Theater der Zeit

Zimbabwe unter Mugabe

Mugabes repressive Kulturpolitik bis zum wirtschaftlichen Zusammenbruch

von Julius Heinicke

Erschienen in: Recherchen 148: Sorge um das Offene – Verhandlungen von Vielfalt im und mit Theater (05/2019)

Assoziationen: Wissenschaft Afrika

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Im Verlauf der 1990er Jahre konnte das wirtschaftliche Debakel Zimbabwes, in welches die Mugabe-Regierung das Land manövriert hatte, kaum noch geleugnet werden. Die mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) geschlossenen Verträge und Strukturanpassungsprogramme entpuppten sich als neokoloniales Desaster, die hohen Gehälter und Pensionen der „Commrades“, ehemaliger Befreiungskämpfer, hochrangiger Militärs und einflussreicher Unterstützer Mugabes und der ZANU-PF, ließen die öffentlichen Kassen zudem ausbluten. 1998 erhielt das National Arts Council Zimbabwes zum letzten Mal Geld von der Regierung, erst 2012 wurden Zahlungen wieder aufgenommen. Im Jahr 2000 startete Mugabe die folgenschwere Landreform, mit welcher die weißen Farmer sukzessive enteignet wurden, worauf die westliche Welt mit harscher Kritik und Bestürzung reagierte, ein Großteil der Bevölkerung dagegen die nun zu erwartende „gerechte“ Verteilung des Landes begrüßte. In diesen turbulenten Jahren initiierte und etablierte der gebürtige, jedoch größtenteils in New York lebende Zimbabwer, Manuel Bagorro, das „Harare International Festival of the Arts“. Die kulturpolitischen Bedeutungen und deren Folgen für die Gesellschaft werden innerhalb dieses kurzen Zeitraums bestechend deutlich.

Kunst und Kultur waren für Mugabe mit Beginn seiner Präsidentschaft 1980 ein hohes und förderwürdiges Gut. So attestiert Jane Plastow in African Theatre and Politics dem Land zu Beginn der 1990er Jahre eine blühende Theaterlandschaft mit mehr als 20 festen Theatergruppen.338 Die Regierung etablierte die „Zimbabwe Association for Community Theatre“, um einerseits der noch aus rhodesischer Zeit stammenden „National Theatre Organisation“ und deren primär den britischen Kanon favorisierenden Repertoire ein Programm entgegenzusetzen, welches den „African Spirit“ repräsentiert und der Nation zu einem neuen, afrikanischen Selbstverständnis verhelfen sollte. Dies spiegelt sich in der Definition von „wahren zimbabwischen“ Performance-Techniken wider, die Samuel Ravengai erläutert:

The performance techniques used to narrate the nation in the authorised version are replete with difficulties. Ngũgĩ wa Mĩriĩ prescribes dance, mime, song, drama and gestures. As an advocate of the authorised version of theatre Ngũgĩ wa Mĩriĩ argues that these performance techniques „point to the only genuine direction for a true Zimbabwean theatre“.339 […] The nativist topology of traditional/western makes ZANU-PF administration hypersensitive to western master narratives. The romantic streak, a tenet of the old negritude, is smuggled back through the back door.340

Gemäß der Polarisierung kolonialer Traditionen sollte Kulturschaffen somit der „neuen“ Politik der Nation nicht nur ein Gewand geben, sondern die Rechtmäßigkeit Mugabes als wahren afrikanischen Präsidenten und die zunehmenden politischen Ressentiments gegen die westliche Welt beglaubigen. In der Gegenüberstellung von afrikanisch-traditioneller und westlich-kolonialer Kultur, die in der Priorisierung bestimmter Theatertechniken ihren Ausdruck findet, wird Kulturschaffen somit eine wirkungsvolle politische Strategie.

In dieser Tradition äußerte Mugabe 1995 auf der internationalen Buchmesse in Harare, dass Homosexualität eine Krankheit des Westens und Schwule schlimmer als Schweine und Hunde seien.341 Das Wettern gegen angebliche Kultureinflüsse des Westens und die Rückbesinnung auf wahre afrikanische Kunsttechniken wurden zur wichtigsten Maßnahme des Präsidenten, die Schuld an der Misere des Landes den Europäern und Nordamerikanern zu geben, was letztlich in der Enteignung der weißen Farmer einen Höhepunkt fand. Kultur wurde zum Spielball einer Politik, die sich im Verlauf der ersten Amtsjahre radikal änderte: Zunächst war es Mugabes Ansinnen, eine friedliche und alle Bevölkerungsgruppen des Landes verbindende Politik zu etablieren. Doch mit den ausbleibenden Erfolgen und dem Wirtschaftsdesaster radikalisierte er sich und erschuf die westliche Welt als Feindbild, dem er wiederum mithilfe seiner kulturpolitischen Agenda zum Leben verhalf.342

