Theater der Zeit

Auftritt

Volksoper Wien: Der böse Gustav

„Alma“ von Ella Milch-Sheriff (UA) – Regie Ruth Brauer-Kvam, Musikalische Leitung Omer Meir Wellber, Libretto Ido Ricklin, Bühne Falko Herold, Kostüme Alfred Mayerhofer

von Alexander Keuk

Assoziationen: Theaterkritiken Österreich Musiktheater Volksoper Wien

Annette Dasch als Alma Mahler-Gropius-Werfel und Annelie Sophie Müller als Anna, Tochter von Mahler in „Alma“ von Ella Milch-Sheriff  an der Volksoper Wien. Foto Barbara Pálffy/Volksoper Wien
Annette Dasch als Alma Mahler-Gropius-Werfel und Annelie Sophie Müller als Anna, Tochter von Mahler in „Alma“ von Ella Milch-Sheriff an der Volksoper WienFoto: Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Tatsächlich, eine Oper über Alma Mahler-Gropius-Werfel (Schindler) hat es noch nicht gegeben, und schon ihre volle Namensnennung weist ja darauf hin, dass es hier einiges zu erzählen gibt. Im korrekten Wikipedia-Stil wird sie übrigens nicht beruflich als Künstlerin oder Komponistin bezeichnet, sondern als Persönlichkeit. Der Kontext und die Definition ihres Lebens erfolgten zeitlebens und auch heute über ihre künstlerisch tätigen Ehemänner, Affären und eine Schar von Freunden – und ausgerechnet bei ihr würde das heute gängige Wort der „Follower“ am besten passen. Almas Leben ist ohne „die Anderen“ nicht denkbar, und doch hielt sie die meiste Zeit dafür die Zügel in der Hand – umkreist wie ein Fixstern als Schülerin, Ehefrau, Mutter, Witwe, Gesellschafterin und auch als Geliebte oder Vernachlässigte. Was liegt da näher als dieser überdies der Musik stets affinen, komplexen Frauenfigur ein Theaterdasein in einer Oper zu schenken? Die israelische Komponistin Ella Milch-Sheriff (geboren 1954) hat sich gemeinsam mit dem Librettisten Ido Ricklin auf die Reise gemacht, herausgekommen ist ein am 26. Oktober uraufgeführter Fünfakter für die Wiener Volksoper, der laut Milch-Sheriff „mit Legenden aufräumen will“, aber an genau diesen Ansprüchen ziemlich scheitert, da sie Almas Biografie aus ihrem früh aufgegebenen Künstlerdasein erklären will.  

Almas intensiv gelebtes Leben in den Kreisen der Kunst innerhalb der Zeitenwende zwischen Habsburgerreich und zwei Weltkriegen legitimiert eine künstlerisch-theatralische Betrachtung, doch eine Oper aus dieser Biografie zu machen – und da bin ich unsicher, ob die Beteiligten sich dies im Vorhinein so bewusst gemacht haben – bedeutet eben auch die Inszenierung einer Inszenierung. Kaum eine andere Persönlichkeit wusste es so geschickt wie später ungeschickt, sich oder ihre Kinder, die sie zum Teil selbst als gesellschaftliche Kunstfiguren betrachtete, in Szene zu setzen, opportunistisch zu agieren und sogar Betrug und Lüge zu ihrer Gunst einzusetzen.

Insofern würde ich mich als Librettist eines solchen Stoffes verweigern, es sei denn, es wird eine künstlerisch-abstrakte Ebene erreicht, auf der man sich diesem unglaublichen Leben offen annähern kann; das wurde aber hier zugunsten eines patchworkartigen, mit reichlich Zitaten aus verschiedenen ungenannten biografischen Quellen aufgepeppten und chronologisch rückwärts ausgebreiteten Nacherzählens – auch unter Auslassung verschiedener Lebensphasen von Alma – nicht angeboten. Dabei hätte man nur bei Hofmannsthal nachlesen müssen, wie man etwa mit Stimmen ungeborener Kinder umgehen kann … 

