Gespräch
Eine eigene Sprache finden
Jacqueline Surer im Gespräch mit dem jungen Puppentheater-Macher Sebastian Ryser
Sebastian Ryser hat schon als Kind im Figurentheater St. Gallen mitgearbeitet, als sein Vater dort künstlerischer Leiter war – Tobias Ryser wirkte von 1986 bis kurz vor seinem Tod 2014 am Figurentheater St. Gallen. Seit 2014 führen Frauke Jacobi und Stephan Zbinden das Theater. Diesen Herbst beendet Sebastian Ryser das Studium Zeitgenössische Puppenspielkunst an der Ernst Busch Schule in Berlin. Er ist Mitgründer des Kollektivs E0B0FF, das Theater- und Tanzproduktionen in der freien Szene kreiert. Für sein Diplomprojekt kehrt er an den Ort zurück, an dem alles begann.
von Sebastian Ryser und Jacqueline Surer
Erschienen in: double 44: Regie? – Zwischen Autor*innenschaft und Außenblick (11/2021)
Assoziationen: Puppen-, Figuren- & Objekttheater Akteure Schweiz
Jacqueline Surer: Sebastian, Deine Diplomarbeit „Romeo und Julia“ hat im Herbst Premiere im Figurentheater St.Gallen, das von deinem Vater fast 30 Jahre geleitet wurde. Was hat dich dazu bewogen, das Stück in St. Gallen zu inszenieren?
Sebastian Ryser: Ich hatte schon vor längerem beschlossen, für meine Abschlussarbeit ein Regie-Projekt in der freien Szene zu machen. Vor etwa einem Jahr sprach ich mit Frauke Jacobi darüber, der jetzigen Leiterin des Figurentheaters. Im Gespräch entstand die Idee, zusammen ein Stück zu machen. Frauke steht auf der Bühne, ich führe Regie.
Was hat dich an „Romeo und Julia“ gereizt?
Mich interessiert der Mythos dieses Stücks. Jeder kennt die Geschichte von Romeo und Julia. Die beiden haben sich auf Theaterbühnen, in Kinofilmen, in Opernhäusern oder in Englischstunden schon Millionen Mal verliebt und sind Millionen Mal gestorben. Die Inszenierung kreist um diesen Mythos. Das Stück spielt im grossen „Romeo und Julia-Archiv“, wo alles verwahrt ist, was mit der Geschichte zu tun hat. Sämtliche Schauspielerinnen und Schauspieler, die je Romeo und Julia gespielt haben, sind dort eingelagert. Aber auch der schlechteste Aufsatz, der je zu dem Thema geschrieben wurde, oder der Angstseufzer einer Julia-Darstellerin kurz vor ihrem Auftritt. Frauke spielt die Verwalterin, die sich um das Archiv kümmert und im Verlauf des Stücks verschiedene Romeos und Julias zum Leben erweckt. Wir mischen das Puppenspiel mit Videosequenzen und Livemusik von einer Cellistin.
Warum wolltest du ein Regieprojekt machen?
Ich habe mich schon immer für Regie interessiert. Als es ums Studium ging, habe ich mich dann aber für Puppenspiel entschieden, weil es mir wichtig war, das Werkzeug kennenzulernen. Das hilft mir nun bei der Regiearbeit. Ich finde es sinnvoll, wenn man als Regisseur auch selber spielt und diese Seite kennt. Das Geniale an der Ernst Busch Schule ist, dass man eine riesengrosse Palette an Mitteln und Möglichkeiten kennenlernt, wie man eine Geschichte erzählen kann. Das bringt wahnsinnig viel. Wofür man sich am Schluss entscheidet, da ist die Schule sehr offen. Ein Ziel der Ausbildung ist es, dass man seinen eigenen Weg und seine eigene Nische findet.
Wenn du an die letzten vier Jahre denkst: Was ist das Wichtigste, das dir die Schule mitgegeben hat? Was hast du in Berlin gelernt, was du ohne diese Ausbildung nicht mitbekommen hättest?
