Gunnar Decker: Herr Latchinian, Herr Walburg, wir wollen mit Ihnen über die Frage sprechen: Wozu Theater in dürftiger Zeit, und wie sollte dieses aussehen? In Rostock lautet das Motto des Spielzeitbeginns „Toleranz“ – das klingt für mich geradezu nach einem Hilferuf. In Hannover gibt es kein Motto, aber Sie eröffnen mit Heiner Müllers „Der Auftrag“, das ist ja auch ein Fingerzeig.
Sewan Latchinian: Es ist uns ein dringendes Anliegen, dass in der Stadt der Begriff der Toleranz thematisiert wird. Seit der Pegida-Bewegung, die auch versucht hat, in Mecklenburg-Vorpommern Fuß zu fassen, als Rogida und MVgida, hatten wir den Plan, unbedingt „Nathan der Weise“ zu machen. Dass wir uns dem Thema Toleranz zuwenden, hat zudem damit zu tun, dass wir als Theater, ich will nicht sagen: um Toleranz bitten, aber Toleranz fordern müssen, weil wir als Theater auch bedroht sind.
Lars-Ole Walburg: Uns beschäftigt im Moment sehr stark die Frage, was für einen Auftrag wir mit unserer Kunst überhaupt haben. Wer gibt ihn uns, existiert er überhaupt? Dass wir in dieser Situation in Koproduktion mit den Ruhrfestspielen mit Heiner Müllers „Auftrag“ starten, finde ich besonders wichtig. Da wird in einem dialektischen Sinne gefragt: Wo stehen wir eigentlich?
Decker: Bei Müller zeigt...