Ich saß mit angehaltenem Atem und wartete darauf, dass der überdimensionale schwarze Stiefel auf dem Bühnenboden aufschlug. Es war 1996, ich war 15 Jahre alt und sah im großen Rustaveli-Theater meiner Heimatstadt Tbilissi den „Kaukasischen Kreidekreis“ in einer legendären Inszenierung von Robert Sturua, mit der er jahrelang um die Welt tourte. Der ganze Saal schien erstarrt, wusste doch jeder, wofür dieser Stiefel stand, sogar ich mit 15. Er stand für Russland, für die vierzig Jahre Kolonial- und siebzig Jahre Sowjetgeschichte, für die rote Gewalt und die Unterdrückung, für jede beschnittene Freiheit und jede verformte Biografie, für die 21 toten Zivilisten – die Jüngste darunter eine 16-Jährige – bei den Unabhängigkeitsdemonstrationen 1989, als die Sowjetarmee mit Spaten und Giftgas auf die Zivilbevölkerung losging.
Und der Stiefel stampfte auf und war so laut, als wäre eine Bombe im Zuschauerraum eingeschlagen. Zumindest die Wirkung dieses symbolischen Aufschlags kam einer Bombe gleich. Im selben Moment erklang der von allen bereits mitgesprochene Satz: „Der Krieg ist aus, fürchtet den Frieden.“
Das unabhängige Georgien steckte noch in den Kinderschuhen, es war gerade einmal fünf Jahre alt und hatte seit seiner Befreiung zwei Kriege geführt und einen Bürgerkrieg mitten in der Hauptstadt ausgetragen, bei dem das Theater,...