Theater der Zeit

Gespräch

Die Zeit ist reif für Veränderungen: Wolokolamsker Chaussee

Michael Gwisdek, Dieter Montag und Hermann Beyer im Gespräch

von Hermann Beyer, Thomas Wieck, Dieter Montag und Michael Gwisdek

Erschienen in: Recherchen 169: Wir waren die Müller-Spieler – Hermann Beyer, Michael Gwisdek, Dieter Montag über die Kunst des Schauspielens in der DDR (01/2024)

Assoziationen: Volksbühne Berlin

Müller verabschiedete sich mit seiner Macbeth-Inszenierung praktisch von der Volksbühne.1 Er begann die theatralen Zurichtungen von Bob Wilson zu sondieren, schienen sie ihm doch mit der im epischen Theater angestrebten »Trennung der theatralischen Elemente« zu korrespondieren. Tatsächlich handelte es sich aber um Spätformen der theaterexpressionistischen Versuche, wie sie Kandinsky vorbildlich und systematisch in seinem Text Über Bühnenkomposition schon 1912 dargelegt hatte. Entgegen allen zeitweiligen Versicherns Müllers waren die Inszenierungen Wilsons unvereinbar mit dem epischen Theater.2 Eine konzise Beschreibung der frühen Inszenierungen Wilsons, die in Europas postmodernistisch sich wandelnder Kunstszene emphatisch begrüßt wurden, deckt das Geheimnis des Erfolgs auf:

Sie [die Darsteller; ThW] sind in Kästen aus Licht gefangen, die Lichteffekte streichen die Menschen gleichsam durch – sie werden »ausgemacht«. Das Element des Statischen überwiegt, Zeit wird eingefroren in Zeitlupe, Landschaft wird bewußt als Kulisse gesehen. Die gesamte Bildsprache dieser Inszenierung zitiert bestimmte Tendenzen der modernen Kunst – von Magritte bis Duane Hanson, von Christo bis Kienholz. Es ist eine Kunst der Bewegungslosigkeit, ihrerseits bereits Zitat. Und was sie mitteilt, ist die Lakonie: Menschen haben nichts miteinander zu tun. […] Leben ist eigentlich nur eine zellenbewegte Vorform von Tod. Ohne Zeit, ohne Prozeß, ohne Entwicklung. Zum chromblitzenden Boutiquen-Chic...

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