Theater der Zeit

Thema

Nicht das Tischtuch zerschneiden

Die Wahlen und ihre Folgen – Die Intendanten Bettina Jahnke (Potsdam), Roland May (Plauen-Zwickau) und Steffen Mensching (Rudolstadt) im Gespräch mit Gunnar Decker und Dorte Lena Eilers

von Roland May, Bettina Jahnke, Dorte Lena Eilers, Gunnar Decker und Steffen Mensching

Erschienen in: Theater der Zeit: Deutsche Zustände – Intendanten über ein neues politisches Selbstverständnis (10/2019)

Assoziationen: Thüringen Sachsen Brandenburg Hans Otto Theater Theater Plauen-Zwickau Theater Rudolstadt

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Gunnar Decker: Wir wollen mit Ihnen über den Stellenwert des Theaters in der Gesellschaft und Ihr künstlerisches Selbstverständnis als Theaterleiter sprechen, kurz nach den Wahlen in Sachsen und Brandenburg. Es ist eine Frist von fünf Jahren, die das Wahlergebnis den regierenden Parteien verschafft hat, um den Riss in der Gesellschaft zu heilen. Aber zunächst stellt sich die Frage: Ist der Osten tatsächlich das unbekannte Wesen, als das er uns in den Medien immer präsentiert wird? Herr Mensching, Sie haben in einer Intendanten-Umfrage des MDR von „Blindwut“, „Respektlosigkeit“ und „Verlust an Dialogfähigkeit“ gesprochen – meinen Sie damit nur den Osten, und was sind die Ur­sachen dieser Krise in der Gesellschaft?
Steffen Mensching: Ich kann mit der Zuschreibung, dass es sich um ein ostdeutsches Problem handele, nicht viel anfangen. Man müsste sicher spezifizieren, warum die Probleme, die in der ­Gesellschaft auftreten, im Osten vielleicht radikaler zutage treten, aber die Phänomene sind nicht nur ostdeutsch, auch nicht nur deutsch. Auch finde ich den Begriff des Heilens falsch. Es gibt keinen Krankheitsfall. Es geht vielmehr um den Zustand eines Gesellschaftsmodells, das kapitalistische Demokratie heißt. Warum sind solche Entwicklungen möglich? Ist die Klasse der Besitzenden gar nicht mehr an diesem Gesellschaftsmodell interessiert? Hat sich dieses für sie überlebt, weil andere Strukturen viel mehr Profit garantieren? Ist die Demokratie inzwischen vielleicht eher hinderlich und damit auch die Zivilgesellschaft? Die Abschiebung des Problems auf die Abgehängten, die Unterprivilegierten, die strukturschwachen Regionen scheint mit zu kurz gegriffen.
Dorte Lena Eilers: Bettina Jahnke, in Potsdam ist das Wahlergebnis, was die Stimmen für die AfD angeht, mit 9 Prozent beziehungsweise 17,5 Prozent in den beiden Wahlbezirken noch relativ gemäßigt. Anders als in Sachsen oder Thüringen fehlen im Wahlprogramm der AfD Brandenburg interessanterweise auch Bezüge zum Theater. Sind Sie in Potsdam weniger unter Druck?
Bettina Jahnke: Potsdam ist tatsächlich eine Insel in einem Meer von Blau auf der Karte, und darum sind wir weniger von den Auswirkungen der Wahl betroffen. Aber die AfD sitzt auch hier im Stadtparlament, und das Hans Otto Theater hat als GmbH nun auch den ersten AfD-Politiker im Aufsichtsrat. Ich wurde in Wismar geboren und fühle mich als Ostdeutsche, darum bin ich bestürzt über die Auswirkungen der Wahl auf meine Kollegen in Brandenburg an der Havel, in Senftenberg oder Cottbus. Natürlich sind wir im Austausch miteinander, und die Frage ist, wie können wir darauf reagieren? Ich teile die Meinung von Steffen Mensching, dass sich in diesen Ergebnissen eine Krise des Kapitalismus zeigt. Wir müssen in unseren Theatern also vor allem ­Geschichten erzählen, die genau diese Krise beschreiben. Dafür haben wir jetzt fünf Jahre Zeit.
