Theater der Zeit

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Auftritt

Bregenzer Festspiele: Die gelungene zweite Chance

„Madame Butterfly“ von Giacomo Puccini, Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica nach der gleichnamigen Kurzgeschichte von John Luther Long und dem darauf basierenden Schauspiel „Madame Butterfly. A Tragedy of Japan“ von David Belasco – Musikalische Leitung Enrique Mazzola, Yi-Chen Lin, Inszenierung Andreas Homoki, Bühne Michael Levine, Kostüme Antony McDonald

von Georg Rudiger

Assoziationen: Musiktheater Theaterkritiken Österreich Bregenzer Festspiele

Letztes Jahr musste „Madame Butterfly“ auf der Seebühne wegen Gewitter abgebrochen werden, dieses Jahr findet die Inszenierung an einem lauen Sommerabend statt. Foto Bregenzer Festspiele/Anja Köhler
Letztes Jahr musste die Premiere von „Madame Butterfly“ auf der Seebühne wegen Gewitter abgebrochen werden, dieses Jahr findet die Inszenierung an einem lauen Sommerabend statt.Foto: Bregenzer Festspiele/Anja Köhler

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Im letzten Jahr wurde die Premiere von „Madame Butterfly“ bei den Bregenzer Festspielen noch mitten im zweiten Akt abgebrochen. Ihre Arie „Un bel dì, vedremo“ (Eines Tages sehen wir), in der Cio-Cio-San alias Madame Butterfly von der Hoffnung auf eine Rückkehr ihres amerikanischen Ehemannes beseelt ist, konnte Barno Ismatullaeva noch auf der leeren, 33 breiten Meter und 23 Meter hohen Bühne singen. Dann sorgte eine Gewitterfront für den Abbruch auf der Seebühne – und für eine konzertante Fortführung im Festspielhaus. Die poetische Inszenierung von Andreas Homoki, die gerade durch ihre Zurückhaltung Reiz entfaltet, wurde auf halber Strecke ausgebremst. Dass die Produktion mit hundert Prozent Auslastung im vergangenen Jahr zu einem Publikumsmagneten wurde, war für die damaligen Premierenbesucher kein Trost.

Nun gab es die zweite Chance bei der Wiederaufnahme. Es wurde ein perfekter Abend – und das nicht nur, weil Bregenz mit einer lauen Sommernacht beschenkt wurde. Barno Ismatullaeva ist auch 2023 eine tief bewegende Madame Butterfly, die lyrische Intensität mit dramatischer Strahlkraft kombiniert. Ganz organisch entwickelt sie die Figur von der zarten, noch ganz in der Tradition verhafteten Frau zu einer freien, tragischen Heldin. Otar Jorjikia gibt den Marineleutnant Pinkerton nicht als arroganten Ami, sondern veredelt seinen weichen Tenor bei der ersten Begegnung mit Butterfly mit leuchtenden Farben. Jorjikia weiß zu differenzieren. Sein Pinkerton ist am Ende nach Butterflys Suizid ein gebrochener Mann. Auch Brett Polegato als Konsul Sharpless zeigt mit seinem kantablen Bariton echte Empathie. Wie im letzten Jahr ist Annalisa Stroppa mit ihrem vollen, in der Tiefe dunkel schimmernden Mezzosopran als Suzuki ihrer Herrin eine große Stütze. Als sie Butterfly die Nachricht überbringen muss, dass Pinkerton inzwischen eine amerikanische Ehefrau hat und ihr gemeinsames Kind mitnehmen möchte, bricht sie zusammen. Dirigent Enrique Mazzola begleitet dieses Drama mit den groß aufspielenden Wiener Symphonikern und dem flexiblen Prager Philharmonischen Chor in jeder Phase. Die amerikanische Nationalhymne wird im Orchester auf Hochglanz poliert, wenn der Fahnenmast wie ein Phallus das aufragende, im Stil des alten Japans bemalte Bühnenbild durchdringt und die Stars-And-Stripes-Flagge präsentiert (Bühne Michael Levine). Die Streicher betten die Melodielinien sanft. Und werden von Mazzola klanglich forciert, wenn sich im dritten Akt alles zuspitzt.

Selten sind Musik und Szene so eng aufeinander abgestimmt wie bei dieser Produktion. Wie Giacomo Puccini arbeitet auch Andreas Homoki mit Leitmotiven wie den ganz in weiß gekleideten Geistern (Kostüme: Antony McDonald), die schon vor dem Beginn auf der Bühne sind und ganz am Ende Cio-Cio San den Dolch reichen, mit dem sie sich ersticht. Nur manches Mal ist die Texttreue Homokis etwas redundant, wenn beispielsweise die Geister als Geishas auftreten, als Butterfly sich ihrer Vergangenheit erinnert. Der bewusste Verzicht auf jede Action und die genaue Personenführung auf der weitläufigen Bühne lassen im Laufe des Abends eine Intensität entstehen, die dieses Kammerspiel unter enorme Spannung setzt.

Das große Papierboot, das heranfährt, steht für die Hoffnung, die das Kind (Riku Seewald) in die Rückkehr des Vaters setzt – ein kleines hatte es selbst zu Wasser gelassen und ihm lange hinterhergeschaut. Mit zunehmender Dunkelheit gewinnt die eindrucksvolle Lichtregie (Franck Evin) noch mehr an Wirkung – echte und digitale Blüten (Video Luke Halls) auf strahlendem Gelb künden vom Frühling der Natur und dem Aufblühen der Träume Butterflys. Und wenn ganz am Ende nach ihrem Suizid ein digitales Flammenmeer über die Bühne züngelt, das ganz oben in einen echten Feuerstrahl übergeht, dessen Hitze man noch im Zuschauerbereich spürt, dann findet diese „Madame Butterfly“ mit ihrem letzten Ton ihren finalen Höhepunkt.

 

Erschienen am 1.8.2023

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