Von Eurydike, der Baumnymphe und Frau des thrakischen Sängers Orpheus, weiß die antike Tradition nur wenig. Auch in neuzeitlichen Bearbeitungen des Mythos bleibt die Figur lange seltsam blass. Immerhin: Spätestens mit dem Stück der US-amerikanischen Autorin Sarah Ruhl (2003) und Helmut Dietls Tragikomödie „Vom Suchen und Finden der Liebe“ (2005) ändert sich das. In Elfriede Jelineks Version, entstanden für ein 2012 in Essen realisiertes mehrteiliges Orpheus-Projekt, im folgenden Jahr von Matthias Hartmann am Wiener Burgtheater inszeniert und jetzt in Karlsruhe gewissermaßen in den deutschen Repertoirebetrieb eingeführt, hat Eurydike sogar ausschließlich das Wort. Am Badischen Staatstheater wurde im Takt geklatscht, als sie ausgeredet hatte. Aber warum?
Orpheus und Eurydike nach Jelinek, das geht so: Orpheus ist ein moderner Rockmusiker, der von Erfolg zu Erfolg eilt. Eurydike macht in Literatur, wofür sich aber leider niemand interessiert. Außerdem geht sie gern shoppen. Und sie beschäftigt sich mit Psychoanalyse, was sie in die Lage versetzt, Orpheus als Fall und ihre Beziehung zu ihm als Bündel klinischer Symptome zu betrachten.
Vom Schlangenbiss dahingerafft, will sie keineswegs in die Oberwelt zurückkehren, weil sie sich dort, an Orpheus’ Seite, immer als ein Nichts gefühlt hat. Wenn der dann doch kommt, um sie abzuholen, begeht er zu ihrem...