Bürgerliche Indienstnahme des Theaters
Ein geordnetes Theater für die bürgerliche Ordnung
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
In diesem Sinne könnte die massiv wahrnehmbare theatrale Konstruktion wesentlicher gesellschaftlicher Vorgänge im Verlauf des 17. Jahrhunderts das Interesse an ausdifferenziertem Theater befördert haben.122 Auf einen besonderen Aspekt macht Agnew aufmerksam: Die Entwicklung des frühen Kapitalismus führte in England mit der Gründung der Bank of England 1694 zu wachsenden Kreditvergaben, Spekulationen und steigenden nationalen Schulden, deren Einlösung und Rückzahlung unsicher waren und vielen als Fiktion erschienen. Die Realität, die man den neuen Banknoten zuschrieb, glich weit eher der fiktiven Realität des Dramas. Das habe zusammen mit dem sozioökonomischen „Theater und Gegentheater“, in dem sich die scharfen Klassenauseinandersetzungen zwischen der gentry (dem Adel) und Unterschichten vollzogen,123 zur Anschauung geführt, dass Sicherheit genau so viel im Versprechen der Performance, daher der zu vollziehenden Kredit- und Schuldentilgung, liege wie in der Aufführung, der Performance von Versprechen.124 Poeten und andere würden das menschliche Leben als ein großes Theater auffassen, bemerkte Henry Fielding in seinem Roman TOM JONES, der die verschlungenen, wechselhaften Schicksale eines Individuums des 18. Jahrhunderts verhandelt. Dieser Gedanke sei so weit gegangen, „daß einige dem Bühnenwesen angehörende, erst nur metaphorisch auf die Welt angewendeten Worte, jetzt ohne Unterschied und im buchstäblichen Sinne auf beide bezogen werden.“...