Auftritt
Bat-Studiotheater Berlin: Mit Freude am Objekt
„Bambi / Kaleidoskop“ nach dem Roman von Felix Salten – Regie Sophie Bartels und Katy Deville, Dramaturgie Yasmine Salimi, Bühne/Kostüm Neïtah Janzing, Klangkomposition alpha kartsaki, Choreographie Joëlle Driguez
Assoziationen: Berlin Theaterkritiken Puppen-, Figuren- & Objekttheater Sophie Bartels Katy Deville Felix Salten bat-Studiotheater
Vor ungefähr 100 Jahren erschien Felix Saltens Roman „Bambi“, in dem der 1869 in Österreich-Ungarn geborene Autor die Lebensgeschichte eines jungen Rehs im Wald erzählt. Pünktlich zu diesem Jubiläum wagen sich die Regisseurinnen Sophie Bartels und Katy Deville nun im Rahmen einer Studioinszenierung des 3. Studienjahres der Zeitgenössischen Puppenspielkunst an den literarischen Stoff heran, um ihn gemeinsam mit Kommiliton:innen der HfS Ernst Busch und der ESNAM Charleville-Mézières ins Theater zu überführen. Beim Betreten des bat-Studiotheaters stimmt ein leises Knistern und Knacken die Ohren der Zuschauenden direkt auf das bevorstehende Wald-Spiel ein und schafft eine Klang-Kulisse, die Bambis Abenteuer akustisch begleiten wird. An den Bühnenrändern sitzen 13 schwarz gekleidete Figurenspieler:innen vor alten Puppenkoffern. Geduldig darauf wartend, uns mit ihren Objekten in den Bann ziehen zu können.
Bei den Objekten handelt es sich um unterschiedlich große Rehfiguren, die zusammen mit hölzernen Baum-Andeutungen von den Spieler:innen im Raum platziert werden. Die verschiedenen Größen der Figuren erschaffen dabei Bilder, die sich in einem perspektivischen Ausprobieren entfalten und in ihrer Übersetzung in „Nahaufnahme“ und „Total“ mit der ästhetischen Sprache des Films vermischen. Ausgestattet mit ledernen Arbeitshandschuhen und zwei Holzböcken erweckt die Szenerie darüber hinaus die Assoziation einer Werkstatt, in der die Dinge erst exploriert und zusammengefügt werden müssen – ganz im Sinne eines studentischen Versuchsraumes, den die Inszenierung im gemeinsamen Spiel der 13 durchaus auszufüllen vermag. Im Halbkreis um ein kleines, glitzerndes Bambi versammelt, sprechen die Spieler:innen Worte, die ihr Potenzial – den Saal in ein inneres Träumen zu begleiten – erst in ihrem Bezug zur Figur und im Blick auf das Objekt, zu entladen beginnen. Indem die Inszenierung zu Anfang den Eindruck vermittelt, die Figurenspieler:innen würden die Objekte selbst ganz neu entdecken, bietet sich den Zuschauenden die Gelegenheit, dem Zauber des Objekttheater mit derselben naiven Erkundungslust entgegenzulaufen. „Wenn du deine Wurzel gut kennst, dann kannst du ansetzen zum Sprung. Pass auf dich auf, Bambi.“, erklärt eine der Spielerinnen einem kleinen Bambi, das sie nach einem kurzen Tänzchen auf ihrer linken Schulter absetzt. Wir folgen einer Geschichte des Erwachsenwerdens – einer Geschichte des Anlaufnehmens, Fallens, der Sprünge, des Abschieds und der Neugierde aufs Leben. „Sieh nur Papa, eine fliegende Blume!“, ruft Bambi beim Anblick eines Schmetterlings seinem Vater zu. Momente der Zärtlichkeit und der Liebe treffen auf Momente der Abgrenzung und des Abschieds. Der Wald zeigt sich hier als ein Ort, der uns dort zu berühren vermag, wo sich unsere innersten Erfahrungen in Bewegung setzen lassen.
„Vergessen wir die Disney-Niedlichkeit.“, lautet der Appell im Programmheft und verspricht eine zeitlose Parabel über das Leben und den Tod, über Unschuld und Idylle, Gewalt und Brutalität. Bei all dieser Ernsthaftigkeit wird eines – und das sei hier hervorgehoben – jedoch nicht vergessen: das Lachen. Im Hin-und-Her zwischen der deutschen und der französischen Sprache wird viel Raum für Witz gelassen. Obwohl sich die Spieler:innen fortlaufend gegenseitig übersetzen müssen, tritt die Erzählung nicht auf der Stelle – im Gegenteil: Die sprachliche Begegnung bereichert das Spiel. Es wird viel gelacht. Ganz im Freud‘schen Sinne führt das Lachen dann unverhofft dicht an das heran, was in der Romanvorlage unter die Haut geht: In einer kurzen Unterbrechung wird verkündet, dass eine der Szenen nun auf Grund fehlenden Kunstschnees verlesen werden soll. Durch die Reihen zieht Gelächter. Das Verlesene berichtet dann allerdings von dem heißen Blut der Rehe, das sich dampfend auf weißem Schnee ergießt. Es wird still im Saal. Das Wechselspiel der Emotionen gelingt. Im Sprung zwischen dem Spiel mit und am Objekt und der eigenen Verkörperung der Rollen generiert „Bambi / Kaleidoskop“ eine fluide Form des Erzählens, die sich in erster Linie durch die unverstellte Freude am Objekt bewährt.
Erschienen am 9.5.2023