Auftritt
Potsdam: Flüchtige Bilder einer Jugend
Hans Otto Theater: „Skizze eines Sommers“ (UA) nach dem Roman von André Kubiczek. Regie Niklas Ritter, Ausstattung Bernd Schneider
von Hannah Klein
Erschienen in: Theater der Zeit: Wovon lebt der Mensch? – Wolfgang Engler und Klaus Lederer (02/2018)
Assoziationen: Theaterkritiken Brandenburg Niklas Ritter Hans Otto Theater
Was auf der Bühne zwischen den Flaschen diverser Alkoholika auf spärlich beleuchteter Discotanzfläche mit Zigarettendunst gespielt wird, meist frontal an der Rampe, will keine genuine DDR-Jugenderzählung sein. Die Inszenierung will vorpolitische Rebellion mittels ästhetisch-individualistischer Pose Selbstzweck sein lassen, will Skizze eines Sommers, einer Jugend sein. Diese hätte sich – so die Botschaft des Abends an das Publikum des Hans Otto Theaters Potsdam – überall so oder so ähnlich ereignen können, spielt nun aber zufällig hier, in Potsdam. Das Identifikationspotenzial ist demensprechend hoch, das Aufkommen nostalgischer Gefühle einkalkuliert. Es ist das Jahr 1985. Der 16-jährige Protagonist René, seine gleichaltrigen Freunde und wechselnden Liebschaften verleben sorglose Wochen, die sie mit Telefonaten zur Beteuerung der ersten Liebe, New-Wave-Musik und Baudelaire-Lektüre füllen. Renés Vater ist auf Abrüstungsverhandlungen in Genf und hinterlässt dem Sohn ein schlechtes Gewissen in Form von 1000 Mark (wer sich den Betrag nicht merken kann, der darf die Zahl auf der die Bühne nach hinten begrenzenden Tafel in der Optik halb zerbrochenen Glases nachlesen), sodass sich der adoleszente Melancholiker, wie ihn André Kubiczek in seiner autobiografisch angelegten Romanvorlage zeichnet, sieben Wochen lang alterstypischen Erfahrungen hingeben kann. Eine Zeit wie vorbeiziehende Wolken, wie „ein Stück Zucker“, das langsam schmilzt.
Die Darstellung der vordergründig auf modischen, musikalischen und literarischen Oberflächen ausgetragenen Konflikte – die eigentlich kaum so genannt werden können, sind doch elterliche wie staatliche Autoritäten fast restlos abwesend – misslingt auf meist charmante und nur manchmal peinliche Weise. Möglich, dass das Sujet an sich nur schwerlich auf die Bühne zu bringen ist, dass ein Allgemeingeltungsanspruch auf mehr oder weniger zeitlose Jugenderfahrungen, verbunden mit intimer Porträtierung der Protagonisten, sich mit den Mitteln des Films vollkommener darstellen ließe – allein durch die Nähe der Kamera.
Auf der eher leeren Bühne der Spielstätte Reithalle wirkt einiges etwas verloren im Raum oder auch deplatziert, zum Beispiel das klamaukige Suffgestolpere und die leider eher infantilen Stop-Motion-Discoszenen, unterbrochen von frontal gespielten Zweizeilern. Ausgelassenen Exzess, etwa um das gebrochene Herz zumindest um die Länge eines Songs von The Smiths zu vergessen, vermag die Bühnenadaption ebenso wenig zu vermitteln wie einen irgendwie gearteten Überschuss dieses Jugendsommers, wenige Jahre vor dem Ende der DDR. Der müsste ja nicht zwangsläufig in einem auf den Rücken der Protagonisten ausgetragenen politischen Kommentar auf das Zeitgeschehen bestehen. So aber verkommen Baudelaires böse Blumen gegen den sozialistischen Realismus, das Kadetteninternat, auf das René am Ende dieses Sommers geschickt werden soll, und der Auftrag des Vaters, dem eine Überprüfung durch das MfS vorausging, zu Details ohne Bedeutung.
Der Zugriff auf die Welt dieser Jugendlichen ist recht eindimensional. Ob dies schlicht dem Wahrnehmungs- und Reflexionsvermögen eines 16-Jährigen entspricht? Oder ob das von der Regie eher aufdringlich interpretierte Gestaltungsprinzip der Skizze den eigentlich interessanten und sympathischen Figuren, dargestellt von Schauspielstudenten der Filmuniversität Babelsberg „Konrad Wolf“, die Tiefe raubt? Dass man sich einfühlsam zu den Protagonisten verhalten, sich nicht durch übergestülpte Kommentare über sie erheben möchte, sondern nah an der emotionalen Verfassung zu bleiben sucht, dem eignet ein gewisser Charme, und das ist durchaus der Erwähnung wert, ebenso wie die Spielfreude der Darstellerinnen und Darsteller. Ganz bezaubernd ist das etwa dann, wenn eine unbekannte Discotänzerin die Gefühlslage der vom Mädchenschwarm Mario betrogenen Connie, ihre Austauschbarkeit, mit einem trockenen „’s bitter“ kommentiert. Oder wenn René der zunächst namenlos-geheimnisvollen Victoria das Kompliment macht: „Du bist die Frau, die niemals zur falschen Musik tanzt.“ Es sind nette Bilder zu netten Figuren, die trotz ihrer Robert-Smith-Gedächtnisfrisur und der demonstrativ affirmierten décadence letztlich in erster Linie darauf angelegt sind, sich wohlig an die eigene halbwegs aufregende Jugend, das eigene Coming-of-Age erinnern zu können. Erzählungen wie Wolfgang Herrndorfs „Tschick“, deren Bühnenfassung große Erfolge feierte, und Filme wie Harmony Korines „Gummo“ wirken dagegen verstörender, trister und bizarrer. Und sie beweisen, dass das Genre Comingof-Age prinzipiell ein Doppeltes vermag – mit dem Weltbezug der Protagonisten eine Epoche in ihren Widersprüchen in Szene zu setzen. Der Bühnenadaption von „Skizze eines Sommers“ gelingt das weniger. Analog zur zerborstenen Glasscheibe, die auf der Bühne zur Kreidetafel für skizzenhafte Notizen wird, überschreibt die Inszenierung den Blick nach draußen vielmehr, als ihn zu öffnen für die Risse, die sich auch durch die Figuren ziehen. //