Gespräch
Der Albtraum ist noch nicht vorbei
Interview mit der Autorin Nona Fernández
von Nona Fernández Silanes und Lorena Saavedra
Erschienen in: Theater der Zeit Spezial: Chile (09/2023)
Assoziationen: Südamerika Dramatik Dossier: Chile

Glaubst du, dass die Memoria – die Erinnerung und die Erinnerungsarbeit – in der Situation, in der wir uns heute in Chile befinden, in Bedrängnis ist? Wenn ich auf deine offensichtliche Nähe zu diesem Thema schaue, ist Memoria für dich ja geradezu eine Pflicht?
Nona Fernández: Memoria war immer ein umkämpfter Schatz, sie war es, ist es und wird es immer sein. Die Übersetzung von Memoria ist Arbeit, und wir müssen darum ringen, welche Erinnerungsversionen in der Geschichte fixiert werden. Es ist schon ein ziemlich schlechter Scherz, dass wir jetzt, quasi am Vorabend der Gedenkfeiern zum fünfzigsten Jahrestag des Militärputsches, daran erinnern müssen, dass Pinochet kein Staatsmann war, sondern ein Militärputschist, ein Mörder und Dieb, und das mit allen Adjektiven, die uns einfallen. Und doch stehen wir hier, fünfzig Jahre später, und wiederholen etwas, was wir bisher für selbstverständlich hielten.
Mit meiner Arbeit habe ich immer versucht, Fragmente unserer Diktaturgeschichte einzusammeln. Alles, was wir erlebt haben, was wir nicht wussten, was wir nicht verstanden haben, was uns immer noch beschäftigt. Diese Vergangenheit bestimmt noch immer unsere Gegenwart. Der Albtraum ist noch nicht vorbei, und es ist uns fast unmöglich, ihm zu entkommen. Wir wollten die Verfassung Pinochets ändern, und wer...