Bemerkenswert hieran ist die Bedeutsamkeit von Kultur sowohl für die Durchsetzung als auch die Beglaubigung von politischen (auch sich in relativ kurzer Zeit wandelnden) Strategien. Denn mit der Berufung auf afrikanische Traditionen verlieh Mugabe seiner neuen anti-westlichen Ausrichtung die Rechtmäßigkeit, allein die Ziele eines wahren afrikanischen „Spirits“ zu verfolgen. Afrikanische Kultur wird hier als etwas Natürliches, immer schon „Dagewesenes“ dargestellt, was jedoch von den Kolonisatoren zerstört und unterdrückt wurde und nun mit der Politik wieder in den Kanon zurückgeholt wird. Absurderweise wird in dieser Argumentation Kultur als etwas „Festes“ und „Beständiges“ dargestellt, obwohl auch in präkolonialer Zeit afrikanische Kulturen ständigen Wandlungsprozessen unterlagen. Dieses Vorhaben, eine bestimmte Kultur als naturgegeben zu setzen, diskutiert Christina von Braun in ihrer jüngsten Publikation Blutsbande343anhand des wandelnden Verständnisses von Geschlecht und Gender:

Dennoch ist unbestreitbar, dass sich derzeit auf der Ebene von biologischem Geschlecht wie von Gender (der sozialen Konstruktion von Geschlecht) eine tiefgehende Umwälzung vollzieht. Die Änderung brachte überhaupt erst die Erkenntnis, dass die ‚Natur‘ schon immer die Verkleidung der Kultur war. Eben diese erklärt die hohe Emotionalität, mit der über den Wandel der Geschlechterordnung debattiert wird. Wenn sich sogenannte Naturgesetze als Glaubenssätze erweisen, so rührt dies an existenzielle Bedingungen, die nicht nur das Geschlecht des Einzelnen, sondern auch andere Kategorien angehen und die Gemeinschaft überhaupt in Frage stellen. Hierin liegt die Gemeinsamkeit von Homophobie, Antifeminismus, Antisemitismus, Rassismus und Xenophobie: Alle haben einen ‚Fremdkörper‘ im Visier, der einerseits gehasst, andererseits aber auch zur Vergewisserung der eigenen Norm gebraucht wird.344

Ähnlich wie es die Kolonisten hinsichtlich westlicher Normen vorgespielt haben, erklärte das Mugabe-Regime ab den 1990er Jahren traditionell-afrikanische Normen und Werte zu den „natürlichen“ und die westliche Welt zum Fremdkörper der Nation. Kultur wurde zur Legitimation dieser extremen Politik gebraucht und Kunstschaffen – so zeigen es die Äußerungen von Mugabes Kulturadvokat Ngũgĩ wa Mĩriĩ – diente nicht nur zur ästhetischen Kreation von Erfahrungsräumen, in welchen jene erlebt werden konnte, sondern mit der Rückkopplung an den traditionellen „African Spirit“ avancierte diese zur Technik der Selbstvergewisserung von Mugabes Nationskonzept schlechthin. In diesem Wechselspiel von Kultur und Politik, in welchem Erstere Letzterer einen Anstrich von Naturgegebenheit verleiht, verdeutlicht sich eine ungeheure Wirkungsmacht von Kulturpolitik.

338Plastow: African Theatre and Politics, S. 240 – 241.

339ũgĩ wa Mĩriĩ: „People’s Theatre“, in: Chifunyise, Stephen/Kavanagh, Robert Mshengu (Hg.): Zimbabwe Theatre Report I, Harare 1988, S. 40.

340Ravengai, Samuel: „Political Theatre, National Identity and Political Control: The Case of Zimbabwe“, in: African Identities 2010, 8 (2), S. 170.

341Shaw, Drew: „Queer Inclinations and Representations: Dambudzo Marechera and Zimbabwean Literature“, in; Veit-Wild, Flora/Naguschewski, Dirk (Hg,): Body, Sexuality and Gender: Versions and Subversions in African Literatures, Amsterdam 2005, S. 90.

342Diesen politischen Wandlungsprozess Mugabes stellt die Journalistin Heidi Holland, die Mugabe mehrfach als Befreiungskämpfer und später als Präsident interviewt hat, dar. Holland, Heidi: Dinner with Mugabe, Johannesburg 2008.

343Braun, Christina von: Blutsbande: Verwandtschaft als Kulturgeschichte, Berlin 2018.

344Ebd., S. 12 – 13.

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