Für die Wissenschaft ist der sibirische Tunguska-Komet von 1908 nur einer von vielen. Nicht so in Vladimir Sorokins Romantrilogie, bestehend aus „Ljod – Das Eis“, „Bro“ und „23 000“. Hier figuriert der Kometeneinschlag als Angelpunkt der kosmischen Geschichte. Sorokins Personal besteht aus russischen Normalos von heute, die sich im postsowjetischen Chaos rasant in Sektenspinner und Mystiker wandeln, oder reicht tiefer in die Sowjetgeschichte zurück (die Trilogie erschien 2002 bis 2005, also: früher Putin). Der Witz ist, dass die Romanfiktion diese Sektierer und ihre links-rechte, mystisch-kosmologische Welteis-Lehre als Tatsachenwahrheit in einen blinden Fleck unserer Gegenwart einspeist.
Es geht naturgemäß um die Apokalypse. Sie tritt ein, wenn alle 23 000 menschlichen Träger der „Splitter“ eines „Ursprünglichen Lichts“ erkannt sind, das sich einst auf die Erde verirrte und abscheulicherweise das Leben zeugte: eine echt gnostische Entwertung des Daseins. Solange diese 23 000 in menschlichen „Fleischmaschinen“ gefangen sind, gilt es, ihren Trägern mit Tunguska-Eishämmern das Herz aufzuklopfen und die „Splitter“-Namen zu ermitteln, eine blutige Prozedur, die viele „Nieten“, also uns, das Leben kostet. Im Finale stehen sie alle nackt auf einer Insel: Das Universum löst sich in Licht auf. Ein Effekt, den Julia Kurzwegs Bühne plus Licht und Video als Lichtershow vermittelt.
Sorokin diente...