Theater der Zeit

Reportage

Endlich faire Mindestgagen, aber woher kommt das Geld?

Der Tarifabschluss stürzt besonders kleinere Stadttheater in ein zusätzliches Kostendilemma. Beispiele und Hilferufe aus Sachsen

von Michael Bartsch

Erschienen in: Theater der Zeit: Tarife & Theater – Warum wir das Theater brauchen (02/2023)

Assoziationen: Debatte Sachsen Dossier: Tarife & Theater Staatsschauspiel Dresden Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen Gerhart-Hauptmann-Theater Zittau

Die #rettedeintheater-Aktion der GDBA im November 2022 in Hannover
Die #rettedeintheater-Aktion der GDBA im November 2022 in HannoverFoto: Gabriele Suschke

Anzeige

Anzeige

„Ich freue mich sehr für die Kollegen, dass sie endlich verdientes Geld bekommen. Aber das Theater bekommt nicht mehr Geld“, beschreibt Daniel Morgenroth als Intendant des Gerhart-Hauptmann-Theaters (GHT) Görlitz-Zittau den Konflikt zweier Seelen in seiner Brust und zugleich das Problem der Tariferhöhungen.

Nicht genug, dass sich Heizung und Elektroenergie infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine drastisch verteuern. Am GHT werden dafür zusätzlich 386.000 Euro veranschlagt. Auch die erhöhten Mindestgagen schlagen in diesem Jahr mit 420.000 Euro zu Buche, weitere 100.000 Euro kommen mit Jahresbeginn 2024 auf das Theater zu. Sollte die Gewerkschaft ver.di bei den am 23. Januar beginnenden Tarifverhandlungen für den Öffentlichen Dienst auch nur die Hälfte der geforderten 10,5-prozentigen Erhöhung erreichen, muss das relativ kleine Doppeltheater an der Neiße etwa eine Million Euro mehr für sein künstlerisches Personal aufbringen.

Ende Juni 2022 hatten sich die Künstlergewerkschaften GDBA, VdO und BFFS nach vier Verhandlungsrunden mit dem Deutschen Bühnenverein auf eine kräftige Anhebung der Mindestgagen geeinigt. Erst 1991 war eine solche Mindestgage für Schauspielerinnen und Schauspieler an öffentlich getragenen Theatern eingeführt worden. Sie betrug anfangs 2.400 DM und stieg im Lauf von dreißig Jahren auf zuletzt 2.000 Euro. Fast in der gleichen Größenordnung wird nun ein Sprung vollführt, den man schon als historisch im Sinne der Künstler bezeichnen kann. Ab 1. Sep­tember 2022 stieg die Mindestgage um 550 Euro, mit Beginn dieses Jahres sogar auf 2.715 Euro. Allerdings hatte es zuvor vier Jahre keine Erhöhung der Einstiegsgagen mehr gegeben.

Die Häuser sind je nach Trägerschaft und Tarifstruktur unterschiedlich von den Mehrkosten betroffen. Aber auch Joachim Klement als Intendant des relativ üppig ausgestatteten Dresdner Staatsschauspiels rechnet vor, wie dringend notwendig ­dieser große Schritt gerechterer Entlohnung für das künstlerische Personal im Normalvertrag (NV) Bühne war. Der eigentliche Druck ging nämlich von der Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns aus, wie sie die Berliner Ampelkoalition auf ihre ­Agenda gesetzt hatte. Der stieg seit 2018 von 8,48 auf 12,00 Euro pro Stunde, also um 35 Prozent. Auch ohne Taschenrech­ner weiß Joachim Klement, dass die ­Entlohnung seiner Einsteiger bei vier Monatswochen und 44 Wochenstunden Referenzarbeitszeit demnach schon 2.112 Euro monatlich hätte betragen müssen. „Die Mindestgage hätte unter dem Mindestlohn gelegen“, bringt es der Intendant auf den Punkt.

Der Erfolg dieses Tarifabschlusses wird komplettiert durch eine analoge Erhöhung der Gastgagen, die ebenfalls um 35 Prozent steigen. Noch wichtiger erscheint die Einigung auf eine künftige Dynamisierung der Mindestgagen ab der Tarifrunde 2023/24. Sie folgen dann also automatisch der Entwicklung der Gagen und Gehälter für die bundesweit etwa 12 .500 nach dem Bühnenvertrag Angestellten. Ebenfalls dynamisiert wird eine ab der kommenden Spielzeit geltende Sonderzulage von 200 Euro für alle NV-Beschäftigten ab dem dritten Dienstjahr. Die Mindestgage gilt also nur noch für ­Anfängerinnen und Anfänger.

