Festivals
Keine Angst vor der Angst
Eindrücke vom Spielart Festival in München
Erschienen in: Theater der Zeit: Oliver Bukowski: „Warten auf’n Bus“ (01/2022)
Assoziationen: Performance Freie Szene Theaterkritiken Bayern
Es dauert, bis der Wicker Man in sich zusammenfällt. Die riesige Menschenskulptur aus Holz und Stroh brennt lichterloh auf dem Olympiasee und hält den Flammen doch über vierzig Minuten stand. Als die Holzbalken niederstürzen, hat die eklektische Oper, die die Künstlerin Anna McCarthy und ihr Team als spektakuläres Ritual der Angstbändigung aufführen, schon zu ihrem Ende gefunden. Eine Mischung aus raunenden Rezitativen, klassischen Melodien und beschwörenden Chören, in der sich eine Figur namens Lucy Strike, zu hören als Stimme über dem See, zur Verbündeten und Stellvertreterin gequälter Frauen erklärt. Gesang und Performance der futuristisch kostümierten Darstellerinnen lässt Hexenverbrennungen, düstere Séancen, schwarze Messen anklingen. Dieses Ritual gegen die Angst fasziniert, irritiert und hatte Sogwirkung. Rund um den See fast über 2000 teils spontan hinzugekommene Zuschauende.
Mit dem Projekt „Global Angst“, kuratiert von dem Theatermacher und Kulturanthropologen Julian Warner, war das Münchner Spielart Festival am Halloween-Wochenende tatsächlich in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Die Idee: die Zusammenführung eines Kollektivs von Verängstigten gegen die Angst. Die Bestandteile: ein Parlament, in dem Expert:innen und Publikum über katastrophischen Klimawandel, ängstigende Algorithmen oder den Zusammenhang von ökonomischen Interessen und Angst diskutierten. Das Setting in der Münchner Muffathalle war eine Mischung aus orientalisch anmutendem Sakralraum, Gerichtssaal und Theater....