Eilers: Das Theater Rudolstadt, das Theater Plauen-Zwickau sowie das Hans Otto Theater sind allesamt GmbHs. Was den Einfluss der AfD angeht, gelten die Aufsichtsräte als offene Flanke. Wie mächtig ist dieses Gremium bei Ihnen?
Roland May: Die künstlerische Planung beeinflusst der Aufsichtsrat nicht, er ist ein Gremium wie in vielen anderen Gesellschaften auch …
Eilers: … überwacht indes die Geschäftsführung. An der Oper ­Halle hat er in den vergangenen Jahren die Ausrichtung des Hauses entscheidend mit beeinflusst – freilich im Schulterschluss mit dem Geschäftsführer. Für Sie aber kein Grund zur Sorge?
May: Das neue Kräfteverhältnis im Aufsichts- und Stadtrat Zwickau könnte problematisch werden. Stadträte der AfD und Linken in Zwickau artikulierten kürzlich Einsparpläne. Die Stadt Zwickau besetzt aktuell sieben der elf Sitze im Aufsichtsrat, da sie seit ­Kurzem die Hauptlast der Gesellschafterfinanzierung trägt. Ich habe gegen den Widerstand beider Oberbürgermeister erfolgreich ­wenigstens für ein Mitspracherecht des Stadtrats Plauen bei Strukturveränderungen gekämpft.
Decker: Ich würde gerne von der Krise des Kapitalismus den ­Bogen schlagen zu dreißig Jahren Vereinigungsgeschichte und dem Streit um die Deutungshoheit dieser Geschichte. Wenn man Walter Benjamin nimmt, für den Geschichte eine Erlösung von der Vergangenheit ist, zeigt ja dieses Schisma in Ostdeutschland auch, wie viel Unausgetragenes immer noch in dieser Geschichte steckt. Gründungsfehler, aus denen wiederum Kränkungen resultierten. Wenn Herkunftsräume, Nation und Tradition reflexartig rechts besetzt werden, entstehen so nicht weiße Flecken?
Mensching: Ich würde mir die Jacke überhaupt nicht anziehen, weil ich viel zu sehr in der deutschen Sprache und in der deutschen Literatur zu Hause bin, als dass ich mich da jemals kosmopolitisch-liberalistisch rausgemogelt hätte. Wir haben in den letzten zehn Jahren einen Spielplan gemacht, in dem die Klassik einen zentralen Platz einnimmt – von der Bibel bis Bulgakow. Die ästhetischen Formen, mit denen wir dies tun, hängen wiederum damit zusammen, an welchem Ort wir Theater machen. Wir betreiben Theater nicht für das Feuilleton, sondern für die Leute vor Ort. Insofern treffen solche Unterstellungen, die man ja den linksliberalen Künstlern, zu denen ich mich stolz zähle, immer wieder macht, mich nicht. Vielleicht bin ich ein bisschen überempfindlich, was diese ostdeutschen Leiden angeht. Von Heiner Müller gibt es einen Satz, in dem es sinngemäß heißt: Wenn sie erst ihre Westwagen haben, wollen sie auch Herrn Honecker zurück. Das heißt nicht, dass ich die deutsch-deutsche Einheit als einen wunderbaren Prozess ansehe. Natürlich gibt es da Unwuchten, kriminelle Aktivitäten, was die Treuhand angeht, die Nichtachtung von Lebensleistung und so weiter. Aber das Wahlverhalten aus der Kränkung der Ostdeutschen heraus zu interpretieren, greift mir ehrlich gesagt zu kurz. Wenn man sich die Wahlanalyse anschaut, sind es nicht primär die in prekären Verhältnissen Lebenden, die AfD wählen. Ich kann das zumindest für Rudolstadt sagen. Der Vor- und Nachteil einer Kleinstadt: Ich weiß in etwa, wer AfD gewählt hat, ich kenne den Zahnarzt, ich kenne den Rechtsanwalt und so weiter. Es geht eben auch um Lebensentwürfe jenseits des gehobenen Konsums. Die Linken und auch die Sozialdemokraten haben sich den letzten Jahren auf die soziale Frage eingeschossen. Das ist ein wichtiger Punkt! Andere Fragen haben sie unterschätzt, unter anderem die von Kultur, die eben auch identitätsstiftend sein kann. Woher kommen wir? Was von dieser Herkunft hat noch Bestand? Wohin geht die Reise? In dieses Defizit, diese Lücke, grätschen die klügeren Strategen der neuen Rechten hinein.