Die Kehrseite: Rechtsträger sind finanziell gefordert

Die Pressemitteilung der Künstlergewerkschaften sprach damals von einem „historischen gemeinsamen Erfolg“. Die Präsidentin der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger (GDBA), Lisa Jopt, nannte das Ergebnis sogar einen „Hammer“. Seit 30 Jahren sei die Dynamisierung der Gagen ein Gewerkschaftsthema. Bühnenkünstlerinnen und -künstler würden nun nicht mehr wie Küchenhilfen und ­Boten im Öffentlichen Dienst bezahlt.

Auf die Kehrseite wies aber schon im Juni des Vorjahres die Geschäftsführende Direktorin des Deutschen Bühnenvereins, Claudia Schmitz, hin. Wohl wissend, dass die Personalkosten an Theatern mit einem Anteil zwischen zwei Dritteln und drei Vierteln den Hauptbelastungsfaktor darstellen. „Der aktuelle Abschluss stellt für die Bühnen eine finanzielle Herausforderung dar, die sie allein nicht schultern können“, wird sie zitiert. Die Bühnen brauchten dringend Zusagen der Rechtsträger, den Mehraufwand mitzutragen.

„Die aber sitzen doch selbst in der Tarifkommission des Bühnenvereins“, gibt der Dresdner Intendant Joachim Klement zu bedenken, selbst Mitglied dieser Kommission. Kommunen und Länder müssten folglich „Verantwortung übernehmen und die Belastungen in ihren Haushalten abbilden“. Diese Steigerungen seien absehbar gewesen.

„Ja, damit war zu rechnen“, bestätigt zwar sein Kollege Daniel Morgenroth an der Neiße. Doch bei abgeschaltetem Aufnahmemikrofon wird in den fünf ländlichen der acht sächsischen Kulturräume deutlich, dass man solche Äußerungen aus der Landeshauptstadt nicht gern hört. Nach dem im Dezember beschlossenen neuen Doppelhaushalt des Freistaates erhalten allein die beiden Staatstheater Semperoper und Staatsschauspiel in Dresden vom Freistaat einen Zuschuss von 91 Millionen Euro. Der Landeszuschuss an alle acht Kulturräume zusammen liegt für sämtliche Kunstsparten nur um etwa 20 Millionen Euro höher.

Man wolle Stadttheater nicht gegen Staatstheater ausspielen, beteuern alle Intendanten glaubwürdig. Aber diese Asymmetrie ruft zumindest ein leises Grummeln hervor. Das Land Sachsen hat die Tarif­erhöhungen bei seinen Vorzeigeeinrichtungen bereits eingeplant und seine Zuschüsse deutlich erhöht.

Kleinere Bühnen wie das Deutsch-Sorbische Volkstheater Bautzen aber müssen kämpfen. Man habe sofort mit dem Landkreis und der Stadt gesprochen. „Aber die stehen selber unter hohem Druck“, zeigt Verwaltungsdirektor Ronald Kohrs bedingt Verständnis. Seine Zahlen klingen nicht ganz so alarmierend wie die vom GHT Görlitz-Zittau im selben Kulturraum. „Nur“ 102.000 Euro mehr wird die Mindestgagenerhöhung in diesem Jahr voraussichtlich kosten. Mit mehr Sorge blickt der Verwaltungsdirektor auf die anstehende Tarifrunde im Öffentlichen Dienst. Jedes Prozent Erhöhung kostet das Volkstheater 61.000 Euro mehr. Fiele der Abschluss tatsächlich zweistellig aus, wären das über 600.000 Euro, und würde dieser Mehrbedarf nicht ausgeglichen, müssten elf Stellen gestrichen werden. Betriebsgefährdend für ein Theater, das wie die meisten personell an der Untergrenze fährt.

Hilferufe an Land und Bund

Eine Bautzener Besonderheit weist auf eine sächsische Besonderheit hin, die den Personalkostenaufwuchs mildern könnte. Das Deutsch-Sorbische Volkstheater profitiert nämlich sehr zum Ärger von Intendant Lutz Hillmann und Verwaltungsdirektor Ronald Kohrs nicht vom sogenannten Kulturpakt. Vor drei Jahren war es in einem gemeinsamen Kraftakt von Land und Trägerkommunen gelungen, Theater und Orchester vor allem in den Kulturräumen aus der jahrzehntelang andauernden Haustariffalle herauszuholen. Statt der Einzelvereinbarungen gilt im Wesentlichen nun wieder der Flächentarif.

