Theater der Zeit

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Auftritt

Theaterhaus Jena: Elfriede Jelinek spürt diese Leere – wir auch

„Laszlos Herz“ von Peter Neugschwentner (UA) – Regie Josef Bäcker & Lukas Pergande, Bühne Konrad Walkow, Kostüme Shayenne di Martino, Musik Jakob Zimmer-Harwood

von Michael Helbing

Assoziationen: Thüringen Theaterkritiken Dossier: Uraufführungen Theaterhaus Jena

In Hassliebe vereint auf der Kehrmaschine: Jonathan Perleth als Elfriede Jelinek (links) und Saba Hosseini als Regisseur, vermutlich Claus Peymann. Foto Joachim Dette
In Hassliebe vereint auf der Kehrmaschine: Jonathan Perleth als Elfriede Jelinek (links) und Saba Hosseini als Regisseur, vermutlich Claus PeymannFoto: Joachim Dette

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Das hier ist nicht einfach eine Bühne unter freiem Himmel. Das hier ist ein großer Parcours, der aus dem Theater, das in Jena ja nur noch ein Bühnenhaus ohne Zuschauersaal ist, gleichsam auf den Vorplatz quillt. Es gibt, verbunden durch Wege und Stege, diverse Spiel- und damit zugleich Bedeutungsebenen, darunter jeweils eine für einen Musiker und einen feministischen Frauenchor als Fußball-Fanblock. Die Tiefe des offenen Raumes reicht indes vom achteckigen Spielplateau vorn bis weit hinein in die Bühne des Theaterhauses selbst.

Die allerorten viel diskutierte Öffnung eines Theaters in die Stadt hinein wird so ausgerechnet hier versinnbildlicht, wo sie doch längst gelebte Praxis ist: ob bei jener Truppe, die das Haus bis zum vergangenen Sommer alles in allem sechs Jahre lange bespielte, oder bei der neuen, die jetzt ihre erste Spielzeit mit dem traditionellen, fünftägigen Theaterspektakel beschließt und damit zugleich die allsommerliche Kulturarena Jena eröffnet.

Dieser Parcours und der Abend, der diesem folgt, sollen offensichtlich über sich selbst hinausweisen und das Theater insgesamt herausfordern. Den Ton dafür gibt der Regisseur vor: keiner dieser Inszenierung, von denen es sogar zwei gibt, sondern jener in ihr, als Figur. „Ein Forum, ein Forum, ein Forum, Forum, Forum, Forum, … muss das sein!“ So lautet sein Schlachtruf.

Der Regisseur, der antike Vorbilder herbei schwafelt und der Gegenwartsdramatik mangelnde Welthaltigkeit attestiert, könnte, wird uns nahegelegt, Claus Peymann heißen. Saba Hosseini spielt ihn als so quirligen wie cholerischen Wüterich, und zwar so gnadenlos wie schonungslos gut, dass man ihr zutraute, den Abend im Alleingang zu stemmen. Sie/er faselt was von authentischer Volksnähe und Theater als linke Kultur-Bazooka, plustert sich auf und fällt regelmäßig in sich zusammen.

In Hassliebe verbunden ist der Regisseur seiner klar identifizierbaren Autorin, mit der er auf der Kehrmaschine ohne reinigende Wirkung durch die Theaterwelt fegt: Elfriede Jelinek, von Jonathan Perleth als austernhafte Diva parodiert, die eine Leere zwischen sich und dem Theater empfindet, für das sie unentwegt von Männern inszenierte Texte über Frauen schreibt.

Sie hacke auf ihre Schreibmaschine ein wie eine alte Krähe auf einen Tennisball, gab die originale Jelinek einmal zu Protokoll. Vielleicht deshalb taucht hier, neben Spitzmäusen und dem Musiker als Trompetentierchen, eine Krähe auf: Marlene Goksch ranzt alles und jeden wienerisch als die G’schissenen an, lässt sich nicht weg huschen, hackt aber gerne mal ein paar Augen aus. Neben Saba Hosseini sorgt das für den zweiten starken Auftritt des Abends.

Dass jemand sein Herz ans Theater verlieren kann, ist auch sonst keine gute Nachricht in dem so komplexen wie komplizierten Stück von Peter Neugschwenter, das hier zur Uraufführung gelangt. Insbesondere „Laszlos Herz“, so auch der Titel, schwebt in Gefahr. Es wurde, dem Kern der skurrilen Erzählung zufolge, versehentlich im Bühnenbild einer Jelinek-Inszenierung verbaut. Also muss man es der Kunst wieder entreißen, dekretiert Laszlos resolute Mutter, Kassiererin bei Lidl, die des Lebens Sinn im Fußball-Fanclub fand (Ioana Nițulescu). Zwei unter sich bald arg zerstrittene Freundinnen Laszlos (Thato Kämmerer und Jonathan Perleth) übernehmen die Mission: „Wir kennen den Weg ins Theater noch, oder?“

Und Laszlo selbst? Der verkriecht sich stumm auf die riesige hölzerne Chaiselongue, nachdem er brüllte: „Ich hasse, hasse, hasse das Theater! Und mir kommt das Kotzen bei jeder Regiefresse!“ Mit Schauspielern, wie er wohl selbst einer ist, sowie Intendanten, Dramaturgen und sogar Drehbühnen geht es ihm offenbar kaum anders. Florian Thongsap Welsch spielt ihn traurig-melancholisch als eine Art Pierrot: theatersatt, lebenshungrig. Er spielt sich dabei aber vor allem aus der Inszenierung heraus.

Peter Neugschwentner aus Amstetten, Niederösterreich, studierte an der UdK Berlin Szenisches Schreiben, bis er während einer Uraufführung, so ist es nachzulesen, „aus Scham vor seinem eigenen Text eine Panikattacke“ bekam. Er brach demnach das Studium ab, verfasste aber vertragstreu noch „Laszlos Herz“: als Abschied ans Theater, der beinahe ein Requiem wird.

Was das mit Jena zu tun hat? Nun, einfach gar nichts. Außer, dass man sich den Text mit ein paar lustigen Insider-Pointen sowie vielen Strängen und Längen an Land zog. Die neue Theaterhaus-Truppe sei „nah dran an den Themen der Stadt“, sprach der Kulturdezernent im kurzen Grußwort zur Premiere, die das dann nach allen Regeln der Kunst konterkarierte. Man arbeitet sich an einem Theaterbegriff ab, der lokal und regional kaum ins Gewicht fällt. Mögen Jelinek & Co. ein Problem fürs großstädtische Theater sein, rangieren sie in der hiesigen Landschaft unter ferner liefen.

So ereignet sich hier ein Theaterspektakel in einer bizarren Blase, die groß und größer werden, aber einfach nicht platzen will. Sie haben das mit vielen Ideen und noch mehr personellem, technischem und optischem Aufwand an- und eingerichtet. Die Kletterwand, die sie in die Szene stellten, wird ein einziges Mal benutzt, die „Seilbahn“ ebenso. Es gibt einzelne hübsche Nummer, auch viele Soli und Monologe, aber das alles bleibt kaum verbunden und ziemlich unverbindlich.

„Auf geht’s Jena! Kämpfen und siegen!“ Mit diesem Schlachtruf, wie er bei den Lokalmatadoren des FC Carl Zeiss Jena üblich ist, war der Frauenchor in die Arena marschiert. In diesem 120-Minuten-Spiel aber hat sich das Theater verlustreich verkämpft und keinen Punktgewinn erzielt.

Erschienen am 3.7.2025

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