2. Konturen theatraler Versammlungen
von Matthias Warstat
Erschienen in: Recherchen 174: Interventionen politischen Theaters (07/2025)
Die Fähigkeit des Theaters, in soziale und politische Zusammenhänge einzuwirken, beruht in besonderem Maße auf seinem Versammlungscharakter. Versammlungen können auf unterschiedlichste Weise entstehen oder initiiert werden; ganz verschiedene Institutionen und Agenturen können daran mitwirken – aber das Theater hat es besonders leicht, auf eine geradezu selbstverständliche Weise Menschen zu versammeln. Die Struktur der assembly, die beispielsweise in Museen bzw. in der bildenden Kunst nur in Ausnahmefällen – in den letzten Jahren allerdings häufiger und systematisch – zustande kommt, ergibt sich im Theater Abend für Abend. In sozialer Hinsicht sind Aufführungen als Versammlungen zu bezeichnen: Wenn Agierende und Zuschauende zur selben Zeit am selben Ort zusammenkommen, konstituiert sich eine Versammlung. Darf man also annehmen, dass Theater in die soziale und politische Wirklichkeit gerade dadurch interveniert, dass es Versammlungen hervorbringt?
Judith Butler interpretiert öffentliche Zusammenkünfte in ihren Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung (2016) als Interventionen in die gesellschaftlichen Vorstellungen vom Politischen. Sie vermeidet naive und simplifizierende Konzeptionen von ›Wirklichkeit‹, indem sie eine Ebene der Vorstellungen und Ideen (des Sozialen, Politischen bzw. der Wirklichkeit) vorschaltet, auf der Versammlungen interpretiert und dadurch wirksam werden. Aus ihrer Sicht können Versammlungen als »eine verkörperte Form des Infragestellens der inchoativen und mächtigen Dimensionen herrschender...