Editorial
Editorial
von Christina Röfer und Annika Gloystein
Erschienen in: double 43: Barrieren | frei – Zugänge zum Figurentheater (04/2021)
Assoziationen: Puppen-, Figuren- & Objekttheater
Barrieren-frei – gibt es doch gar nicht! Stimmt: Weder sprachlich – im Singular kennen wir den Begriff aus einem inklusiven Kontext – noch inhaltlich – denn was ist wirklich frei von Hindernissen und zugänglich für alle? Die Utopie in unserer Wortneuschöpfung versucht sich die Tatsache zu vergegenwärtigen, dass es so vielfältige Hindernisse gibt wie Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Der erste Schritt zu weniger Barrieren ist, diese als solche zu erkennen. Denn erst die bewusste Wahrnehmung von Hindernissen ermöglicht, sie gezielt abzubauen und produktiv in Zugänge zu verwandeln. Das Heft verortet Barrieren in verschiedenen Kontexten – etwa gesellschaftlich, ästhetisch oder infrastrukturell – und macht deutlich, dass das Figurentheater in besonderer Weise Perspektiven zur Überwindung derartiger Hürden eröffnen kann.
Mascha Erbelding zeigt in ihrem Ausflug in die Historie des Puppentheaters auf, wie sich die Selbstverortung und damit die Zugänglichkeit des Genres im Laufe der Zeit gewandelt hat. Dass ein Angebot an kultureller Bildung mitunter andere Wege nehmen kann als gewünscht, und welche Schlüsse sich daraus ziehen lassen, beschreibt André Studt. Aus einer Doppelperspektive stellt Valeska Klug Überlegungen zu einem gelingend(er)en Zugang zu Kunstförderung an, während Kathi Loch anhand des Umzugs der Puppentheatersammlung Dresden beschreibt, welchen Herausforderungen das (abgespielte) Figurentheater im Museum begegnet.
Das Gespräch mit den Beteiligten vom benachbarten tjg. Dresden macht deutlich, dass inklusive Angebote wie Gebärdensprachdolmetschung und Live-Audiodeskription mit großer Selbstverständlichkeit im Theater Einzug halten können. Wie Förderschüler*innen selbst Theater produzieren, erzählt Carlos Malmedy als Leiter des Schattentheaters der Levana-Schule Schweich.
Direkt im Anschluss an den Thementeil schildert Emma Fisher in ihrem englischsprachigen Essay, wie ihr durch das Puppenspiel die eigene körperliche Behinderung auf besondere Weise bewusst wurde und dass sie seitdem nicht nur ästhetische, sondern auch gesellschaftspolitische Handlungsmacht daraus ableitet.
Auch in weiteren Artikeln klingt das Thema dieser Ausgabe immer wieder an: Unsere Autor*innen fragen mit Blick auf den 9. double-Diskurs sowie einen Puppen-Podcast, wie wir eigentlich über Figurentheater sprechen und es damit greif- und sichtbarer machen können. Welchen Herausforderungen Festivalmacher*innen 2020 in Corona-Zeiten begegneten, davon zeugen die Artikel zu den Festivals in München und Berlin.
Über die Landesgrenzen hinaus blicken wir zudem auf politisches Puppenspiel in der Ukraine und auf spielerische Filmtutorials aus Israel; im Schweizer Fenster geht es unter anderem um eine Website, die die Schweizer Figurentheaterszene neu vernetzen will.
Eine anregende Lektüre wünschen
Annika Gloystein und Christina Röfer
BARRIERS|FREE Access to figure theatre Barriers-free – doesn't exist! That's right. Neither linguistically (in the singular we know the term in an inclusive context), nor in terms of content. For in life, what is really free of barriers and accessible to all? The utopia in our neologism tries to visualize the fact that there are as many different barriers as there are people with different needs. The first step to fewer barriers is to recognize them as such. For it is only the conscious perception of obstacles that makes it possible to selectively overcome them and transform them into productive accessible opportunities. This edition pins down barriers in various contexts (for example, social, aesthetic, or infrastructural), and makes clear that puppet theatre can offer perspectives for overcoming such hurdles in its own specific way.