hat Holzwarth der Enthistorisierung des wuchtigen Stoffes schon Genüge getan – weder der als Tattoo übermittelten Schriften noch der durch ihre Vereinzelung seltsam aufstoßenden Modernismen (Maria möchte face-to-face mit Elisabeth sprechen) hätte es in der sonst geschickt gestrafften Spielfassung dafür noch bedurft. //

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