Bautzen aber profitierte davon nicht, weil es vorbildlicherweise zuvor nicht in den Haustarif abgerutscht war. Zuschüsse, die das zweisprachige Theater auch aus der Stiftung für das sorbische Volk erhält, mögen dazu beigetragen haben. Bei den Beratungen zum Landeshaushalt im vorigen Herbst stand auch wieder dieser Kulturpakt zur Debatte. Die Kulturpolitiker der Regierungskoalition von CDU, SPD und Grünen stockten den Landesanteil an diesem Personalkostenzuschuss zwar von sieben auf neun Millionen Euro auf. Die Kommunen aber müssen hier im Verhältnis 2:1 kofinanzieren. Ob die Summe am Ende reicht, auch die Tarifsteigerungen aufzufangen, wird vor allem in den ländlichen Kulturräumen bezweifelt.

Diplomatie und Klinkenputzen hinter den Kulissen ist angesagt. Dramatische Briefe wurden schon Ende September verfasst, wie der von Intendant Morgenroth in Görlitz. Im Schreiben an Kulturstaats­ministerin Claudia Roth ist von einer „hoch dramatischen Lage vieler Theater abseits der Ballungsräume“ und einer ­Position „kurz vor dem Abgrund“ die Rede. Ohne­hin müssten schon schwindende Einnahmen infolge von Publikumszurückhaltung ausgeglichen werden. Morgenroths leiden­schaftliche Lagebeschreibung gleicht einem Hilferuf nach Berlin, weil er daran zweifelt, dass die Herausforderungen aus eigener Kraft zu bewältigen sind. Die Tarif­erhöhungen seien völlig gerechtfertigt, aber es drohe wieder ein Rückfall in Haustarife, Stellen- und Spartenabbau.

Die Antwort einer Mitarbeiterin der Bundeskulturbeauftragten vom November dürfte wenig Hoffnung verbreiten. Sie verweist zuerst auf die verfassungsmäßige Kulturzuständigkeit der Länder und die geringen Möglichkeiten einer Theaterförderung durch den Bund. Es folgt ein Hinweis auf das Bundesförderprogramm für Ausstattungsinvestitionen nationaler Kultureinrichtungen im Umfang von 20 Millionen Euro. Über die detaillierte Verwendung des im November im Prinzip beschlossenen „Kulturfonds Energie“ in Höhe von rund einer Milliarde Euro konnte die Mitarbeiterin wegen laufender Abstimmungen zu diesem Zeitpunkt noch nichts sagen.

Häuser in Sachsen gehen in dieser unsicheren Lage erst einmal betteln, auf der Suche nach Drittmitteln und privaten Sponsoren. Die Janusköpfigkeit des an sich so begrüßenswerten Tarifabschlusses kann kaum drastischer erscheinen. Online-Kommentare wiesen schon im vorigen Sommer darauf hin, dass jede Flexibilität in der Vertragsgestaltung nun verlorengeht, etwa bei Springereinsätzen oder befristeten Regieassistenzen. Am Dresdner Staatsschauspiel gibt Intendant Joachim Klement zu bedenken, dass nun das gesamte Gagengefüge auch bei langjährig Beschäftigten überprüft werden müsse. „Es kann nicht sein, dass jemand nach 15 Jahren nicht mehr bekommt als ein Einsteiger!“ Solche synchronen Erhöhungen seien aber schlichtweg nicht zu leisten. Lediglich einige Geringverdiener würden etwas mehr bekommen. Künstlerischer Selbstausbeutung entgegenwirken zu wollen, stürzt also vor allem kleinere Häuser in ein gefährliches Dilemma.

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Cover B. K. Tragelehn
Charly Hübner Buch backstage
Cover XYZ Jahrbuch 2023
Recherchen 162 "WAR SCHÖN. KANN WEG …"
"Scène 23"
"Zwischen Zwingli und Zukunft"
Recherchen 165 "#CoronaTheater"
"Die Passion hinter dem Spiel"
Arbeitsbuch 31 "Circus in flux"
"Passion Play Oberammergau 2022"
Recherchen 163 "Der Faden der Ariadne und das Netz von Mahagonny  im Spiegel von Mythos und Religion"
Passionsspiele Oberammergau 2022
"Theater der Vereinnahmung"
Recherchen 156 "Ästhetiken der Intervention"