Decker: Wertekrise, Sinnvakuum, und am Ende redet man nicht mal mehr miteinander. Müssten die Theater nicht die Ersten sein, die sich damit auseinandersetzen, auch um wieder Brücken zu bauen?
Jahnke: Ich bin keine Politikerin, auch keine Politwissenschaft­lerin und werde jetzt nicht die Wahlen analysieren. Für mich ist die Frage, was ich als Theaterfrau machen kann. Welche Geschichten müssen wir erzählen, welche Texte sind jetzt dran? Natürlich müssen wir den Dialog, der abgerissen ist, im Theater wiederherstellen. Ganz gleich, ob das über eine Bürgerbühne, Förderkreise oder Zuschauergespräche läuft. Ich bemerke in Potsdam ein immens großes Bedürfnis der Leute zu reden. Gerade bei so einem Text wie „Viel gut essen“ von Sibylle Berg, der einen Wutbürger auf die Bühne stellt, der über Ausländer, Feministinnen, Hipster, Homosexuelle wettert. Im Zuschauergespräch knallen danach regelmäßig die Meinungen aufeinander. Darin sehe ich die Zukunft des Theaters: zusammen Freiräume zu bilden, in denen man auch über Identität oder Herkunft reden kann. Darum machen wir jetzt von Jurek Becker „Wir sind auch nur ein Volk“. Allerdings muss man ebenfalls sehen, dass siebzig Prozent der AfD-Wähler, die Zahl steht ja im Raum, nicht nur aus Protest gewählt haben. Die stehen hinter einem Programm, das sich aus Rassismus und Menschenfeindlichkeit speist.
May: In Plauen haben wir es im Stadtparlament noch mit dem Dritten Weg zu tun, einer nationalradikalen Partei. Aber was sind die Hintergründe des Konflikts? Wie die Währungsunion vom Bonner Finanzministerium ab 1990 durchgepeitscht und im Gegenzug die Wirtschaft der DDR quasi beschlagnahmt wurde, auch um Konkurrenz auszuschalten, war atemberaubend. Da wurde vielen Leuten nicht nur die Arbeit genommen, sondern auch ihr sozialer Zusammenhalt. 2008 kam dann die Bankenkrise, die uns schmerzhaft vorführte, dass Banker nicht haftbar sind für ihre Fehler. Ab 2015 drehte sich im Zuge des Migrationsthemas plötzlich jedes dritte Gespräch um den radikalen Islam. Dabei ging es weniger um Flüchtlinge, die in der Stadt sind, sondern vielmehr um eine Projektion in die Zukunft. Wie wird dieses Land künftig aussehen? Wie können wir das beeinflussen? Das ist ein Thema, das viele bewegt, mich eingeschlossen.
Eilers: In einer parlamentarischen Demokratie erfolgt politische Einflussnahme eben vorrangig durch Wahlen, durch Repräsentation. Trotzdem fühlen sich, so zumindest die Erzählung, viele Menschen fremdbestimmt. Nur eine Krise der repräsentativen Demokratie?
May: Im antiken Athen wie auch bei den Dogen in Venedig entschied früher ein Losverfahren über die Beteiligten bei anstehenden Großentscheidungen beziehungsweise darüber, wer auf Zeit an die Macht kam. Ein Beteiligungsmodul, das meiner Ansicht nach Volksentscheiden vorzuziehen wäre.
Mensching: Ja, genau. Der belgische Historiker David van Reybrouck hat darüber ein sehr kluges Buch geschrieben mit dem Titel „­Gegen Wahlen“. Ein Versuch, die Dinge mal anders zu denken.
Jahnke: Aber Treuhand hin oder her: Die Ostdeutschen haben mit den Füßen abgestimmt! Die wollten nicht in den Westen wegen der Demokratie, sondern wegen der D-Mark, das darf man nicht vergessen. Damals wäre die Chance gewesen, diese Welt anders zu gestalten!
Decker: Der Riss ging bereits durch die ostdeutsche Wendegesellschaft, zu sehen im Wechsel der Transparente von „Wir sind das Volk“ zu „Wir sind ein Volk“.
