In Schlappen, ein Tuch lässig um die Hüfte geknotet – so steht sie da: Justitia. Rechts das Schwert, links die Waage, so weit nicht weiter verwunderlich, würden nicht unter dem viel zu kurzen Tuch viel zu dicke Beine hervorschauen und die Haare wie nach einer Rauferei wild abstehen. Das Verstörendste aber ist ihr Rücken: ein breites Männerkreuz, verunstaltet durch zahlreiche Peitschenhiebe.
Mit dieser Skizze beginnt das Gerichtstagebuch „Verbotene Kunst“ von Wiktoria Lomasko und Anton Nikolajew über einen der umstrittensten Kunstprozesse im Russland Wladimir Putins. Gegenstand war die 2007 in Moskau gezeigte Ausstellung „Verbotene Kunst 2006“, in der die beiden Organisatoren Andrei Jerofejew und Juri Samodurow Werke zur Diskussion stellten, die im Jahr zuvor in Moskauer Galerien und Museen, sei es von den jeweiligen Direktoren oder den zuständigen internen Kommissionen, nicht zur Präsentation freigegeben worden waren. Gründe für diese scheinbare Selbstzensur, schreibt die Kunstwissenschaftlerin Sandra Frimmel in einem Nachwort, „waren vor allem die Verwendung religiöser Symbole oder anstößige Wörter“ wie zum Beispiel in Alexander Sawkos Gemälde der Bergpredigt, auf dem Jesus den Kopf von Mickey Mouse trägt. Vertreter der orthodoxen Kirche sowie Duma-Abgeordnete der Putin- Partei Gerechtes Russland sahen durch die Ausstellung ihre religiösen Gefühle verletzt und reichten Klage ein.
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