Einerseits war es wichtig, das Handwerk zu lernen. Andererseits war vor allem die Zusammenarbeit mit den Leuten in meinem Studiengang inspirierend. Wir waren eine ziemlich heterogene Gruppe. Obwohl wir alle das Gleiche studierten, hatte jede und jeder ein eigenes, teilweise sehr unterschiedliches Theaterverständnis. Das war interessant, manchmal natürlich auch anstrengend. Vier Jahre in diese Welt einzutauchen, war enorm bereichernd und hat meinen Horizont erweitert.
Bevor du an die Ernst Busch Schule gegangen bist, hast du sechs Jahre an der Universität Zürich Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft studiert. Für dich war also nicht von Anfang an klar, dass du in die Fussstapfen deines Vaters treten würdest?
Nein, überhaupt nicht. Dass ich in einer „Kleintheater-Familie“ aufgewachsen bin, hat mich aber stark geprägt. Meine beiden Geschwister und ich haben im Figurentheater immer mit angepackt, wir haben eingeleuchtet, Bühnenbilder auf- und abgebaut, in Stücken mitgespielt. So hatte ich das Theater natürlich immer im Blick und wusste auch, dass es in Berlin eine Puppenspiel-Ausbildung gibt. Zuerst hat es mich aber in die Wissenschaft gezogen. Wenn man so nahe an dem dran bleibt, was die Eltern gemacht haben, gibt es immer eine gewisse Angst, in den gleichen Fussstapfen zu enden. Ich hätte aber auch nicht total mit dem Theater brechen können. Durch die Ausbildung in Berlin bin ich nun an einem Punkt, wo ich besser weiss, was ich will. Die Sorge, dass ich einfach nur dort weitermache, wo mein Vater aufgehört hat, habe ich nicht mehr. So ist es jetzt sehr schön, ans Figurentheater St. Gallen zurückzukehren, diesen Ort, mit dem ich mich so verbunden fühle.
Wenn du an die Anfänge in St. Gallen zurückdenkst: Was hat sich in den letzten 20 Jahren im Figurentheater besonders verändert?
Früher versuchte man die Spielerinnen und Spieler möglichst unsichtbar zu machen, um der Puppe den ganzen Fokus zu geben. Heute werden auf der Bühne Puppenspiel und Schauspiel gleichwertig behandelt. Mich persönlich interessieren spartenübergreifende Projekte, besonders auch solche, in denen mit digitalen Mitteln und Film gearbeitet wird. Als Puppenspieler bin ich es gewohnt, in alle Richtungen offen zu sein, das ist ein grosser Vorteil unserer Sparte. Mit den verschiedensten Mitteln eine eigene Sprache zu finden, reizt mich besonders.
Deine Studienzeit in Berlin geht bald zu Ende. Hast du vor, danach in der Schweiz zu leben?
Ja, im Moment denke ich, dass ich wieder in die Schweiz zurückkehren werde. Für das Studium war Berlin super, aber dort in der freien Szene zu arbeiten, ist hart. Es gibt viele Leute, die Projekte machen wollen, aber nur wenig Geld. Ausserdem habe ich in der Schweiz ein Netzwerk, an das ich anknüpfen kann. Dazu kommt, dass die Puppenspiel-Szene in der Schweiz nicht so riesig ist. Ich habe grosse Lust darauf, mich da einzubringen und neue Impulse zu setzen.
Das klingt, als ob du bereits in den Startlöchern sässest.
Ja, einige Sachen haben sich schon ergeben. Ich merke aber auch, dass ich noch etwas Zeit brauche, um wieder in der Szene anzukommen und den Überblick zu gewinnen. Am meisten interessieren mich zurzeit Regie-Projekte. Ich würde aber auch wieder spielen, wenn sich etwas Interessantes anbietet. Hauptsache, ich kann Theater machen. – www.sebastianryser.ch / www.figurentheater-sg.ch