Auftritt
Schlosstheater Moers: Friedhof der Kuschelmenschen
„#vergissmeinnicht“ von Sandra Höhne und Ulrich Greb Inszenierung: Ulrich Greb, Bühne: Birgit Angele, Kostüme: Jochen Hochfeld
von Stefan Keim
Assoziationen: Nordrhein-Westfalen Theaterkritiken Sandra Höhne Ulrich Greb Schlosstheater Moers

Ein geliebter Mensch stirbt. Hinterbliebene können nicht loslassen. Den Tod zu akzeptieren, fällt vielen schwer. Die Literatur ist voll davon, oft sind es Gruselgeschichten. Ligeia in Edgar Allan Poes gleichnamiger Erzählung glaubt, dass nur Menschen sterben, die zu wenig Willenskraft besitzen. Dann ist sie selbst tot, kehrt aber auf schaurige Weise zurück. In Stephen Kings „Friedhof der Kuscheltiere“ klappt schon die Wiederbelebung geliebter Vierbeiner auf einem legendenumwobenen Haustierfriedhof nur mit Einschränkungen. Sie verändern ihren Charakter. Als ein Vater seinen verstorbenen Sohn dort vergräbt, kehrt der als Monster zurück. All das sind Geschichten aus analogen Zeiten. Sandra Höhne und Ulrich Greb spielen nun am Schlosstheater Moers aktuelle technische Möglichkeiten der Unsterblichkeit durch. In „#vergissmeinnicht“ bietet ein IT-Unternehmen den Service an, alle verfügbaren Daten und Erinnerungen eines Menschen hochzuladen und in einen Androiden zu übertragen.
Wie menschlich sind solche Wesen? Kann künstliche Intelligenz ein eigenes Bewusstsein entwickeln? Das Thema wird sehr oft behandelt, in Romanen, Filmen, Serien. Die satirische Seite präsentiert die Reihe „Upload“ auf Prime Video, die HBO-Serie „Westworld“ behandelt philosophisch-sozialkritische Aspekte, der Android Data aus „Star Trek: The Next Generation“ ist eine vielschichte und tiefsinnige Weiterentwicklung der Pinocchio-Figur. Braucht es bei dieser Fülle der Auseinandersetzungen noch ein neues Theaterstück?
Ja, denn Sandra Höhne und Ulrich Greb nehmen aktuelle Debatten auf und erzählen eine Geschichte von heutigen Menschen und ihren Emotionen. Sie zeigen eine Familie – Vater, Mutter und zwei Söhne. Sophia, eine Naturwissenschaftlerin, wird sterben und soll durch ein künstliches Wesen ersetzt werden. Das Stück „#vergissmeinnicht“ zeigt einen ganz rationalen Versuch, die Veränderung, die der Tod mit sich bringt, zu umgehen. Das Leben soll weiterlaufen, der Übergang vom echten Menschen zum humanoiden Androiden kaum spürbar sein. Und nebenbei möchte Marc, der Ehemann der Versterbenden, noch ein paar nervige Kleinigkeiten korrigieren. Seine Ersatzfrau muss ja nicht so trottelig sein wie die alte und ständig Dinge fallen lassen.
Das Publikum sitzt auf beiden Seiten der Bühne und sieht auf eine doppelte Wohnung. Zwei Betten, zwei Schränke, zwei Tische, dazwischen ein transparenter Vorhang. Bühnenbildnerin Brigit Angele hat bei der Raumgestaltung mit der Duplizierung kein Problem, da geht es ja auch nur um Gegenstände. Bei Menschen sieht das anders aus. Das zeigt schon die Besetzung, Joanne Gläsel als Sophia und Emily Klinge als ihre Nachfolgerin Greta stammen aus zwei Generationen und haben optisch wenig Ähnlichkeit. Marc (Matthias Heße) hat damit keine Probleme, er stürzt sich begeistert auf die Rekonstruktion seiner Ehefrau, während die echte tot im Bett liegt. Die Söhne (Roman Mucha und Georg Grohmann) allerdings kommen mit der Ersatzmama nicht gut klar und entfremden sich von ihrem Vater.
Regisseur Ulrich Greb hält die Aufführung in der Schwebe zwischen Ernst und Komik, ebenso zwischen Wirklichkeitsnähe und Fantasie. Das Ensemble spielt psychologisch und nachvollziehbar in einer surrealen Atmosphäre. Die Schränke dienen als Auf- und Abtritte, manche Szenen berühren die Grenze zur Groteske ohne die Bodenhaftung zu verlieren. Die Mischung aus Komik und Beklemmung ist typisch für das Theater von Ulrich Greb. Bei aller Spielfreude und Theaterlust bleibt immer klar, dass es um existentielle Dinge geht. „#vergissmeinnicht“ ist nicht in erster Linie ein Gedankenspiel mit den wissenschaftlichen Möglichkeiten. Es geht im Kern um den Tod als eines der letzten Tabus, um die Unfähigkeit, das Sterben zu akzeptieren. Wer im Dauerstress der Selbstoptimierung lebt, kann den Verlust eines geliebten Menschen nur als ungeheuerliche Provokation begreifen.
Flankierend zur Aufführung zeigt das Schlosstheater im Pulverhaus nebenan eine kleine, berührende Ausstellung. Die spanisch-niederländische Künstlerin Vanesa Abajo Pérez hat sich von Menschen vom Niederrhein Stühle ausgeliehen, die Verstorbenen gehört haben. Wer drauf sitzt, kann mit dem Handy einen QR-Code scannen und sich Erzählungen über die Toten anhören. Das sind zutiefst menschliche Momente, verbunden mit der Einsicht, dass wir alle unperfekt und sterblich sind. Und so spannend die oben zitierten Serien auch sind – das körperliche Erleben von Theater und Ausstellung bietet gerade bei der Beschäftigung mit diesem Thema eine besondere Qualität.
Erschienen am 24.2.2023