Mensching: Aber diejenigen, die „Wir sind das Volk“ gerufen haben, waren eine Minderheit, machen wir uns mal nichts vor.
Jahnke: Wir sind heute wieder eine Minderheit!
Mensching: Die Vertreter der sozialistischen Intelligenz von Stefan Heym bis Volker Braun sind sozusagen ausgetrieben worden, aber auf Monika Maron, Vera Lengsfeld und Uwe Tellkamp, die schon damals nationalkonservative Leute gewesen sind, hat man gesetzt – und jetzt wird man die Geister, die man rief, nicht wieder los.
Jahnke: Na ja, aber die Geister sind ja noch viel älter. Stichwort verordneter Antifaschismus in der DDR. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass in diesem Gründungsmythos der DDR ein Ursprung liegt. Ines Geipel hat ein sehr spannendes Buch geschrieben, „Umkämpfte Zone“, in dem sie genau diesen Weg noch einmal nachverfolgt. Der Typus, der 1933 braun gewählt hat, wählt heute wieder so. Die Wurzeln reichen ja nicht nur in die Zeit der Wiedervereinigung zurück, sondern bereits in die der Gründung der DDR.
Decker: Aber hier eine bruchlose Linie zu ziehen …
Jahnke: Ja!
Decker: … von einer Diktatur in die nächste?
Jahnke: Absolut!
Decker: Da würde ich widersprechen, weil die Gründung der DDR ja nun eigentlich die Antwort auf die Verbrechen des Nazi-Regimes war …
Jahnke: Sie war gar keine Antwort, sie war die Wiederholung des Gleichen nur unter anderen Vorzeichen.
Mensching: Das sehe ich anders. Wenn man sich die Spitzen­kandidaten der AfD anschaut, Björn Höcke in Thüringen …
Eilers: … Andreas Kalbitz in Brandenburg …
Mensching: … sie besitzen alle eine saubere Westbiografie.
Jahnke: Ja, man fragt sich, warum sich die Ostler so von den Rattenfängern vereinnahmen lassen. Warum haben sie keine eigene Haltung dazu?
Eilers: Die Definitionshoheit des Westens wird kritisiert, gleichzeitig folgt man rechten Ideologen aus dem Westen.
May: Aber nicht jeder Wähler beschäftigt sich mit den Biografien derer, die sie wählen.
Jahnke: Kalbitz wurde nachgewiesen, dass er 2007 an einer rechtsextremen Demonstration in Athen teilnahm. Geschadet hat ihm das nicht.
Mensching: Die AfD hat den großen Vorteil, aus der radikalen ­Opposition heraus zu agieren. Sie kann alles behaupten. Und die anderen, das ist das Dilemma, müssen versuchen, die Misere zu verwalten.
May: Der Baggerfahrer im Braunkohlerevier will einfach wissen, wie er nach dem Kohleausstieg wieder Arbeit finden soll.
Jahnke: Aber Antworten hat auch die AfD nicht. Sie gibt den Leuten bloß eine neue Identität. Da ist doch die Frage: Welche Identität können wir als Theater anbieten?
Eilers: Und zwar als offene Konstruktion. Von der Rechten wird der Begriff geschlossen. Die AfD in Sachsen, Brandenburg und Thüringen ist ganz vernarrt in Brauchtumspflege. Förderprogramme wie das „Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit“, siehe Landeswahlprogramm Thüringen, werden als Gesinnungspolitik abgetan.
Jahnke: Es ist aber auch nötig, von dem reflexartigen Bezug auf die AfD wegzugkommen.
Mensching: Ich finde wichtig, überhaupt erst mal deren Konzept zu durchschauen.
Jahnke: Aber wir müssen doch über unsere Utopien reden!
Decker: Vor zehn Jahren schrieb Stéphane Hessel das großartige Manifest „Empört Euch!“. Wem gehören die Städte, der Staat, fragte er – und wem gehört unsere Geschichte? Dieses Wiederaneignungsgebot wurde als Befreiungsmanifest begriffen. Inzwischen ist dieses Gebot dem Wutbürger angehängt worden – als etwas vollkommen Negatives. Warum hat dieser ursprüngliche Aufruf, seine Bürgerrechte einzufordern, durchaus auch mit starken Emotionen, seinen emanzipatorischen Charakter verloren?
