Theater der Zeit

Festivals

Bomben zu Kunst

Zwischen schwer erträglich und beinahe lieblich: Beim diesjährigen Impulse Theater Festival in Düsseldorf, Köln und Mülheim an der Ruhr ist die ästhetische Spanne wieder groß

von Martin Krumbholz

Erschienen in: Theater der Zeit: Miser Felix Austria – Martin Kušej über seinen Start am Burgtheater (09/2019)

Assoziationen: Freie Szene Nordrhein-Westfalen Impulse Theater Festival

Anzeige

Anzeige

Die Szene zeigt eine englisch sprechende „Kuratorin“ und fünf Geflüchtete aus Syrien in einer fiktiven Kunstausstellung. Aufmerksam, aber auch skeptisch lauschen die fünf den Ausführungen der Expertin, die immer abstrusere Formen annehmen. Kriegerische Objekte, beispielsweise Bomben, ließen sich in „Schönheit“ verwandeln, so die Kuratorin. Solche Objekte sind den Zuhörern wohlbekannt, sie kommen schließlich aus einem vom Krieg verheerten Land. In einem anderen Setting wird eine Frau aufgefordert, einen kitschigen Porzellanhund zu zertrümmern; das Objekt werde sich dann in einen Gott verwandeln („Dogs to Gods“).

„All Inclusive“ von Julian Hetzel versteht sich als satirischer Beitrag zur Adaption von Gewalt in der Kunstszene, wie es Künstler bis hin zu erklärten Stars wie Ai Weiwei immer wieder praktizieren, dessen Ausstellung in Düsseldorf derzeit Besucherrekorde bricht. Es geht also um das Verhältnis von Ethik und Ästhetik. Bei den Impulsen, dem alljährlich in drei Städten stattfindenden Festival der freien Theaterszene im deutschsprachigen Raum, sind meistens diejenigen Arbeiten am interessantesten, die sich nicht reibungslos erklären und auch nicht unbedingt auf allgemeine Zustimmung stoßen. Man könnte darüber streiten, ob Hetzel mit der Kritik an einer bestimmten Spielart innovativer Kunst nicht unfreiwillig die moderne Kunstszene insgesamt trifft. Wenn in einer weiteren Szene zwei Performer Mikrofonständer zu Gewehren umwidmen, die Kuratorin „erschießen“, ihr Blut auf eine Leinwand spritzen und das Ganze als „Action Painting“ deklarieren, ist die satirische Absicht klar, ihre Stoßrichtung allerdings nicht allzu fest umrissen.

Doch nicht darüber wurde in der anschließenden Diskus­sion gestritten, sondern über die Mischung aus professionellen Performern und Laien, die als Geflüchtete (freiwillig und gerne) sich selbst darstellen. Der Streit über die Legitimität dieser Entscheidung ist am Ende weniger relevant, als einige sich empörende Diskutanten wohl meinten. Wie auch immer, „All Inclusive“ gehörte zu den ästhetisch auffälligsten Beiträgen des in Düsseldorf stattfindenden Showcase, verantwortet vom Impulse-Direktor Haiko Pfost. Ebenso die im Rahmen der Eröffnung gezeigte Tanzperformance „Witness“ von Reut Shemesh, die den karnevalesken Gardetanz junger Düsseldorfer Mädchen geradezu mit Perfidie ausnüchtert, in einzelne Sequenzen zerlegt und so in Grund und Boden dekonstruiert – eine Übung, deren subversiver Aplomb vielleicht nur deswegen nicht umstrittener war, weil er gar nicht recht begriffen wurde.

Und natürlich die fünfstündige Performance „Häusliche Gewalt“ von Markus Öhrn (siehe TdZ 09/2018). Hier ist die Botschaft freilich mehr als deutlich: Gezeigt wird brutal und direkt, was der Titel bereits ankündigt. Es sind Schläge, die auch auf den Unterleib des scheinbar unbeteiligten Betrachters zielen. Gewalt, verübt vom Mann an der Frau (die Gesichter sind mit Masken verdeckt, aber die Kleidung legt dies nah), die nicht aus einem Konflikt, einem verbalen „Schlagabtausch“, erwächst, sondern sich scheinbar unangekündigt von einer Sekunde auf die andere entlädt. Wie lange hält man das aus, eine halbe Stunde, eine ganze?

Groß ist bei den Impulsen die Spannbreite zwischen provokanten, fast nicht erträglichen Arbeiten („Häusliche Gewalt“) und solchen, die eher auf Konsens und Harmonie basieren, adressiert an eine linksliberale Community, die auf die entsprechenden ­Werte verlässlich eingeschworen ist. Die Akademie in Mülheim an der Ruhr als eine der beiden flankierenden Säulen des Festivals (neben einem Stadtprojekt in Köln) debattierte über „Repräsen­tationskritik“ im Kontext des politischen Rechtsrucks. Weniger ­akademisch, doch öffentlichkeitswirksamer und womöglich kon­troverser ging es bei jenem Stadtprojekt zu, das unter dem anspielungsreichen Motto „Angstraum Köln“ stand. „Sie spritzt, er spritzt“ war dabei eine Arbeit von Alexandra Berlinger und Martin Wagner betitelt, die in ironischer Anspielung auf den uralten Werbeslogan einer Kölner Brauerei „Er trinkt, sie trinkt“ Akzeptanz und Nichtakzeptanz von Drogen untersucht. In der Nachkriegszeit wollte besagte Brauerei das weibliche Publikum zum Genuss eines harmlosen Suchtmittels animieren – und damit sicherlich einen bedeutenden Beitrag zur Emanzipation der Frau leisten. Der aktualisierte Slogan rief nun eine um Recht und Sitte besorgte Kölner Boulevardpresse auf den Plan.

Bei der im Studio des Forums Freies Theater in Düsseldorf gezeigten Arbeit „EF_Femininity“ von Marcel Schwald und Chris Leuenberger waren die Eingeweihten dann wieder unter sich. Drei Frauen und ein Mann, darunter zwei Transfrauen, wirken an dieser Tanzperformance mit, bei der es um „Weiblichkeit“ losgelöst von Geschlechterrollen geht. Man wird aufgefordert, die Augen zu schließen und nach einer Weile wieder zu öffnen, „nun aber mit einem weiblichen Blick“. Funktioniert’s? Und wird irgendwann „Geschlecht nur noch ein Hobby sein“, wie es verschwörerisch heißt? Darüber kann man trefflich streiten.

Ähnlich liebenswürdig präsentieren sich Produktionen wie „White Limozeen“ von Johannes Müller und Philine Rinnert (Wie geht man mit dem mehr oder weniger latenten Rassismus in einer Oper wie „Madame Butterfly“ des gleichwohl genialen Puccini um?) oder „Zwischen den Säulen“ von Markus&Markus (Ist der Islam wirklich böse? Wir glauben: Eher nicht, und zum Beweis pilgern wir nach Mekka und konvertieren!). //

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Charly Hübner Buch backstage
Cover XYZ Jahrbuch 2023
Recherchen 162 "WAR SCHÖN. KANN WEG …"
"Scène 23"
"Zwischen Zwingli und Zukunft"
Recherchen 165 "#CoronaTheater"
"Die Passion hinter dem Spiel"
Arbeitsbuch 31 "Circus in flux"
"Passion Play Oberammergau 2022"
Recherchen 163 "Der Faden der Ariadne und das Netz von Mahagonny  im Spiegel von Mythos und Religion"
Passionsspiele Oberammergau 2022
"Theater der Vereinnahmung"
Recherchen 156 "Ästhetiken der Intervention"
"Theater unser"
"Pledge and Play"