Auftritt
Lübeck: Das Spiel der Macht
Theater Lübeck: „Game of Crowns 1 – Intrige, Macht, Könige“ (UA) von und nach William Shakespeare in einer Fassung von Pit Holzwarth. Regie Pit Holzwarth, Ausstattung Werner Brenner
von Jakob Hayner
Erschienen in: Theater der Zeit: Deutsche Zustände – Intendanten über ein neues politisches Selbstverständnis (10/2019)
Assoziationen: Sprechtheater Theaterkritiken Schleswig-Holstein Theater Lübeck
Kampf um die Macht, Gewalt, Verrat, Düsternis – all das zeichnet den Serienhit „Game of Thrones“ aus. Der brutale Realismus lässt Fantasy-Geschichten wie „Harry Potter“ und „Herr der Ringe“ wie beschauliche Märchen erscheinen. Für das Theater ist das nicht unbedingt etwas Neues. Das dachte sich offenbar auch Pit Holzwarth, der am Theater Lübeck „Game of Crowns 1 – Intrige, Macht, Könige“ zur Uraufführung brachte – von und nach Shakespeare. Für Holzwarth, seit zwölf Jahren Schauspieldirektor am unterfinanzierten Theater Lübeck, kein Neuland, war er doch zuvor ebenfalls zwölf Jahre bei der Bremer Shakespeare Company. Shakespeares Lancaster-Historie mit „Richard II.“, „Heinrich IV.“ und „Heinrich V.“ bietet passendes Material zum Übergang vom Bürgerkrieg zum souveränen Staat der Neuzeit, zum „Leviathan“, wie es der Philosoph Thomas Hobbes ausdrückte. Über drei Stunden dauert der Abend, der ohne Rücksichten auf Feinheiten vom Niedergang Richard II. bis zum Aufstieg Heinrich V. führt.
Das blutrünstige Thema wird durch die Ausstattung von Werner Brenner illustriert. Die Bühne führt schräg nach oben, in der Mitte eine übergroße Krone, die Zacken nach unten gerichtet. Das ist der Thron, um den gerungen wird. Er ist begehbar, und wer auf ihm steht, drückt in der Position seine Vormachtstellung aus. Später wird die Krone noch aufgeklappt werden, und der goldene Glanz, der außen prangt, wird kontrastiert mit dem rot eingefärbten Innenteil. Zu viele blutige Herrscherhäupter hat sie schon bekleidet. Ein Dutzend Lichtstäbe umgeben die Schräge und sorgen sowohl für verschiedene farbige Illuminationen als auch für Effekte, die im Zusammenspiel mit hochdramatischen Musikeinspielungen für eine Atmosphäre ähnlich einem Fernsehquiz kurz vor dem großen Showdown sorgen. Auch im Kostüm dominiert die Krone, dazu ein bisschen Pelz, Glitzermäntel, Sonnenbrillen und ähnliche überhistorische Insignien der Macht, bei Bedarf auch Schwerter zum Köpfe ein- oder abschlagen.
Der als Obertunte dargestellte Richard II. (Andreas Hutzel) interessiert sich mehr für Männer als für Staatsgeschäfte – und am meisten für sich selbst. Umkreist wird der selbstverliebte Herrscher von drei kleidchentragenden dauergackernden Hofdödeln (Johannes Merz, Heiner Kock und Johann David Talinski), die auf Befehl Analsex-Liedchen trällern oder bei leidiger Dudelsackmusik herumhüpfen und alberne Laute ausstoßen. Dass nervt dann irgendwann auch den Adel, insbesondere Heinrich Bolingbroke (Michael Fuchs), der dem Treiben mit Duldung des alten York (Sven Simon) ein Ende bereitet. Der letzte Auftritt von Richard ist auch sein stärkster, muss er sich nicht nur von der Krone trennen, sondern gewissermaßen von seinem zweiten Körper als König, wie es der Historiker Ernst Kantorowicz mit Blick auf die politische Theologie des Mittelalters formulierte. „Wer bin ich?“, fragt sich Richard als Doppel-Ich von Mensch und König. Eine Identitätsverwirrung der besonderen Art, die aber alsbald durch seine Ermordung beendet wird.
Heinrich IV. ist das ausdrückliche Gegenteil des weibisch attribuierten Richards, ein mit der Reitpeitsche wedelnder Krieger. Der wiederum leidet daran, dass sein Sohn Harry (Lilly Gropper) eher nach Richard kommt und nicht nur ein bisschen wie Conchita Wurst ausschaut, sondern sich zudem in der fragwürdigen Gesellschaft von Sir John Falstaff (Robert Brandt) befindet. Ärgerlich, müssen doch eigentlich allerlei Aufstände niedergeschlagen werden, um die Herrschaft zu erhalten. Falstaff immerhin plaudert aus, dass dieses kriegerische Männlichkeitsgetue auf einer reichlich bekloppten Vorstellung von Ehre basiert, die letztlich vor allem die Gräber schmückt, aber sonst zu wenig nütze ist. Ein böses Zauberwort, sagt der alte Lüstling. Die einzige Szene wahrhaft menschlicher Tragik ist dann auch ihm vorbehalten, als er von Harry als Heinrich V. in die Verbannung geschickt wird. Der neue König kann mit der alten Liebe nichts mehr anfangen. Und beherzigt den letzten Rat seines Vaters, nämlich Krieg im Ausland zu führen, um den Bürgerkrieg im Inneren zu befrieden.
Schaffe Freund und Feind, so lautet das obszöne Gesetz der Souveränität. Gegen Frankreich soll es gehen, verkündet Heinrich V., doch dann ist erst mal Schluss mit der Schädeleinschlagerei zum Thron- und Kronenerwerb. Im April hat dann „Game of Crowns 2“ Premiere. //