Theater der Zeit

Archivfieber

Jedes Auge, das über Oberflächen hingleitet und sie abtastet, vergleicht. Vergleichen schärft den Blick. [...] Grundlegender als Vergleichen ist das Aufspüren von Kontexten und das Aufhellen von Zusammenhängen. Historiker, die die Augen schließen, sind wie die Architekten, die selber in Altbauwohnungen wohnen, ansonsten das Leben in Plattenbauten propagieren. [...] Das Sehen hat sich von der historischen Wahrnehmung abgespalten, ist zu einer Sache der Freizeit geworden [...]. Eine Nebenerscheinung ist die Verkümmerung der historischen Vorstellungskraft, der historischen Imagination. [...] Vielleicht muß man für einen Augenblick die Bücher zur Seite legen und sich anderen Hieroglyphen zuwenden: der Pyramide von Gizeh, den Domen des Mittelalters, der Skyline von Manhattan. [...] Formen, die fest geworden sind, müssen vergeschichtlicht, in den Zustand ihres Entstehens zurückgedacht werden, als alles noch offen war. Man muß, wie es so schön heißt, die Gegenstände «zum Sprechen bringen». [...] Das gilt nicht nur für Gegenstände, Objektivationen der Kunst und Kultur. Es gilt für das Subtilste, das sich denken läßt: für Stimmungen, für Atmosphäre, für das am wenigsten Greifbare. [...] Sehen kann man lernen. [...] Man muß sich zurücklehnen können, um zu sehen. Man muß im Fluß stehenbleiben können, um schärfer zu sehen. Karl Schlögel, Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik, 2011 [2006], S. 272–274.

von För Künkel und Mirjam Hildbrand

Erschienen in: Zirkuskunst in Berlin um 1900 – Einblicke in eine vergessene Praxis (02/2025)

Vorderseite: Abzug einer Zeichnung von einer Artistin im Zirkus mit Aufschrift Die ‚Königin der Luft‘ auf der Erde.
Vorderseite: Abzug einer Zeichnung von einer Artistin im Zirkus mit Aufschrift Die ‚Königin der Luft‘ auf der Erde.Foto: Archiv Friedrichstadt-Palast Berlin.

„Das Auftreten der Miß Leona Dare erfüllte so ziemlich all die extravaganten Erwartungen, die man der berühmten Amerikanischen Gymnastikerin, der ‚Tochter der Luft‘ entgegen gebracht hatte […]“, so schrieb die Berliner Börsen-Zeitung am 30. November 1879. Bei der gezeichneten Künstlerin dürfte es sich um die US-amerikanische Luftakrobatin gehandelt haben, die im Jahr 1879 bei der Berliner Zirkusgesellschaft Circus Renz engagiert war und oft als „Königin der Luft“ angekündigt wurde, beispielsweise anlässlich eines Gastspiels der Zirkusgesellschaft in Hamburg (vgl. Altonaer Nachrichten, 16. Juni 1879). Die Zeichnung mit der Aufschrift „Die ‚Königin der Luft‘ auf der Erde“ diente in diesem Kontext vermutlich zur Bewerbung eines alkoholhaltigen Getränks, vielleicht ein Berliner Kümmel Schnäpschen. Ein Getränk, das sicher auch in den Programmpausen in der Zirkusspielstätte ausgeschenkt wurde.

Uns hat bei diesem Fundstück mehr noch als diese Zeichnung die Rückseite interessiert: Verschiedene handschriftliche Vermerke überlagern sich, beispielsweise wurde mit Bleistift festgehalten, dass etwas „wegretuschiert“ werden sollte. Außerdem überlappen sich drei Stempelabdrucke von zwei verschiedenen Institutionen: Zum einen vom Berliner Friedrichstadt-Palast zu DDR-Zeiten und zum anderen vom Märkischen Museum Berlin, das Berliner Stadtmuseum, wobei sich das Märkische Museum ebenfalls auf dem Territorium der DDR befand.

Diese Rückseite erzählt also einige Geschichten: Sie liefert uns einen Hinweis...

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