Eilers: In der ideologischen Aneignung und Überformung von Begrifflichkeiten ist die AfD taktisch geschickt …
Jahnke: „Vollende die Wende!“
Eilers: Auch die Bezeichnung als „bürgerliche Volkspartei“. Bürgerlich hieße: nicht radikal, also koalitionsfähig.
May: Entscheidend ist doch, dass breitere Partizipation stattfindet. Unsere Volksvertreter interessieren sich verständlicherweise für die Wiederwahl und alternativ, Stichwort Lobbyismus, für lukra­tive Jobs danach. Hier gibt es massive Glaubwürdigkeitsprobleme. Vielleicht sollten mit guter finanzieller Dotierung ab Landtag aufwärts nur noch einmalige Mandate für fünf Jahre vergeben werden.
Decker: Es geht aber immer auch um Widerspruchsbewusstsein, mit dem man diese gefährliche Tendenz zu Parallelgesellschaften im Osten überwinden kann. Das Bewusstsein von Drama und ­Tragödie, davon, dass die Geschichte nun mal auch ein brutaler Prozess ist, der nicht gerecht verläuft.
Mensching: Wir müssen uns natürlich über eins im Klaren sein: Diese Prozesse sind nicht nur Ausdruck von bösem Willen oder schlechtem Charakter oder ländlicher Begrenztheit – das sind die Auswirkungen einer neoliberalen Politik! Wenn wir diese brutale Art, miteinander umzugehen, nicht ändern, dann landen wir in einer Situation wie am Ende der DDR, wo es alternative utopische Wirtschaftsmodelle gab, die aber überhaupt nicht ernst genommen wurden und sofort in die Tonne wanderten. Das berührt genau die Punkte, vor denen die Gesellschaft jetzt steht. Und wenn man dann so tut, als wäre es ein rein ostdeutsches Problem, verkennt man seine Ernsthaftigkeit.
May: Demokratie kann auch abgewählt werden. Das hat uns ­Michel Houellebecq in „Unterwerfung“ vorgeführt. Zum Verlust von Würde und Status hat Heiner Müller im Umbruch 1990 an­gemerkt: „Es werden Pogrome kommen, Aggressionen auf der Straße.“ Alles ist passiert und passiert weiter.
Eilers: Spielerisch Widerspruchsbewusstsein erzeugen kann Theater, wird es doch meist erst dann interessant, wenn man als Zuschauer im Dissens zu dem steht, was auf der Bühne verhandelt wird. Gleichzeitig ringt es mit Angeboten wie Bürgerbühnen und Partizipationsprojekten um Beteiligung. Ein Widerspruch?
Mensching: Beteiligt sein heißt nicht zwangsläufig, dass ich Teil einer Inszenierung werde oder auf die Bühne springe. Sondern: Geht das, was da verhandelt wird, mich etwas an? Oder textet jemand von oben auf mich herunter? Wenn man auf der Bühne steht, dann weiß man: Auf diesen Augenblick kommt es an. Wird da zwischen dem, der da oben steht, damit man ihn besser sieht, und dem, der zuhört, etwas kommuniziert?
Vor anderthalb Jahren wurde ich ins Ballhaus Naunynstraße in Berlin zu einer Podiumsdiskussion „Gegen Rechts“ eingeladen. Ich wurde sozusagen als Mann vom Lande, der aus der Frontstadt kommt, hinzugebeten. Unter anderem habe ich dort erzählt, dass meine Zuschauer teilweise AfD-Wähler sind, ganz klar, ich aber natürlich mit ihnen leben müsse, ich muss mit ihnen auf dem Marktplatz diskutieren, das ist mein Publikum. Und genau das wollte keiner dort hören, ich wurde ausgebuht.
Eilers: Was folgt nun daraus?
Mensching: Da sind wir genau an dem Punkt angekommen, um den es in der Gesellschaft geht. Sobald die Leute das Gefühl haben, sie werden nicht ernst genommen als Subjekte, zerbricht der Konsens. Subjekt sein heißt, eine Zukunft zu haben, beteiligt zu sein. Wenn aber dieser Punkt der Gesprächsverweigerung eintritt, dann ist das Tischtuch zerschnitten. //

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