Auftritt
Köln: Nonbinäre Schauwerte
Schauspiel Köln: „Richard Drei“ (Mitteilungen der Ministerin der Hölle) (UA). Nach Shakespeare in einer Überschreibung von Katja Brunner. Inszenierung: Pınar Karabulut
von Stefan Keim
Erschienen in: Theater der Zeit: Frank Castorf – „Wallenstein“ in Dresden (06/2022)
Assoziationen: Sprechtheater Theaterkritiken Nordrhein-Westfalen

Friedenszeiten! Furchtbar! Dafür ist Richard nicht geschaffen. Die Schauspielerin Yvon Jansen vibriert vor Energie, vor Zerstörungswut. Dieser Richardkörper ist für den Krieg gemacht, will ein Torpedo sein. Der Anfangsmonolog von Katja Brunners Shakespeare-Überschreibung „Richard Drei“ ist eine scharfkantige Provokation. In eine Gesellschaft, die entsetzt ist vom realen Krieg in Europa, platzt dieser Richard oder diese Richardis, gewissenlos, machtlüstern, zu allen Grausamkeiten bereit. Nicht, weil sie etwas Bestimmtes erreichen will. Ein Torpedo hat kein Regierungsprogramm. Ein Torpedo will explodieren und töten.
Der Beginn der Kölner Uraufführung ist sehr stark. Dass Richard von einer Frau gespielt wird, fällt gar nicht besonders auf. Die genderfluide Besetzung dieser Rolle ist auch nicht mehr neu. Lina Beckmann bei den Salzburger Festspielen und Marissa Möller im Schlosstheater Moers sind nur zwei Beispiele für weibliche Lesarten dieses Inbegriffs menschlich-männlicher Bosheit. Katja Brunner geht darüber hinaus. In ihrem Text löst sie konsequent die Grenzen zwischen den Geschlechtern auf, was die Regisseurin Pınar Karabulut mit großer Theaterlust auf die Bühne überträgt. All die Lords und Ladys begreifen sich nicht als binäre Wesen. Fröhlich erfindet die Autorin immer neue Spielarten der Gendersprache. Statt „Niemand“ heißt es mehrmals „niemensch.“
Dabei ist Shakespeares Handlung weitgehend erhalten geblieben. Gewissenlos mordet sich Richard auf den Thron, obwohl er mit der Macht überhaupt nichts anfangen kann. Der Text schwirrt umher zwischen angedeuteten Zitaten und Gegenwartsbezügen, hoher Sprache, teils herrlichen Wortverdrehungen und Alltagsdirektheit. Ein wilder Laberschwall mit poetischen Momenten. Die stärkste Bühnenwirkung erzielen Textflächen, die den Fortlauf der Geschichte unterbrechen. Da sinniert „die Basis“ über Willkommenskultur und Pandemiefolgen, da beschwert sich ein Männerchörchen darüber, dass die Kulturtradition der Kavaliersdelikte verloren geht. In einem der intensivsten Momente vor der Pause geht es um die Zahl der Selbstmorde und unsere kollektive Ratlosigkeit. Da wird es still und nachdenklich.
Sonst geht Regisseurin Pınar Karabulut in die Vollen. Das Ensemble brüllt, schreit und zetert in bunt-trashigen Kostümen, Richard fährt in einem Schwanmobil über die Bühne und verleiht es, wenn ein von ihr gedungener Mörder schlecht zu Fuß ist. Es gibt Tanznummern zu wummernder Musik, manchmal erinnert das Ensemble mit puppenhaften Bewegungen und grobem Spiel ans Kasperletheater. Faszinierend sind die Videos von Susanne Steinmassl. Auf zwei Projektionsflächen, die an die Flügel eines Altars erinnern, bringt sie eine schräge Mischung aus klassischer Porträtkunst und der Bilderwelt heutiger Fantasycomics. Die Bilder bewegen sich, aber nur ein bisschen, sie werden nicht zu Animationsfilmen, sind bunt und gespenstisch zugleich.
Mensch hörte, es wurde noch bis zur Premiere heftig gekürzt. Der Abend ist immer noch viel zu lang. Die Vielzahl der Themen, das dauerironische Bombardement mit großen Gesten und pathetischen Tönen ermüdet. Inhaltlich bleibt kaum etwas haften. Andererseits reißt die Inszenierung immer wieder mit, Pınar Karabulut entwickelt ein maßloses Pop- und Trash-Theater mit großen Schauwerten. Eine kraftvolle Knallchargenshow der Queerdenker. Eine Theaterparty, die Kopfschmerzen verursacht, die man in der Rückschau aber auch nicht verpasst haben will. //