Damit nicht genug windet sich diese Oper über das auch visuell bis zum Auftritt eines im Koloratursopran singenden Fötus exzessartig ausgebreitete Mutter-Thema zurück zur braven, unschuldigen Alma Schindler und erklärt den bösen Gustav, der ihr das Komponieren verbietet, schließlich im Chor der krank oder ungeboren verstorbenen Kinder zum Erzeuger allen Übels. So collageartig, wie Milch-Sheriffs handwerklich sehr saubere, aber in Collagen vom Heurigenlied bis zum Mahler-Zitat sehr unpersönlich erstarrte Musik daherkommt, geht es auch auf der Bühne zu. Regisseurin Ruth Bauer-Kvam lässt in der Atelier-Bühne von Falko Herold mal einen Flügel, auf dem Alma wahlweise thront oder betrunken dämmert, oder einen Todeszug auf Schienen hereinfahren, das ist bildmächtig und auch in den Details, Gesten und quasi eingefrorener Szene mit einem stummen Mahler-Orchester sehr intelligent gemacht. 

Geboren, gestorben und kopuliert wird eigentlich ständig, so dass man am Ende der tapferen Annette Dasch (Alma), die sich in den fünf Akten in der Hauptrolle von der alkoholisierten Witwe bis hin zur Alma Schindler hin verjüngen muss, nur höchsten Respekt aufgrund ihrer sängerisch wie darstellerisch intensiven Umsetzung dieser Rolle zollen muss. Von den Kindern wird einzig der real auch überlebenden Tochter Anna Mahler (Annelie Sophie Müller jederzeit stimmfüllig und glaubhaft agierend) eine zeitlose Rolle der Erzählerin zugeordnet. Der Chor skandiert wahlweise „Skandal!“ und „Ein Notfall!“, weil es ja auch einen Chor geben muss – selten war das so überflüssig wie hier.

Ansonsten schwirrt man rückwärts durch die Affären und Beziehungen, ohne wirklich daraus etwas mitzunehmen, es sei denn man ist Erstbesucher im Fall Alma, dann öffnet sich natürlich eine opulent-gewaltige und gewalttätige Welt. Die Schlaglichter etwa auf den hier ausschließlich wahnhaft gezeichneten Maler Kokoschka (Martin Winkler) oder den wegschwebend-despotischen Komponisten Mahler (Josef Wagner) greifen zu kurz, um in eine Tiefe zu gehen, womit man ohnehin eine Heerschar an Psychologen beschäftigen könnte. Immerhin zeigen die besudelten Anzüge eine Herrenwelt, dass die keinesfalls „sauber“ daherkommt. Walter Gropius (Florian Hurler) wird gleich als Tänzer dargestellt und landet damit in einer dem Bauhaus gewidmeten, eher abstrakten Episode, was auch die Musik aufnimmt.

Die Komponistin bietet dann einfache Lösungen und Botschaften im – auch musikalisch schwächeren – zweiten Teil der Oper an: „Das ist nicht, was ich hätte sein können“, lamentiert Alma in einer von Streichern begleiteten Opferarie, mehr noch: „Ihr habt mich getötet“, singt sie ihren künftigen Kindern und Gatten entgegen, nachdem vorher schon aus dem Orchestergraben „Erbarme Dich“ von Johann Sebastian Bach, Mozart und mehr erklang. Damit erreicht die eigentlich bis dahin effektvoll aufgeblasene Inszenierung einer sich selbst schon überreich in Szene gesetzten Dame der Wiener Gesellschaft eine reichlich schräge Bedeutungsebene und endet in dieser Plattheit, obwohl das zuvor auf der Bühne platzierte Familienfoto einen offeneren, intensiveren Schluss ergeben hätte.Mit großem Jubel wurde das Solistenensemble bedacht, bei dem neben Annette Dasch auch Lauren Urquhart (Manon), Christopher Ainslie (Martin) und Hila Baggio (Das Ungeborene) großartige sängerische Leistungen zeigten, und am Pult des Orchesters der Volksoper Wien zeigte der bereits nach Hamburg gewechselte Omer Meir Wellber noch einmal vollen Einsatz und beförderte gleich beim ersten Erklingen eine reichlich temperamentvolle Lesart der bunten Partitur von Milch-Sheriff. Auch das Regieteam bekam eine überwiegend positive Resonanz vom Wiener Premierenpublikum. Ob solch einem Biopic-Musiktheater ein langes Leben beschieden ist, hängt sicher von der jeweiligen Lesart ab, an Material ist dieser Stoff jedenfalls nicht arm und wird sicher noch oft erzählt werden.

Erschienen am 4.11.2024

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