Gunnar Decker: Wir wollen mit Ihnen über den Stellenwert des Theaters in der Gesellschaft und Ihr künstlerisches Selbstverständnis als Theaterleiter sprechen, kurz nach den Wahlen in Sachsen und Brandenburg. Es ist eine Frist von fünf Jahren, die das Wahlergebnis den regierenden Parteien verschafft hat, um den Riss in der Gesellschaft zu heilen. Aber zunächst stellt sich die Frage: Ist der Osten tatsächlich das unbekannte Wesen, als das er uns in den Medien immer präsentiert wird? Herr Mensching, Sie haben in einer Intendanten-Umfrage des MDR von „Blindwut“, „Respektlosigkeit“ und „Verlust an Dialogfähigkeit“ gesprochen – meinen Sie damit nur den Osten, und was sind die Ursachen dieser Krise in der Gesellschaft?
Steffen Mensching: Ich kann mit der Zuschreibung, dass es sich um ein ostdeutsches Problem handele, nicht viel anfangen. Man müsste sicher spezifizieren, warum die Probleme, die in der Gesellschaft auftreten, im Osten vielleicht radikaler zutage treten, aber die Phänomene sind nicht nur ostdeutsch, auch nicht nur deutsch. Auch finde ich den Begriff des Heilens falsch. Es gibt keinen Krankheitsfall. Es geht vielmehr um den Zustand eines Gesellschaftsmodells, das kapitalistische Demokratie heißt. Warum sind solche Entwicklungen möglich? Ist die Klasse der Besitzenden gar nicht mehr an diesem Gesellschaftsmodell interessiert? Hat sich dieses...