Theater der Zeit

Gespräch

Die Kraft des Widerstands

Pınar Karabulut über Klassiker, Originaltexte und Überschreibungen im Gespräch mit Stefan Keim

„Romeo und Julia“ am Schauspiel Köln war ein Durchbruch. Pınar Karabulut – 1987 in Mönchengladbach geboren – inszeniert seitdem oft Klassiker. Aber auch Uraufführungen von Nuran David Calis, Sivan Ben Yishai und Katja Brunner. Manchmal auch Shakespeare und Brunner gleichzeitig, wie 2022 bei „Richard drei. Mitteilungen der Ministerin der Hölle“, einer Klassikerüberschreibung. Gerade hat Pınar Karabulut in Köln Kafkas „Prozess“ inszeniert – ohne Fremdtexte. Karabulut, die von 2020 bis 2023 zum Leitungsteam der Münchner Kammerspiele gehörte, wird ab 2025 zusammen mit Rafael Sanchez Intendantin des Schauspielhauses Zürich.

von Stefan Keim und Pınar Karabulut

Erschienen in: Theater der Zeit: Überschreibungen des Kanons – Antike und Gegenwart – „Ajax“ von Thomas Freyer (01/2024)

Assoziationen: Schauspielhaus Zürich Schauspiel Köln Münchner Kammerspiele

„Richard Drei. Mitteilungen der Ministerin der Hölle“ nach William Shakespeare in einer Überschreibung von Katja Brunner, Regie von Pınar Karabulut.
„Richard Drei. Mitteilungen der Ministerin der Hölle“ nach William Shakespeare in einer Überschreibung von Katja Brunner, Regie von Pınar Karabulut.Foto: Krafft Angerer

Was genau reizt dich eigentlich an Klassikern?

Pınar Karabulut: Die Klassiker sind ja oft der erste Zugang zum Theater. Vor allem, wenn man nicht im Theaterkosmos aufwächst. Ich habe mit 16 zum ersten Mal „Hamlet“ gelesen, später Theaterwissenschaft studiert, da hat sich der Kanon verfestigt. Ich möchte in meiner Kunst den Blick auf Dinge verändern, zum Beispiel, wie Frauen oder marginalisierte Gruppen auf der Bühne gezeigt werden. Natürlich wird das von zeitgenössischen Theaterautor:innen thematisiert. Da geht es direkt um das Thema. Was ich an Shakespeare, Marlowe oder Schiller so spannend finde, ist, dass vor Jahrhunderten definiert wurde, wie ihre Stoffe gelesen werden müssen. Das ist Quatsch. Niemand hat Shakespeare interviewt, wir wissen nicht, was er wollte. Ich glaube, Shakespeare war anarchisch und wild. Und es gibt so brave Bühnenadaptionen seiner Werke. Es ist für mich logisch, dass dann Katja Brunner den „Richard III.“ überschreibt.

Um den Original-Shakespeare klarer heraus­treten zu lassen?

PK: Ja, ich behaupte, dass meine Insze­nierungen ziemlich werktreu sind. Ich beschäftige mich immer mit der Entstehungszeit der Stücke und versuche herauszufinden, wie der Autor sich gefühlt haben muss. Deshalb finde ich den Kanon so spannend. Eine Uraufführung behandelt immer das Tagespolitische. Das ist wichtig und hat seine Gültigkeit....

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