I. Vorreden
1. Ruth Berghaus in einer Talkshow des Fernsehens, kurz vor der Wende: „Ihr messt alles nach eurem Maß. Wir aber haben unsere eigenen Maße.“ Diese Worte sind als unangemessene Trotzreaktion auf berechtigte Vorhaltungen missverstanden worden – auf Vorhaltungen mehr oder minder überzeugter Demokraten, die sowohl die Parteinahme für den Sozialismus als auch Kompromisse zwischen Kunst und Macht nicht akzeptierten, mithin Ruth Berghaus’ politische Entscheidungen weder verstehen noch billigen konnten.[1] Im Magazin Der Spiegel wurde sie, gleich nach der Wende, als Luxus-Dissidentin bezeichnet,[2] und kurz nach ihrem Tode war im gleichen Magazin zu lesen, sie sei durch „die Partei“ gefördert, ja, geschoben worden, eigentlich keine gute Regisseurin, daher ohne produktive Nachwirkung.
Ruth Berghaus hingegen hat ihre Entscheidungen getroffen im Wissen um Errungenschaften, Defekte und Verbrechen sozialistischer Gesellschaften, im Austrag oft furchtbarer Konflikte.[3] Aber es gab für sie keine andere Wahl, kein anderes Land, in dem sie wirken konnte, und dies, obgleich ihr unzählige Blockaden in den Weg gelegt wurden.[4] Wer darf sie eigentlich für diese Entscheidung verurteilen?
Sprach sie von „unseren Maßen“, so gewiss nicht für kretinhaftes Verhalten diesseits, jenseits der Künste, sondern für unentwegtes Widerstehen gegen mancherlei Dummheit – oder gegen Schlimmeres.
2. Seit...