Theater der Zeit

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Auftritt

Radialsystem Berlin: Programmieren und Pumpen

„Sweat. Songs of Push and Pull“ von Daniel Wetzel (Rimini Protokoll) und Team – Konzept, Text und Regie Daniel Wetzel, Konzept, Text und Dramaturgie Arved Schultze und Erik Veenstra, Sound Design und Programming Fabian Tombers, Szenografie Lena Lupo Loy, Videodesign abraso

von Thomas Irmer

Assoziationen: Berlin Freie Szene Theaterkritiken Rimini Protokoll Radialsystem

„Sweat. Songs of Push and Pull“ von Daniel Wetzel (Rimini Protokoll) im Radial system Berlin. Foto Lilli Kuschel
„Sweat. Songs of Push and Pull“ von Daniel Wetzel (Rimini Protokoll) im Radial system BerlinFoto: Lilli Kuschel

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Auch im Sport gibt es kulturellen Wandel, der sich sprachlich ausdrückt: Was vor einigen Jahren noch Fitness-Center, vulgo Mucki-Bude, genannt wurde, wird heute allgemein als Gym bezeichnet. Gyms sind wie Clubs zu sozialen Orten der Begegnung und Teilhabe geworden, auch wenn sie in erster Linie der (Selbst-)Ertüchtigung dienen. Und mit diesem Begriff wird die Sache sogar noch unschärfer: Geht es um Kraftsport, Bodybuilding, optische Körperoptimierung, Fitness oder Lifestyle? Die Grenzen zwischen den Motivationen von Gym-Abonnent:innen sind fließend, vielleicht in der jeweiligen Benutzung einzelner Geräte sogar fluid.

Mit diesen wie Hantelbank und Rudermaschine hat Daniel Wetzel von Rimini Protokoll nun ein – Achtung! – „Musclical“ unter dem Titel „Push and Pull“ erzeugt, in dem die Geräte in einer ziemlich komplizierten Technik zu körperlich zu steuernden Soundprozessoren werden. Mit der Ruderbank zum Beispiel, die im Zentrum des Bühnenaufbaus im Berliner Radialsystem steht, lassen sich Harfenklänge in der Tonhöhe steuern – je länger der Rollsitz auf der Ruderbank gezogen wird, desto höher reichen die Töne. Da das natürlich selbst noch keine Musik ergibt, ist Fabian Tombers, den Daniel Wetzel bei der Premiere als „digital conductor“ vorstellte, als Live-Programmierer wahrscheinlich der wichtigste Künstler dieser Unternehmung, was die akustische Seite angeht. Insgesamt neun Tracks werden aufgeführt bzw. mit dieser Technik von den Geräte-Performer:innen live ergänzt, musikalisch irgendwo zwischen Post-Kraftwerk und rasselrhythmischem Techno durchaus das, was man sich zu diesen überwiegend aus Metall bestehenden Maschinen vorstellt. Dazu gibt es ein paar projizierte Bilder aus der Geschichte dieser Geräte, die seit dem 19. Jahrhundert für das gezielte Training einzelner Muskelpartien immer weiter verfeinert wurden.

Eine musikalische Ausnahme stellt Wetzels Franz-Schubert-Parodie dar, in der ein „Hantelmann“ statt des „Leiermanns“ traurig angesungen wird, wunderbar performed von Öz Kaveller. Was die performative Version von „Sweat“ angeht, ist es schon richtig, das nur als Konzert und nichts mehr zu bezeichnen.

Denn es gibt im gleichen Setting noch die Installationsvariante „Sweat Machines“ als „acoustic playground“ für Publikum, und die ist schon viel mehr das, was man als Rimini-typische spielerische Umkreisung des Themas Gym, Körper und Gesellschaft erwartet. Die einzelnen Geräte können hier, unter Anleitung zweier Trainerinnen, selbst benutzt werden, zur Sounderzeugung ebenso wie zur Informationsaufnahme.

Hier kann man zum Beispiel etwas über das Leben von Bea erfahren, die eindeutig zur Bodybuilder-Szene gehört. Nebenbei aber auch über die Veränderungen auf diesem Gebiet, als ab den späten 1970er Jahren weibliche Akteurinnen die absolute Dominanz von Show-Muskelprotzen wie Arnold Schwarzenegger beendeten. Bea, die an der Kasse im Berghain arbeitet, gehörte zu den Vorreiterinnen, und sie auf einem laminierten Infoblatt an dem Gerät kennenzulernen, an dem die schwersten Gewichte fürs Bankdrücken aufmontiert werden, ist durchaus stimmig. Beas Porträtbild zeigt, dass die Szene von Extrem-Bodybuilding auch in Zeiten fortgeschrittener Körpermodifikationen etwas sehr Spezielles geblieben ist, zumal die dafür nötigen Muskelaufbaupräparate gemeinhin als Doping gelten – und der Abstand zur allgemeinen Gym-Ertüchtigung doch recht groß ist.

Der Selbstbeteiligungsparcours, der u.a. an kleineren Kultureinrichtungen im brandenburgischen Biesenthal und Luckenwalde entwickelt wurde, bietet wie das „Musclical“ eine Anregung, sich das weite Feld der Gym-Aktivitäten einmal mit anderen Augen anzuschauen. Das wird je nach kulturellem Horizont sehr verschieden ausfallen.

Erschienen am 11.8.2025

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