Pier Paolo Pasolini (1922 bis 1975) ist als Dichter geboren. Zeit seines Lebens gibt er an bestimmten Wendepunkten seinen Lesern Rechenschaft über die Erfüllung dieses Auftrags. Sein erstes Gedicht schreibt er als Zweitklässler im Jahre 1929. Seine Mutter zeigt ihm, wie man ein Gedicht selbst machen und nicht nur in der Schule lesen kann. In einem Sonett erklärt sie dem Kind ihre Liebe. Wenige Tage später verfasst der Siebenjährige Verse, deren Wörter „rosignolo“ und „verzura“ er später erinnert. Das erste, mit französischem Anklang, bedeutet „Nachtigall“, das zweite ist ein sehr gewählter Ausdruck für „Grün“. Instinktiv habe er, natürlich ohne Petrarca zu kennen, „den klassizistischen Code von Auslese und Erlesenheit benutzt“.¹ Pasolini wird diesen Code aber auch immer durchbrechen, wie Heiner Müller feststellt: „Das ist eine Qualität bei ihm: einerseits ein hoher Ton, der aber immer offen ist auch für ganz niedrige Elemente, für Jargons, Slangs und Alltagssprache.“²
1942 erscheint Pasolinis erster, auf eigene Kosten gedruckter Gedichtband „Poesie a Casarsa“ mit Gedichten in friulanischem Dialekt. Es ist die Sprache seiner Mutter, die er selbst nie wirklich gesprochen, aber auf der Suche nach einer „absoluten“ Sprache und getrieben von einer Art mystischer Leidenschaft gefunden hat. In der zögernden Schwebe zwischen Sinn und...