Bertolt Brecht ist zweifellos als eine der Leitfiguren der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts anzusehen. Die Rezeptionsgeschichte von Brechts Werken und Ideen hat ihre Höhepunkte besonders in dieser Zeit. Dementsprechend stellen Literatur- bzw. Kulturwissenschaftler gegen Ende der 1950er Jahre in Deutschland einen Paradigmenwechsel fest. Anstelle der Poetik von Gottfried Benn mit ihrer selbstgenügsamen Schönheit treten brechtsche Ideale der realitätsbezogenen, politisch engagierten Kunst.1 Der starke Einfluss von Brecht findet sich jedoch nicht nur im Drama, sondern auch im Film, besonders im Autorenfilm der 1960er Jahre.
Im Jahr 1960 wurde eine der wirkmächtigsten Ausgaben der Cahiers du cinéma veröffentlicht: die Sonderausgabe zu Bertolt Brecht. Mit dieser Ausgabe beginnt die einflussreiche Wirkung der brechtschen Theatertheorie auf den Autorenfilm der 1960er Jahre, zu deren Beispielen insbesondere die Werke Jean-Luc Godards, Alexander Kluges, Volker Schlöndorffs und Rainer Werner Fassbinders gehören.2 Die deutschen Regisseure der 1960er Jahre, die 1962 im Oberhausener Manifest das Ende des alten Films und die Erneuerung der Filmkunst in Deutschland als Ziel verkündet haben, sind stark beeinflusst von den theatertheoretischen Schriften Brechts.3 In den politisierten, unruhigen 1960er Jahren beginnt auch der Schaffensweg von Alexander Kluge. Die Beschäftigung mit den Ideen von Brecht, spezifisch der Theorie des epischen Theaters, spiegelt...