Vorwort
von Susanna Werger, Antonia Leitgeb-Busche, Barbara Gronau, Maria Goeth und Josef Bairlein
Der vorliegende Band erscheint als dritte Publikation in der Schriftenreihe der Bayerischen Theaterakademie August Everding. Ihr Ziel ist es, aktuelle Praktiken und Diskurse in den Künsten mit Fragen des institutionellen Wandels und Reflexionen über Ausbildung zu verknüpfen.
Dank der intensiven Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und Theater München, der Akademie der Bildenden Künste und der Hochschule für Fernsehen und Film in München konnte im Mai 2024 ein hochschulübergreifender Aktionstag unter dem Motto Challenge(d) Bodies – herausfordernde und herausgeforderte Körper in der zeitgenössischen Kunst stattfinden. Das Buch versteht sich als weiterführende Dokumentation dieses Tages, der sich in eine Reihe von Respekttagen eingliedert, die die Münchner Kunsthochschulen seit mehreren Jahren gemeinsam ausrichten. Als Theaterakademie haben wir bei einem Topos angesetzt, der für alle Künste zen-tral ist: dem Körper.
Im Körper manifestiert sich die existenzielle Dimension unseres Seins: Durch ihn atmen wir, pulsieren, schwitzen, bluten, erkranken und sterben wir. Der Körper markiert einen Teil unseres Selbst, über den wir nie ganz verfügen. Zugleich ist er das Ergebnis von sozialen und gesellschaftlichen Zuschreibungen, die darüber entscheiden, wer wir sind, wie wir uns sehen und wie wir gelesen werden. Diese Zuschreibungen entscheiden darüber, welchen Status oder welche Rechte eine Person erhält. Über den Körper verlaufen Genderzuweisungen, Machtmechanismen und Ausschlussprozesse. Körper verorten uns somit tief im gesellschaftlichen Gefüge.
Eine kritische Diskussion von Körperlichkeit beginnt, wenn diese Zuschreibungen infrage gestellt und aufgebrochen werden, wenn binäre Logiken nicht mehr aufgehen und die vermeintlich natürliche Veranlagung nicht mehr als Legitimationsgrundlage für Privilegien oder Zugangsmöglichkeiten taugt.
Der Titel Challenge(d) Bodies meint genau dies: Unsere Körper fordern gesellschaftliche Normen heraus und werden von ihnen herausgefordert. Die Künste haben in den vergangenen Jahren viele dieser Herausforderungen öffentlich verhandelt. Dabei wurde und wird auch das Kunst- und Theatersystem selbst herausgefordert – ebenso die Ausbildung. Der Band verbindet Positionen aus allen vier Münchner Ausbildungsinstitutionen und fokussiert dabei drei Themenschwerpunkte: transgressive Körper, Nähe und Distanz sowie Achtsamkeit.
Die Integration unkonventioneller Körper ist Aufgabe und Chance. Wie gehen wir mit nonkonformen, transgressiven Körpern in der künstlerischen Praxis und in der Ausbildung um? Wie wird die Vielfalt von Körpern in den Künsten erlebbar? Wie können Körpernarrative und -zuschreibungen dekonstruiert werden? Und wozu sind Körper abseits normierter Funktionen und Eigenschaften eigentlich fähig?
Nähe und Distanz in alltäglichen und künstlerischen Kommunikationsprozessen
bestimmt unser Denken, Fühlen und Handeln. Grenzen wahrzunehmen, zu kommunizieren und zu respektieren stellt die künstlerische Praxis und die Ausbildung vor Herausforderungen. Wie können Grenzüberschreitungen dort, wo körperliche Nähe und Intimität zur Arbeitspraxis gehören, bemerkt, benannt und verhindert werden?
Der umsichtige Umgang mit Körpern ist nicht nur individuelle Angelegenheit, sondern auch institutionelle Aufgabe. Wie schützen wir uns und unsere Körper im beruflichen Alltag? Welche Achtung bringen wir ihnen entgegen? Wie zollen wir ihnen und den Körpern anderer Respekt – gerade auch dort, wo sie die Bühne betreten, ausgestellt sind oder physische und psychische Erschöpfung drohen?
Das thematische Feld ist weit. Der Band selbst ist heterogen und vielstimmig. Er versammelt wissenschaftliche Beiträge, informierende Artikel, Erfahrungsberichte und Statements sowie Dokumentationen künstlerischer Auseinandersetzungen. Es sind einzelne Schlaglichter auf die Konstitution von Körpern und den Umgang mit ihnen. Zwischen ihnen versucht der Band, einen Raum zu öffnen, der – teils assoziativ – anregen soll, Körperlichkeit kritisch zu reflektieren, neue Fragen aufzuwerfen und neue Praktiken zu erproben. Orientierung mag ein kurzes Glossar zur thematischen Ordnung bieten, das die Beiträge untereinander vernetzt.
Besonderer Dank für die Organisation des Respekttags gilt unter anderem auch Sula Bade, Maria Goeth, Stefan Herfurth, Veronika Jabinger, Christina Lagao, Çağla Şahin und Constanze Sünwoldt sowie allen Mitwirkenden.