Auftritt
Stadttheater Gießen: Was früher war, ist nicht einfach weg
„T-Rex, bist du traurig?“ von Fayer Koch – Regie Tamó Gvenetadze, Bühne & Kostüme Rabea Stadthaus
Assoziationen: Theaterkritiken Kinder- & Jugendtheater Hessen Tamó Gvenetadze Stadttheater Gießen

Wieder was gelernt: In Gießen gibt es ein Museum fürs Gießen. Fürs Blumengießen. Das weiß man jetzt, weil das Gießener Gießkannenmuseum die Produktion von Fayer Kochs Kindertheaterstück „T-Rex, bist du traurig?“ am Stadttheater Gießen unterstützt hat. Mit, Überraschung, Gießkannen. In der Inszenierung von Tamó Gvenetadze spielen die Kannen – groß und klein, aus Plastik, Kupfer oder Blech, verbeult und verbogen – ausgestorbene Dinosaurier. Die Dinosaurierin Babsi hat den Asteroideneinschlag, der all ihre Kolleg:innen ausgelöscht hat, zusammen mit ihrer Freundin Päm als einzige überlebt und sammelt die Kannen nun als Spuren einer unwiederbringlich verlorenen Vergangenheit.
„T-Rex, bist du traurig?“ handelt von Verlust und Trauer und der Art und Weise, wie man damit umgehen kann. Der titelgebende Tyrannosaurus Rex ist dabei eher ein Rexchen: Nagg schlüpft just in dem Moment aus dem Ei, als es zur Katastrophe gekommen ist. Er (oder sie) kennt nichts anderes als das Leben in der Höhle, die Babsi und Päm das Leben gerettet hat, das Chaos, die Ascheflocken. Findet daran nichts weiter besonders. Und wundert sich, wie wunderlich sich die beiden Dinos verhalten. Babsi (Nils Eric Müller) gräbt unaufhörlich neue „Exponate“ der Vergangenheit aus, Päm (Pascal Thomas) macht ebenso unablässig „Inventur“ und zählt ihre Essensvorräte, um für den nächsten Asteroideneinschlag gerüstet zu sein.
„Nur von sich erzählen sie nie“, sagt Nagg. Kein Wort über das, was sie erlebt haben. Kein Wort über Ava, Naggs Mutter, mit der sie früher in der Band „Thick Skin“ gespielt haben und die jetzt tot ist. Die Trauer bleibt sprachlos. Und wenn Nagg fragt, heißt es: „Da bist du noch zu jung für.“ Einfach weitermachen, einfach nach vorne schauen, Dinos können nicht weinen: Das ist die Maxime der Adoptiveltern. Das T in T-Rex stehe für „trotzdem“, bringen sie Nagg bei.
Ben Janssen spielt diesen jungen Dino als staunenden Erkunder und Erzähler seiner eigenen Geschichte. Grellbunt kostümiert mit langem grünen Schwanz und blauer Irokesenborste, aber sanft im Ton. Als draußen eine Hundertschaft außerordentlich schlecht gelaunter Erdsaurier auftaucht (alle auf einmal gespielt von Lilith Borchert), laut weinend, klagend und heulend ob der vergeblichen Suche nach ihren verschollenen Artgenossen, erlebt Nagg erstmals eine ganz andere Trauer. Und lernt von seinen neuen Freund:innen: „Was früher war, ist nicht einfach weg. Das lebt in uns weiter. Innen. Das trägt man mit rum, ob man will oder nicht.“
Uraufgeführt wurde „T-Rex, bist du traurig?“ 2024 am Theater der jungen Welt in Leipzig, wo es bis heute auf dem Spielplan steht. Bei den Mülheimer Theatertagen in diesem Jahr gewann das Schauspiel den Kinderstückepreis. Das Stadttheater Gießen ist nun, soweit ersichtlich, das zweite Haus, das die Verlust-Parabel von Fayer Koch auf die Bühne gebracht hat. Die junge Regisseurin Tamó Gvenetadze interessiert sich herzlich wenig für das, was sonst gern als eine Art ungeschriebenes Gesetz für Kindertheater gilt. Ihre Inszenierung kommt ohne Over-Acting, ohne Grimassieren, ohne Lärm, ohne Musik zum Mitklatschen aus. Wenn gesungen wird, dann zart. Und selbst die Lacher, die Gvenetadze provoziert, lassen eher kichern als johlen. Es ist eine leise, eine poetische Produktion.
Ob wir uns gerade in der Dino-Höhle befinden oder in der Draußenwelt, zeigt auf der von Rabea Stadthaus gestalteten Studiobühne ein schwarzes Tuch, das von dem vierköpfigen Ensemble selbst hochgezogen oder heruntergelassen wird. Es gibt Regale für Päms Konserven und Babsis Gießkannen, ansonsten ist die Fantasie gefordert. Per Video wird in die Vergangenheit gereist, als Ava noch lebte und die Dino-Band probte. Kleiner Gag für die Erwachsenen: Geübt wird „Children of the Revolution“ der Siebziger-Jahre-Glamrock-Band T. Rex.
Für die eigentliche Zielgruppe – die Inszenierung richtet sich an Kinder ab sechs Jahren – ist das die Musik ihrer Großeltern, ungefähr ähnlich lange her wie das Aussterben der Dinosaurier. Und möglicherweise liegt hier auch eine Schwierigkeit von „T-Rex, bist du traurig?“. Das gut einstündige Stück fordert dem jungen Publikum einiges ab. Das Thema ist schwer, die Sprache so, dass Erwachsene daran ihre Freude haben, die Gedanken nicht eben unterkomplex. Selbst wer die Grundschule schon etwas länger hinter sich hat, versteht vielleicht nicht auf Anhieb, was mit „Überlebensscham“ gemeint ist.
„Wir müssen immer vorwärts leben, auch wenn man häufig rückwärts denkt“, singen die drei Dinos am Ende. Es ist das große, doch nur leise perkussiv begleitete Finale. Die Zweitklässler:innen, die das Gießener Theater bei der zweiten Aufführung füllen, folgen dem Geschehen allem Anschein nach gebannt (wenn sie nicht gerade aufs Klo müssen). Die Ruhe im Saal ist fast schon gespenstisch. Aber als es vorbei ist, hat das Mädchen auf dem Nebenplatz eine drängende Frage: „Hä?“
Erschienen am 18.12.2025
















