Theater der Zeit

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Auftritt

Bayreuther Festspiele: Geretteter Wagner

„Tristan und Isolde“ von Richard Wagner – Regie Thorleifur Örn Arnarsson, Musikalische Leitung Semyon Bychkov, Bühne Vytautas Narbutas, Kostüme Sibylle Wallum, Chöre Eberhard Friedrich

von Teresa Pieschacón Raphael

Assoziationen: Musiktheater Theaterkritiken Thorleifur Örn Arnasson Bayreuther Festspiele

Christa Mayer als Brangäne und Camilla Nylund als Isolde in „Tristan und Isolde“ in der Regie von Thorleifur Örn Arnarsson bei den Bayreuther Festspielen. Foto Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
Christa Mayer als Brangäne und Camilla Nylund als Isolde in „Tristan und Isolde“ in der Regie von Thorleifur Örn Arnarsson bei den Bayreuther FestspielenFoto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

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Kaum hatte Claudia Roth ihren Platz in der Loge eingenommen, begann die Oper vor der Oper. Ganz nach der Devise von Premieren-Gast Roberto Blanco („Ein bisschen Spaß muss sein“) stimmten ein paar Spaßvögel zwei Reihen davor im Parkett den „Abendsegen“ aus Engelbert Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“ an – in Anspielung auf Roths Aussage wenige Tage zuvor, auch diesen Komponisten bei den Bayreuther Festspielen aufzuführen, um die Veranstaltung „bunter und diverser“ sowie attraktiver für ein jüngeres Publikum zu gestalten. „Ein bisschen Getöse in Bayreuth gehört einfach dazu, und dieses Mal war es die Politik, die es verursacht hat“, befand Bayerns Kunstminister Markus Blume (CSU).
Zurück auf die Musikbühne. Hier spielte eindeutig die Musik die Hauptrolle, fast fünf Stunden lang. Und ja, das war musikalisch schwere Kost mit dürrer „Handlung“, drei Schauplätzen und wenig Bühnenpersonal, die mitunter an die Grenzen brachte. „Dieser Tristan wird etwas furchtbares“, schrieb Wagner noch während der Arbeit an der Oper. „Ich fürchte die Oper wird verboten – falls durch schlechte Aufführung nicht das Ganze parodirt wird –: nur mittelmässige Aufführungen können mich retten! Vollständig gute müssen die Leute verrückt machen.“

Eine Parodie wurde die Premiere in Bayreuth nicht, verrückt wurde leider aber auch keiner. Bereits zu Beginn des Ersten Aufzugs hob „Langsam und schmachtend“ das Orchester an, quälend langsam, möchte man meinen, weil Dirigent Semyon Bychkov die Pausen nicht zum Klingen brachte. Ekstase fühlt sich anders an. Auch auf der Bühne passierte in der Inszenierung von Thorleifur Örn Arnarsson nicht weiter viel, die Bühnenbilder Vytautas Narbutas waren relativ statisch: ein Schiffsrumpf, der von Aufzug zu Aufzug allmählich in Fragmente zum Wrack zerfiel. Ab dem zweiten Akt war er vollgestellt mit Gerümpel aus dem Theaterfundus. Sollte dies das Schiff sein, mit dem Tristan Isolde aus Irland nach Cornwall bringt, um dort König Marke zu heiraten? Oder das Schiff des Lebens, der Sehnsucht, wie ein Caspar-David-Friedrich-Gemälde andeutete? „Es ist ein Raum der Erinnerungen und gleichzeitig ein Albtraum, den Tristan und Isolde durchlaufen“, erläuterte Arnarsson vor der Presse seine Inszenierung. Während sich das todessehnsüchtige Liebespaar Tristan und Isolde (Andreas Schager und Camilla Nylund) laut Partitur und über gefühlte Ewigkeiten hinweg ekstatisch sich seiner grenzenlosen immerwährenden Liebe bis über den Tod hinaus versicherte, wirkte es auf der Bühne körperlich seltsam erstarrt, blass und antriebslos. Arnarssons Personenregie war mager, die Figuren fanden keinen Bezug zueinander und schienen schon tot, bevor sie es tatsächlich waren. Einzig Isolde auf dem Schiffsdeck notierte auf die Schleppe ihres überwallenden, überdimensionalen weißen Hochzeitskleides (Kostüme Sybille Wallum) ein paar Worte. Zitate, wie manche aus der vorderen Reihe meinten, aus Wagners Libretto. „Sie ist gefangen in ihrem Brautkleid“, sagte Arnarsson in der Pressekonferenz, „dieser brutale Schmerz ist unbegreiflich“. Immerhin übernahm das Kleid quasi leitmotivische Funktionen, taucht in allen Akten auf, mal wurde es von Tristan aus einer Kiste gezogen, ließ sich das Paar dort zur trauten Zweisamkeit nieder. Doch bis dahin dümpelte das Drama im Halbdunkel so vor sich hin, ohne Gemetzel, denn auch Melot bleibt im zweiten Akt erschöpft sitzen, statt Tristans Aufforderung „Wehr dich!“ zu folgen. Mit phänomenal kraftvollem Heldentenor stand Andreas Schager als Tristan diese mörderische Partie bis zum letzten Akt durch, die dem ersten Tristan-Darsteller Ludwig Schnorr von Carolsfeld 1865 der Legende nach zum Verhängnis wurde: Sechs Wochen nach der Premiere des Tristan und drei Aufführungen später starb Schnorr mit gerade erst 29 Jahren.

Gefährdet war in der jetzigen Premiere eher Camilla Nylunds sensible Darstellung der Isolde. Denn Andreas Schagers Testosteron-Tenorwucht drohte ihren zarten, sehr beseelten Gesang zu unterdrücken. Dennoch: Nylunds Technik war so perfekt, dass sie noch im Pianissimo bis in die letzte Reihe zu hören war. Eine große Interpretin! Schade nur, dass es an ihrer Textverständlichkeit haperte. Christa Mayer wiederum war mit ihrer warmen Stimme eine souveräne Brangäne. Ólafur Sigurdarson, der den Kurwenal mimte, klang etwas forciert und angestrengt. Aufhorchen ließ gleich zu Beginn der berückend lyrische Gesang von Matthew Newlin als Junger Seemann. Günther Groissböck als König Marke wurde zu Unrecht ausgebuht, obwohl er sich emotional sehr ins Zeug legte. Auch Birger Radde überzeugte als geschmeidiger Melot.
Massiv war allerdings der Sicherheitsaufwand, Polizei wo man hinsah, wiederholte Ausweis- und Taschenkontrollen und dies, ohne dass der amtierende Kanzler oder die Ex-Kanzlerin da waren. Stattdessen die Ministerpräsidenten von Bayern und Sachsen-Anhalt. 

Fazit: eine mittelmäßige Aufführung. Niemand wurde verrückt. Es gab keinen Aufreger, keinen Glamour. Das Schiff zerfiel. Doch Wagner wurde gerettet!

Erschienen am 29.7.2024

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