Auftritt
Nürnberg: Leichtfüßig verspielt
Staatstheater Nürnberg: „Amphitryon“ von Heinrich von Kleist. Regie Anne Lenk, Bühne Judith Oswald, Kostüme Sibylle Wallum
Erschienen in: Theater der Zeit: Was soll das Theater jetzt tun? – Eine Umfrage (05/2022)
Assoziationen: Theaterkritiken Sprechtheater Bayern Staatstheater Nürnberg

Der Feldherr als Feldspieler – darauf muss man auch erst mal kommen. Anne Lenk macht aus Kleists Kriegern: Kicker. Amphitryon mutiert am Staatstheater Nürnberg vom Heeres- zum Spielführer, der nach erfolgreicher WM als Weltmeister nach Theben heimkehrt. Dort muss der gefeierte Fußballgott allerdings feststellen, dass ihn ein echter Gott zum Tor des Monats, ach was, mindestens zum Toren des Jahrhunderts gemacht hat. Denn noch während sich der WM-Held auf dem Rasen abrackerte, räkelte sich Womanizer Jupiter bereits im Bett mit des Mannschaftskapitäns Ehefrau Alkmene. Amphitryon sieht sich gehörnt und, schlimmer noch, seiner Identität beraubt.
Fußball-Fans wissen: „Es gibt nur einen Rudi Völler!“ Amphitryon dagegen scheint plötzlich doppelt zu existieren, und die Fälschung ist offenbar noch besser in Form als das Original, gemessen jedenfalls an den Scorer-Punkten, die Alkmene für die Performance des Fake-Gatten vergibt. Fairplay sieht anders aus. Als sich der Göttervater am Ende zu seinem groben Foul bekennt, bleibt auch Alkmene nur ihr finales „Ach!“.
Es ist schon bemerkenswert, wie kriegerisch der Fußballjargon ist. Auch da werden Schlachten geschlagen, es wird geballert, Gerd Müller war einst gar der „Bomber der Nation“. Angesichts des Kriegs in der Ukraine mag es ein kluger Schachzug gewesen sein, Kleists Stück zu entschärfen. Zwar ist dieses Lustspiel durch das verstörende Thema Identitätsverlust ohnehin nicht uneingeschränkt erheiternd. Gleichwohl: Die Verwechslungskomik, die es zu bieten hat, erzählt sich in diesen Tagen ungleich schwerer, wenn es sich bei den Figuren um Kriegsheimkehrer handelt. Dann schon lieber Fußballer, die zwar auch gern zu martialischen Metaphern greifen, am Ende aber doch nur Bälle ins Tor schießen statt mit Munition auf Menschen.
Anne Lenk allerdings hatte die Idee zu ihrer Inszenierung schon lange vor dem Ukraine-Krieg. Nur wurde die Premiere pandemiebedingt ein ums andere Mal verschoben. Hauptgrund für das Konzept war jedenfalls gar nicht der gegenwärtige Krieg, von dem Lenk noch gar nichts wissen konnte, sondern die Geschlechterverhältnisse im Stück, die „nicht mehr so richtig alltagstauglich“ seien, wie die Regisseurin im Programmheft zutreffend feststellt. Die Ehefrau als „Anhängsel“? Gibt’s gottlob kaum mehr. Außer halt im Fußball. Ergo: Alkmene als Spielerfrau.
Anna Klimovitskaya sieht in der Rolle mit blonder Mähne und im Püschelkleid denn anfangs auch aus wie ein Cheerleader-Pompon auf zwei Beinen, durchläuft dann freilich im Hosenanzug eine Entwicklung, an deren Ende ihre Emanzipation steht. Mit punkiger Kurzhaarfrisur allein auf der altrosa Bühne von Judith Oswald (deren Lamellenwände flotte Auf- und Abtritte ermöglichen, wie man das vor allem aus dem Boulevardtheater kennt) beendet sie den Abend mit einer wegwerfenden Handbewegung. Soll heißen: „Ach! Männer! Wer braucht noch diese Machos?“
So erlebt wenigstens eine Figur eine positive Identitäts-Häutung. Die Herren der Schöpfung indes bleiben so gefangen in Geschlechterklischees wie in den eng anliegenden Turnhöschen und Rauten-Pullis, in die sie Kostümbildnerin Sibylle Wallum gezwängt hat. Sascha Tuxhorn mit Björn-Ulvaeus-Gedächtnisfrisur (der von ABBA) gibt einen erkennbar zerknirschten Amphitryon, der die Empathie, die er weckt, auf einen Schlag verspielt, als Jupiter ihm am Ende die Geburt des Herkules prophezeit, der aus dem Schäferstündchen mit Alkmene hervorgehen wird. Na wenn das so ist – gern geschehen, Göttervater! Wer einen Halbgott zurücklässt, darf sich Amphitryons Identität und vor allem Gemahlin selbstverständlich jederzeit ausleihen. Denn zumindest das maskuline Selbstverständnis ist mit dem virilen Erben Herkules ja wieder hergestellt.
Das ist die schwer düstere Pointe des Abends, die nur leider fast verspielt wird, weil er ansonsten so leichtfüßig geraten ist. Tjark Bernau als Jupiter, dazu Merkur Yascha Finn Nolting, Janning Kahnerts Sosias und Lea Sophie Salfeld als dessen Ehefrau Charis, die das Identitätsklau-Theater ihrer Herrschaft auf Diener-Ebene durchexerzieren, spielen mit sichtlichem Vergnügen für die Galerie – was im Theater wie im Fußball für großen Unterhaltungswert sorgt, aber nicht immer für überzeugende Erfolge. Letztendlich vertändeln sie damit den Tiefsinn des Textes. Das liegt natürlich auch an der Taktik, die ihnen die Regisseurin mitgegeben hat. Die geschlossene Mannschaftsleistung des Ensembles sorgt dafür, dass die Inszenierung keine Niederlage wird. Aber vercoacht hat Anne Lenk den Abend schon. //