Bilanz des französischen Theaters 1944–1946
von Raymond Cogniat
Erschienen in: Theater der Zeit: Über den Surrealismus (01/1947)
Assoziationen: Theatergeschichte Europa
Diese Bilanz zweier Jahre über Neuschöpfungen französischer Dramatik und über Wiederaufführungen Pariser Bühnen wird vermutlich keine sensationellen Offenbarungen bringen. Wenn wir dabei versuchen, irgendwelche allgemeinen Ideen herauszustellen, tun wir dies mit viel Vorsicht und Bescheidung; denn wir wissen wohl, wie sehr solche Urteile künftigen Veränderungen unterliegen. Sicherlich enthält unsere Übersicht Andeutungen, die ihren wahren Charakter erst in den folgenden Jahren erweisen werden.
Die letzte Saison ist schon viel kennzeichnender als die vorhergehende. Sie wird überstrahlt von drei wichtigen Erfolgen: ‚La Folie de Chaillot‘ von Jean Giraudoux bei Louis Jouvet, ‚Caligula‘ von Albert Camus im Theatre Heberlot, ‚La Maison de Bernarda‘ von Garcia Lorca im Studio des Champs-Élysées.
‚La Folie de Chaillot‘ von Jean Giraudoux wurde mit Spannung erwartet, und die Begeisterung, mit der das Stück von Anfang an aufgenommen wurde, galt dem Ruf des Autors und der Inszenierung von Jouvet. Dieses letzte Werk von Jean Giraudoux beweist, daß er als einziger in der Lage ist, eine formale Handlung, die er selbst erfunden hat, erschöpfend auszugestalten. Sein Geist, die Kraft seiner Bilder und die Feingliedrigkeit seiner Sprache sind notwendig, um landläufige Ideen annehmbar zu machen, die etwas abgenutzt Schablonenhaftes bekommen würden, wenn sie von anderen als von ihm in die Hand...